Goetz-Roman "Johann Holtrop": Das Ungeheuer von Loch Kaputtness
In seinem Wutroman „Johann Holtrop“ stürzt sich Rainald Goetz in die Abgründe eines Medienkonzerns.
Bevor sein heute erscheinender Roman „Johann Holtrop“ überhaupt beginnt, bringt Rainald Goetz dessen Stimmung und Motivation auf den Punkt: „Wütend schritt ich voran.“ prangt es als Motto unübersehbar auf der ersten Buchseite, ein Satz aus Goetz’ frühem Theaterstück „Krieg“. Bloß keine falsche Altersmilde vorschützen! Damals war schon alles angelegt. Und als es mit der Beschreibung von einem der Romanschauplätze losgeht, ist das Wutlevel schon enorm hoch.
Ein Bürohaus im fiktiven ostdeutschen Örtchen Krölpa, das einem weltweit operierenden, der Bertelsmann AG nachgebildeten Medienkonzern namens Assperg gehört. Dieses Bürohaus steht da nicht nur einfach so, sondern „sinnlos riesig in der Nacht“; auch das „glutrote Firmenlogo“ leuchtet nicht einfach nur glutrot, sondern es „leuchtete einsam, böse und rot“; und das Assperg-Haus ist nicht nur irgendein nichtssagender Neubau, sondern „so kaputt wie Deutschland in diesen Jahren, so hysterisch kalt und verblödet konzeptioniert, wie die Macher, die hier ihre Schreibtische hatten, sich die Welt vorstellten, weil sie selber so waren, gesteuert von Gier, der Gier, sich dauernd irgendeinen Vorteil für sich zu verschaffen (...).“
Keine Frage: Rainald Goetz’ Roman über die Wirtschaftswelt und den Auf- und vor allem Abstieg des Vorstandsvorsitzenden Johann Holtrop ist ein zorniger Roman, der zudem den sprechenden Untertitel „Abriss der Gesellschaft“ trägt; eine Abrechnung mit dem Gebaren der Wirtschaftslenker, mit deren „Phantasma der totalen Herrschaft des Kapitals über den Menschen“. Goetz kennt kein Erbarmen, bis zum Ende von „Johann Holtrop“ bleibt das Wutlevel gleichbleibend hoch.
Das ist erstaunlich konsequent, aber auch ein Problem dieses Romans, dessen Veröffentlichung in den vergangenen Monaten mehrmals verschoben wurde – und von dem man lange Jahre gar nicht geglaubt hatte, das er überhaupt erscheinen würde. Denn nach seinen ergiebigen Exkursionen in die Welt des Nachtlebens, der Medien und von Berlin-Mitte in den neunziger Jahren, mit Büchern wie „Rave“ oder „Abfall für alle“, war Goetz im darauf folgenden Jahrzehnt in eine Schreibkrise geraten. Er hatte sich an einem Roman über den politischen Betrieb verhoben, sich „ganz und gar in die Falschheit verrannt“, wie er in seinem 2009 unter dem Titel „Loslabern“ veröffentlichten Bericht über den Herbst 2008 bekannte. Das Angebot von Ulf Poschardt, einen Blog für den deutschen Ableger des „Vanity-Fair“-Magazins zu schreiben, führte Goetz 2008 heraus aus der Falschheit und der Krise. Er begann wieder eifrig zu publizieren, und insbesondere in diesem Jahr hielt er seine Fans zudem mit diversen öffentlichen, nicht zuletzt das mediale Feld bestellenden Auftritten bei Laune: von der Entgegennahme des Berliner Literaturpreises über seine Antrittsvorlesung als FU-Gastprofessor bis hin zu einer bizarren Übergabe der „Johann-Holtrop“-Vorabexemplare an seine Kritiker.
Dieser Johann Holtrop also, Chef des Medienhauses Assperg, Herr über 80 000 Mitarbeiter, ist eine Sau, aber keine coole, ein Unsympath und fieser Machtmensch, „so manchen hatte er im Vorbeigehen wegstoßen müssen.“ Und er wird auch dann kein anderer Mensch werden, da Goetz ihn im Verlauf der Geschichte auf seinen Weg nach unten, in die Machtlosigkeit begleitet. Tatsächlich ist der Fall des Assperg-Vorsitzenden überhaupt eine der wenigen, sich aber früh abzeichnenden Bewegungen dieses Romans. In Johann Holtrop selbst bewegt sich nichts. Er nutzt „die strukturelle Kaputtheit des Systems der Verachtung“. Als dieses System sich gegen ihn selbst wendet, ist da nur noch: Leere.
