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Hannah Arendt und Martin Heidegger
© picture-alliance/dpa

Heideggers "Spiegel"-Interview: Das Ungeheuerliche beschweigen

Seinsgeschichte und Antisemitismus: Lutz Hachmeister untersucht das Testament des Philosophen Martin Heidegger - ein "Spiegel"-Interview aus dem Jahr 1966, das dann erst 1976 kurz nach Heideggers Tod erschien.

Zum 125. Geburtstag des Philosophen Martin Heidegger im September plant seine Heimatstadt Meßkirch eine zweitägige Gedenkfeier. Höhepunkt soll das Filmkonzert „Schwarzwald – Klangfarben und Lichtblicke“ werden, in dem der Schauspieler und Synchronsprecher Christian Brückner, untermalt von Orchestermusik, einen HeideggerText spricht. Das hätte dem Meisterdenker gewiss gefallen. Doch den Herausgebern und Anhängern seiner Werke ist zurzeit nicht nach Feiern zumute.

Am Vorabend der Veröffentlichung der ersten drei Bände (1931–1941) der „Schwarzen Hefte“ im Frankfurter Verlag Vittorio Klostermann, jener Denktagebücher, die der Philosoph an den Schluss seiner Werkedition verbannt haben wollte, waren durch selbst verschuldete Indiskretion der Herausgeber Belegzitate für eine systematische Judenfeindlichkeit Heideggers an die Öffentlichkeit gelangt.

Losgetreten wurde der Skandal von seinen schockierten französischen Gralshütern, dann rätselte das deutsche Feuilleton, ob die neue Affäre mehr Substanz als die vorherigen haben würde. Bislang hatte man sich trotz früher Hinweise von Edmund Husserl, Karl Löwith, Theodor W. Adorno oder Karl Jaspers sowie neueren Anklagen von Victor Farias oder Emmanuel Faye immer wieder gegen die Verurteilung Heideggers als Antisemiten gewandt, und auch ein vermisstes Heft aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, das bei dem Literaturwissenschaftler Silvio Vietta entdeckt wurde, lieferte keine belastenden Indizien.

Man blieb bei der Auffassung, dass die anfängliche Begeisterung des Philosophen für Hitler und den Nationalsozialismus bereits nach einem Jahr wieder abgekühlt sei. Er habe „lediglich“ mit einem zeitgemäßen kulturellen Vorurteil in privaten Gesprächen auf „bestimmte jüdische Denkweisen“ reagiert. Wenn selbst Jürgen Habermas urteilte, dass Heideggers „Sein und Zeit“ das „bedeutendste philosophische Ereignis“ seit Hegels „Phänomenologie des Geistes“ darstelle, dann wirkte das wie ein Schutzschild.

"Nur noch ein Gott kann uns retten" - mit diesem Heidegger-Zitat war das Interview überschrieben

Doch jetzt hat sich etwas geändert. Ein Heidegger, der auch noch nach 1938 an die Gültigkeit des „Rasseprinzips“ und die Verschwörung des „Weltjudentums“ glaubte, kann wohl nicht mehr als „genialster Denker seiner Epoche“ durchgehen, auch nicht bei den Werkbetreuern. Sein „intellektuelles Debakel“ („FAZ“) scheint besiegelt. Der französische Heidegger-Herausgeber François Fédier hält ihn zwar nach wie vor für den „falschen Verdächtigen“, doch die Verantwortlichen der deutschen Gesamtausgabe stellen sich immerhin die Frage, ob Heideggers „seinsgeschichtlich verbrämter Antisemitismus“ auch seine Philosophie „kontaminiert“ habe und kündigen an, Antworten „mit Bedacht“ zu suchen.

Zu nachsichtig allerdings erscheint die Erwägung, „ob Heidegger“ in pädagogischer Absicht „nicht vielleicht zeigen wollte, wie sehr sich eine philosophische Entscheidung versteigen und verirren kann.“ Das gleicht jener biografischen Verschleierung, die Heideggers beredtes Schweigen zum Holocaust als Ermöglichung lobte, „Auschwitz zu denken“. Was Heidegger sagen wollte und was nicht, kann man in seinem legendären „Spiegel“-Gespräch von 1966 nachlesen, das aufgrund einer Verfügung erst 1976, nach seinem Tod, veröffentlicht wurde – mit der Überschrift „Nur noch ein Gott kann uns retten“. Die jetzt von Lutz Hachmeister vorgelegte Dokumentation der Entstehungsgeschichte dieses „Testaments“ gibt nicht nur Auskunft über das Selbstinszenierungsvermögen des Philosophen, sondern hilft auch zum besseren Verständnis mancher Aussagen in den „Schwarzen Heften“.

