Künstlerische Darstellung der Berliner Mauer: Das weiße Band
Phantom der Stadtlandschaft: Wie Künstler aus Ost und West die Berliner Mauer dargestellt haben
Es ist nicht so, dass nichts zu sehen wäre. Rainer Fettings furios-bunte Berlin-Bilder in der Berlinischen Galerie zum Beispiel, da zackt sich die Mauer als weiß-gelbes Band durch die Stadt, und ein nackter Akt räkelt sich darauf. Oder Thomas Hoepkers melancholische Innensichten eines abgeriegelten Staates, die das Deutsche Historische Museum gerade in einer anrührenden Werkschau zeigt. Da tollt ein Grenzsoldat mit seinem kleinen Sohn herum, spielt Verstecken mit ihm, lässt ihn durch den Feldstecher schauen oder auf der Mauer herumklettern. Hans W. Mende schließlich, derzeit bei Aedes am Pfefferberg zu Gast, wartet mit nüchtern schwarz-weißen Stadttopografien auf, festgehalten während einer winterlichen Grenzbegehung 1978, entlang der innerstädtischen Mauer. Da war das Thema für West-Deutsche durchaus noch ein Exotikum, unpopulär zumal.
Das Diktum, die Mauer sei in der Kunst quasi nie vorgekommen, lässt sich also nicht halten. Nur in den Museen, da kommt sie nicht so richtig vor, jedenfalls nicht als Thema zum 50. Jahrestag des Mauerbaus. Was derzeit in Berlin gezeigt wird, wirkt eher zufällig, läuft so mit. Wo ist die große Überblicksschau, die den Bogen spannt von Joseph Beuys’ Forderung von 1964, die Mauer aus ästhetischen Gründen doch bitte fünf Zentimeter höher zu bauen (bessere Proportion!), bis zu Gordon Matta Clarks provokantem Mauer-Ausspruch von 1976: „O, that's Bauhaus“? Eine Ausstellung, die untersucht, wie Künstler reagieren auf die gravierende gesellschaftliche Veränderung in der Stadt? Zu früh? Zu spät? Zu unaktuell? Betrachtet man die Touristenströme an der Bernauer Straße oder am Checkpoint Charlie, lässt sich die museale Zurückhaltung jedenfalls nicht mit „Kassengift“-Argumenten erklären.
Das Berliner Stadtmuseum, immerhin, hat 2009 zum 20. Jahrestag des Mauerfalls eine erste Überblicksausstellung vorgelegt, mit 30 künstlerischen Positionen und interessanten Gedankenschneisen. Zum Beispiel im Vergleich, was die Mauer in Ost-Sicht war und was in West-Sicht. Bild- und Abbildungsverbot auf der einen Seite, unterlaufen in schnell weiterzureichendem Material wie Zeichnungen und Grafiken, etwa von Manfred Butzmann, Sabina Grzimek oder Robert Rehfeldt. Nicht zu vergessen Konrad Knebels einzigartige Stadtbilder, die das Stadtmuseum in einer Einzelausstellung würdigte: Da zieht sich die Mauer als weißes Band durch die Altbauten an der Strelitzer Straße, monochrom grau-braun die Ansichten, und die Mauer darin weiß wie ein Phantom. Im Westen hingegen dominieren zur gleichen Zeit Stadtidyllen, spielende Kinder, Picknick und Gartentische. Die Kreuzberger Wilden vom Moritzplatz, rund um Rainer Fetting, die die Mauer in den Siebzigern wiederholt ins Bild holen, haben sie gewissermaßen täglich vor der Nase, nehmen sie wahr als Teil ihrer Stadtlandschaft. Hinzu kommt, besonders bei Wolf Vostell, die Faszination für das Medium Beton, das überdeckt, verdeckt. Er übergießt die Mauer auf Bildern noch einmal mit Beton.
Beton, das ist das Stichwort. Das weiße Band, gedacht als tödlicher Schattenfänger für Flüchtlinge im Grenzstreifen, erweist sich als ideale Projektionsfläche, als Kunst-Träger. Mehr als alles andere ist „Mauerkunst“ konnotiert mit der Kunst auf der Mauer, der Graffiti-Kunst, die seit den Siebzigern dort ihre Blütezeit erlebte. Künstler wie Thierry Noir, Christophe Bouchet, Alexander Hacke, Michael Gremenz oder Keith Haring verwandelten die West-Berliner Seite in eine einzigartige Freiluftgalerie, die nach Mauerfall ihren Weg in Bruchstücken in alle Welt findet und in den Relikten an der East Side Gallery in Ansätzen weiterlebt.