Rainald Goetz interessiert sich nicht groß für die Psychologie seiner Hauptfigur und natürlich auch nicht für die seiner zahlreichen Nebenfiguren, geschweige denn, dass er diese in ihren ganzen Widersprüchlichkeiten charakterisieren will. Seine Figuren sind Funktionsträger, nicht mehr. Die Sprache des Romans ist dem präzise angemessen: Sie ist kalt, technisch, berichthaft. Nur selten lässt Goetz mal einen poetischen Lichtstrahl herein, erlaubt er sich einen wutabsorbierenden Kalauer, verfällt er in die ihm auch eigene Popsprache: „Management by Charisma war gestern. Auch gesteigerten Inhaltismus hatte sich Holtrop verordnet (...)“ Goetz geht es um die Psychologie der Macht, die sich dann wiederum vor allem über Sprache und Gesten vermittelt: über Sprachfloskeln und Fertigtexte wie „Wir müssen die Schlagzahl verdoppeln“, „Wir müssen das Tempo drosseln“ oder „Die Zeit der leeren Versprechungen ist vorbei“. Und über markige, selbstbewusste Auftritte oder einfache, Verunsicherung signalisierende Wutausbrüche. Das hat Charme, da gibt es reizvolle, großartige Szenen. Und das besitzt auch eine gewisse Allgemeingültigkeit, sind solche Machtdemonstrationen doch kein Alleinstellungsmerkmal von Medienkonzernen wie Bertelsmann und Springer, von Menschen wie Thomas Middelhoff oder Liz Mohn, von Leo Kirch oder Frank Schirrmacher, die Rainald Goetz hier als reale Vorbilder seiner Fiktion verwandt hat.
Nur bleibt diese Erkenntnisfreude während der Lektüre nicht lange erhalten. Die Analyse, das Demaskieren von Macht allein trägt kein Buch von dreihundertvierzig Seiten, das erschöpft sich schon bald. Goetz kennt keine Empathie mit seinem Personal, auch nicht mit den „Souschefs“, „Unters“ und den „Weggestoßenen“. Sein wütendes Voranschreiten kennt nur eine Richtung, was „Johann Holtrup“ wiederum in eine seltsame Bewegungslosigkeit versetzt. Spätestens mit dem Beginn des zweiten, im Jahr 2002 einsetzenden Kapitels des von dem ordnungsfanatischen Goetz wie üblich auf drei Kapitel aufgeteilten Romans liest sich dieser wie eine Art Nummernprogramm: Vorstandssitzungen, Geheimtreffen, Holtrop bei Verhandlungen in Hongkong, gesellschaftliche Events, die Beerdigung eines von Holtrop entlassenen engen Mitarbeiters, Holtrop, der enerviert ist von seinem persönlichen Referenten Dirlmeier, der sich mit dem „Hochfinanzspezialisten“ Mack trifft, der eine Rede im Hamburger Überseeclub hält „und anders als neulich im Berliner ICC vor den versammelten Aktionärsidioten (...) den Kämpfer in sich wieder aufstehen“ spürt. Szene für Szene baut Goetz auf, immer zu dem Zweck, die Kaputtness des Ganzen zu illustrieren, den Zynismus der Macht, ihre Inkompetenz, den Niedergang seiner Hauptfigur. Deren Kampf dagegen ist aber nicht besonders aufregend, weil ihr jede Reflexionsebene jenseits der eigenen Großartigkeit abgeht.
Goetz’ Roman fehlt ein Gegengewicht, und man fragt sich, was das Wörtchen „Liebe“ auf dem Rücken des Romans zu suchen hat, eingeklemmt zwischen „Weltmeer“ und „Wahrheitswahn“? Von Liebe ist hier keine Spur, schon gar nicht zu den Menschen. Da hilft auch das im Schnelldurchlauf erzählte dritte Kapitel nicht mehr. Holtrop ist nach einem Psychiatrieaufenthalt ein gebrochener Mensch, ohne dass diese Gebrochenheit bei ihm irgendwas verändern würde. Er versucht, im „Dialog mit seinem Ich zu leben“, ohne dass ihm das gelänge. Wieder und wieder gibt es auch in diesem Schlusskapitel die Geschichten darüber, wie die Mechanismen der Macht greifen.
Nur einmal staunt und stutzt man, als Goetz sich doch tatsächlich noch der Frau von Holtrop zuwendet, Pia, er ihren Werdegang skizziert, die Emanzipation von ihrem Mann. Wie viel Funken aus dieser Beziehung hätten geschlagen werden können! Doch kommt das viel zu spät. Aus seiner Schieflage gerät dieser Roman durch Pia Holtrop nicht mehr.
Rainald Goetz: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 343 Seiten, 19, 95 €
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