Das Cover von Hachmeisters Buch: Heidegger und Augstein
Das Cover von Hachmeisters Buch: Heidegger und Augstein
© Verlag

Zugleich wird an die kulturhistorische Ambivalenz der sechziger Jahre erinnert, an ein Milieu, in dem Rudolf Augstein das Ressort Geistesgeschichte vom ehemaligen SS/SD-Offizier Georg Wolff betreuen ließ. Heidegger erwählte den „Spiegel“ also nicht zufällig zu seinem Testamentwahrer. In einem sechsseitigen Brief an Augstein begründete er das mit dem sophistischen Hinweis, dass „äußerste Gegensätze“, wie sein philosophisches Denken und der „notwendige Auftrag“ des „Spiegel“, in „der heutigen Zeit“ zusammengehörten. Die gestellten Fotos vom „historischen Gespräch“ in der Todtnauberger Berghütte symbolisieren aber keinen Aufbruch in moderne Zeiten. Sie dokumentieren eher die archaische, fast religiöse Einsamkeit des Südschwarzwaldes.

Augstein und vor allem Wolff versuchen, Heidegger zu Erklärungen zu bringen, die für alle Deutschen erlösend wären. Doch Heidegger will nicht über Hitler, Himmler oder Goebbels reden, sondern darüber, dass die Deutschen und ihre Sprache auch weiterhin die besonderen Hüter der abendländischen Sendung der Vorsokratiker sein sollen. Alle Fragen nach Hitler, deutscher und eigener Schuld werden von Heidegger (der für ein Foto demonstrativ seine Denkerzipfelmütze aufzieht) in einen technikphilosophischen Diskurs umgebogen.

Jede Form moralischer Reflexion und Distanzierung lehnt er konsequent ab und verweist im Zweifelsfall auf Hölderlin und einen dem Deutschtum freundlich gesonnenen Gott. „Das Wesen der Technik“ beschreibt als ein kybernetisches Modell, welches er „Ge-Stell“ nennt und von dessen „Walten“ der Mensch abhängig sei. Die Philosophie sei ohne Schuld der Philosophen an ihr „Ende“ gekommen, und ein „anderes Denken“ kündige sich an.

Wenn Heidegger die NS-Herrschaft auf ein System technischer Abläufe reduziert, dann werden auch Terror und Antisemitismus entindividualisiert. Das hatte er bereits in seinen berüchtigten Bremer Vorträgen von 1949 erläutert, in Bildern und Vergleichen, die sich nicht mehr mit den Kategorien von Rassismus und Antisemitismus erfassen lassen: „Hunderttausende sterben in Masse. Sterben sie? Sie kommen um. Sie werden umgelegt. Sterben sie? Sie werden Bestandsstücke eines Bestandes der Fabrikation von Leichen. Sterben sie? Sie werden in Vernichtungslagern unauffällig liquidiert.“ Oder: „Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern.“

Kurz nach dem "Spiegel"-Gespräch traf sich Heidegger auch mit Paul Celan

Das Ungeheuerliche an solchen Sätzen ist, dass Heidegger die Vernichtung der Juden als Seinsgeschick auffasst. Da sie in den Lagern nicht mit „seynsgeschichtlichen“ Sakramenten versehen waren, konnten sie gar nicht sterben („den Tod in seinem Wesen vermögen“). Für Emmanuel Faye ist dieser „ontologische Negationismus“ nichts anderes als ein Leugnen des Holocaust. Da Heidegger die brisanten Passagen seiner Bremer Vorträge nicht gleich veröffentlichen wollte (sie wurden erst 1994 vollständig zugänglich), ist zu vermuten, dass Augstein den wahren Hintergrund des „Testaments“ nicht (er)kannte.

Martin Heidegger jedenfalls scheint sich nach dem „Spiegel“-Gespräch so erleichtert und sicher gefühlt zu haben, dass er sich nur wenige Monate später in seiner Berghütte auch mit dem jüdischen Dichter und Holocaust-Überlebenden Paul Celan traf. Über die Bedeutung dieser irritierenden Begegnung wird bis heute gerätselt. Mit seiner „Todesfuge“ war Celan zwischen die Fronten und in eine Isolation geraten. Die Kritik Adornos („barbarisch“) und der Hohn der Gruppe 47 („Synagogen-Singsang“) wirkte immer noch nach.

Teilten der Dichter und der Philosoph den Glauben an eine gemeinsame Sprache im Geiste Hölderlins? Überliefert wurden nur Hieroglyphen des Schweigens. Celan hinterließ in Heideggers Hüttenbuch seine „Hoffnung auf ein kommendes Wort im Herzen“. In seinem Gedicht „Todtnauberg“ hat er den Satz wiederholt – doch Heidegger schwieg weiter. Celan war nicht der Bruder des deutschen Philosophen, sondern seine Antithese und Heimsuchung.

Lutz Hachmeister: Heideggers Testament Der Philosoph, der Spiegel und die SS. Propyläen, Berlin 2014. 368 S., 22,99 €. Buchvorstellung am 11.3. um 20 Uhr im Literaturhaus Berlin.

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