Heinz J. Kuzdas hat diese Mauerbilder in seiner Foto-Dokumentation der letzten zehn Jahre vor dem Mauerfall festgehalten und schickt sie seitdem erfolgreich um die Welt. Dass die provokant-politische, fröhlich-bunte Street-Art, die an der Berliner Mauer Platz und Themen im Übermaß fand, seit den Neunzigern etwas ins Hintertreffen geriet – vielleicht hat es auch mit dem Wegfall des Feindbilds nach dem Ende des Kalten Kriegs zu tun.
Vielleicht fasziniert aber auch schlicht die Ausdehnung: 43 innerstädtische Kilometer, 112 Kilometer im Außenring. Diese Dimension erfahrbar zu machen, mit solchen Ambitionen brach Hans W. Mende 1978 zu seinen Grenzgängen auf. Auch der japanische Künstler Shinkichi Tajiri dokumentierte 1969/70 die innerstädtische Mauer in 550 Fotografien. Thomas Kummerow nahm 1985/86 sechs Kilometer vom Spreeufer bis Kreuzberg lückenlos auf („May we have another Wall please, this one is dirty“).
Tilda Swinton radelte 1988 an der Mauer entlang, und wiederholte die Aktion 21 Jahre später („Cycling the Frame/The invisible Frame“). Matthias Kupfernagel nutzt im Winter 1989/90 seinen Kontakt zu DDR-Grenztruppen, um die Gesamtheit der Mauer zu dokumentieren, aus Wachtürmen heraus und im Todesstreifen. Marcus Kaiser spielt 1989 mit der Mauer, indem er die von Mauerspechten geschlagenen Lücken als Lochkamera verwendet, einmal von Osten, einmal von Westen.
Dass das Monsterbauwerk so spurlos verschwinden konnte, das beschäftigt die Kunst offenbar fast ebenso sehr wie die Tatsache, dass es einmal existierte. Beliebt sind Gegenüberstellungen vorher/nachher, Berliner Straßen mit Mauer und ohne, etwa vom taz-Reporter Michael Magercord, der von 1986 bis 1993 Streifzüge unternimmt. Stephen Kaluza („Die unsichtbare Mauer“) und Dominique de Rivaz („Endlosschleife“) machen sich in den Neunzigern zu Wanderungen entlang der ehemaligen Grenze auf, die sie in eindrucksvollen Panoramen verarbeiten.
Da ist von der ehemaligen Betonwand nicht mehr viel zu sehen, dafür viel überwachsene Natur, Brachland, das sich mit Immobilienarchitektur, Vorortsiedlungen oder improvisierten Zwischennutzungen füllt. Die mit einem spektakulären Fund aufwartende Ausstellung von Arwed Messmer und Annett Gröschner „Aus anderer Sicht“, die derzeit Unter den Linden 40 präsentiert wird, zeigt in ihren Großpanoramen von Ost-Berliner Grenzansichten die überwältigende Dimension des die Stadt zerschneidenden Bauwerks.
Doch so vielfältig die Mauerspiegelungen in der Kunst – das Medium, das eindeutig die Nase vorn hat, ist die Fotografie. Ob nüchterne Bestandsaufnahme oder Schrebergarten-Idylle, Kreuzberger Straßenszenen oder Ereignisreportagen von Mauerbau und Mauerfall: Die Fotografie, mehr als alle Kunst und Literatur, spiegelt die Dramatik der Ereignisse, spiegelt die Unmenschlichkeit der Teilung, spiegelt auch die Sehnsucht nach dem Leben auf der anderen Seite.
West-Berliner Fotografen wie Bernd und Ute Eickemeyer oder Karl Ludwig Lange dokumentieren den anderen Teil der Stadt, Thomas Hoepker zeigt offizielle Aufmärsche und private Feiern und immer wieder Kinder an der Mauer. Auch der norwegische Fotograf Arild Kristo begleitet 1963 den kleinen Manfred auf seinen Touren mit dem Dreirad entlang der Mauer.
Leben mit der Mauer. Leben trotz der Mauer. Robert Häussler, der 1952 aus der DDR aussiedelt und 1983 die Mauer aus West-Berliner Sicht fotografiert – die Fotos wurden 2009 wiederentdeckt –, kommt zum Schluss: „Nach Nazizeit, Hitlerjugend, Militär, Gefangenschaft, Sowjetzone war ich nach meiner Flucht 1952 aus der DDR, mit 28 Jahren, zum ersten Mal ein freier Mensch. Jahre später, beim Anblick der Mauer, bestürzte mich der Gedanke, ich hätte hinter dieser Mauer weiter leben müssen.“ Davon, zumindest, kann die Kunst erzählen.
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