Barbara Morgenstern: Das süße Schweigen
Barbara Morgenstern prägt Berlins Electronic-Szene seit vielen Jahren. Auf ihrem siebten Album zeigt die 41-Jährige nun ihre lebensfrohe Seite - und singt zum ersten Mal nur Englisch.
Neues Album fertig machen, sich zurücklehnen und den Rest der Arbeit dem Plattenlabel überlassen? So war das vielleicht früher einmal. Aber jetzt ist alles anders. Barbara Morgenstern, 41, sitzt in ihrer Altbauwohnung in Berlin-Mitte, die glatten braunen Haare wie gehabt nicht ganz schulterlang und mädchenhaft, und zitiert eine Freundin: „Das Understatement der neunziger Jahre – vergiss es, das ist vorbei.“ Eine neue Platte herauszubringen, das bedeutet 2012 für sie: Gemeinsam mit dem Lebenspartner, einem Webdesigner, die Online-Promotion-Arbeit übernehmen. Kontakte spielen lassen, um Konzertauftritte an Land zu ziehen. Facebook, Youtube, Soundcloud und andere Internet-Schnittstellen bedienen. Stücke zum freien Download anbieten. Blogs anschreiben: „Ich schreibe: Hey, jetzt habe ich diesen tollen Song gemacht. Und denke mir dabei: puh – interessiert das überhaupt jemanden? Wenn die Leute nicht von dir gehört haben, dann bist du einfach nur eine Spam-Mail mehr. Ich habe ja ein gewisses Standing. Aber wenn du neu bist – superhart“.
Neu ist Barbara Morgenstern wirklich nicht. Die in Hagen geborene Musikerin gehört seit 1994 zur Electronic-Szene Berlins, hat sich mit leisen und melancholischen Klängen, mit mehrdeutigen deutschen Texten einen Namen gemacht. Dass elektronische Musik „Made in Germany“ weltweit zum Markenzeichen geworden ist, liegt auch ein bisschen an ihr. Auf „Sweet Silence“ (Monika Records), dem neuen Album, singt Barbara Morgenstern nun erstmals komplett in Englisch. „Ich wollte etwas machen, was zugänglicher ist“, begründet sie den Schritt, „elektronische Musik und deutsche Texte, das hat sich ein bisschen überlebt.“
Die Fremdsprache geht der Musikerin ganz gut über die Lippen, ein leichter Akzent sorgt für eine charmante Note. Sie erzählt mal persönliche, mal politische Geschichten. Eingebettet sind die Texte in komplett elektronische, sehr luftige Sounds. Barbara Morgenstern spricht von ihrem bislang „ausgedünntesten Album“, die sehr hellen, manchmal fast schon glockenspielartigen Sounds umspielen die reduzierten Beats: „Poppig ist natürlich immer ein Superschwammwort, aber ich hatte vor, ein poppiges Album zu machen, ich wollte für mich selber ein Spaßalbum machen. Im Sinne von: Ich denk jetzt nicht so viel nach“.
Das Berliner Clubleben hat ihren Sound geprägt
Seit 1994 lebt Barbara Morgenstern in Berlin, ihre Musik hat mehr als nur ein bisschen was mit der Stadt zu tun. Das Clubleben hat seine Spuren in den Songs hinterlassen, genauso wie die Musiker, die sie in dieser Zeit kennengelernt hat, von Gudrun Gut über Thomas Fehlmann und Pole bis hin zu Planningtorock.
Auch der poppige Sound auf dem neuen Album ist nicht allein ihr Werk, mitverantwortlich ist Marco Haas. Der Berliner Produzent und Mitbegründer des Labels Shitkatapult, der unter seinem Pseudonym T. Raumschmiere normalerweise bratzige, knarzige Technoklänge hervorbringt, hat „Sweet Silence“ gemischt und dabei eigene Vorlieben zurückgestellt. Die Stimme Morgensterns hat er ohne große Effekte aufgenommen, die Melodien kommen spielerisch daher, die Beats mal gerade, mal ein bisschen verstolpert, aber selbst dann machen sie keinen übermäßig verkopften, zu komplexen Eindruck.
Marco Haas hat sich also auf die Singer-Songwriterin Barbara Morgenstern eingelassen, ihre Persönlichkeit in Sound übersetzt: Wahrscheinlich kann sie auch anders, aber sie ist, wenn man sich mit ihr unterhält, sehr quirlig und wach und locker. Diese unbeschwerte, lebensfrohe Seite spiegelt „Sweet Silence“ wider. Und das ist vielleicht das eigentlich Überraschende an Barbara Morgenstern im Jahr 2012. Dass ihren Songs komplett das Dunkle fehlt, das einen großen Teil ihrer früheren Lieder ausmachte.
Dabei gibt es eigentlich genug Gründe, sich ein wenig Sorgen zu machen und düster in die Zukunft zu schauen: Von ihren sechs Alben verkaufte Barbara Morgenstern jeweils nur ein paar tausend. Aber das brachte immer noch so viel ein, dass sie sich an das nächste machen konnte. Bei „Sweet Silence“ war es schon schwieriger: „Ich habe mich gefragt: Wovon lebe ich in der Zeit? Wie bezahlt man die Promo?“ Live-Auftritte sind auch nicht einfacher geworden. Der Markt ist überflutet, das bekommt auch Barbara Morgenstern zu spüren.
Und dann ist da ja auch noch das Internet, das alle Spielregeln geändert hat: „Es ist gerade eine komische Übergangszeit. Es ist schwieriger geworden. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass gerade viele neue Sachen entstehen, wo es bei vielen Leuten auch so knallt und abgeht.“ Und so schwankt die Musikerin zwischen „Geil, es fängt was Neues an!“ und „Es geht alles den Bach runter!“
Aber gäbe es denn überhaupt eine Alternative zum Musikmachen für sie, deren ganzes Leben um die Musik kreist? Barbara Morgenstern fing als Kind mit dem Klavierspielen an, kam dann über den Jazzunterricht zum Komponieren. Sie könnte sich vorstellen, Kurzfilme zu drehen, ihren eigenen Blog zu schreiben. Konkret ist nur die Angst vor einem Leben ohne Musik. Doch dann scheint schnell die Optimistin durch: „Ich fühle mich wieder ein bisschen so wie am Anfang. Es ist wie früher, es ist wie ein Neuanfang.“ Ein Neuanfang namens „Sweet Silence“.
Record -Release-Konzert: 1. Juni, 21 Uhr im HBC, Karl-Liebknechtstr. 9
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