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Seine Religion ist der Wind. Neil Young mit seiner Gitarre "Old Black", die, mehrfach restauriert, seit Jahrzehnten seinen Sound prägt.
© Hans Klaus Techt/epa

70. Geburtstag von Neil Young: Das reine Lustprinzip

Neil Young forever: Solange er Spaß an einer Sache hat, treibt er sie voran. Um Erfolg oder seinen guten Ruf hat er sich nie gekümmert. Zum 70. Geburtstag des wilden Rockmusikers.

Rock’n’Roll ist die Musik junger weißer Männer, die sich älter fühlen als sie sind. Dann werden diese Männer wirklich alt und die meisten verlieren darüber ihren Biss. Neil Young zeigt, wie man es richtig macht: Dass man nicht leiser werden muss mit den Jahren, sondern die Musik immer lauter, durchlöcherter sein kann wie eine vom Wind zerfetzte Fahne. Dass man stets Neues anfangen sollte. Dass auch zerfetzte Jeans okay sind.

Selbst in den Sechzigern, als noch Anlass dazu bestanden hätte, sich jung zu fühlen, handelte seine Musik nicht von der Anmaßung der Jugend, dem glühenden Triumph der Vitalität, obwohl seine viel zitierte Liedzeile, nach der es besser sei auszubrennen als zu vergehen, das nahegelegt hat. Neil Young fühlte sich schon mit 21 vom „sugar mountain“ und dessen dolce vita vertrieben. Die Hippieseele Youngs wollte ihr „heart of gold“ wiederfinden in dem klaren Bewusstsein, dass sie darüber alt werden würde. Die Kraft musste also für lange reichen.

Das tut sie bis heute. Erst im Sommer brachte der Unermüdliche, der am heutigen Donnerstag 70 wird, ein Album heraus, auf dem er sich den Agrarkonzern Monsanto zur Brust nahm, aufgenommen mit den Söhnen von Willie Nelson, die ihn von Kindesbeinen an Uncle Neil rufen. Er schrieb erst ein Buch über sein Leben, „Ein Hippie-Traum“, schließlich ein weiteres, die „Auto-Biografie“ über seine Leidenschaft für Oldtimer. Trotzdem wünschte er sich auf dem wuchtig-spätmeisterlichen Doppelalbum „Psychedelic Pill“ die frühere Unerschütterlichkeit zurück, mit der er „wie ein Gigant“ durchs Land geschritten war. Damals, in den Sechzigern, hätten sie die Welt retten wollen, sang er, „and it breaks my heart how close we came“.

Ein Fantast ist Neil Young nie gewesen und ein Rebell in dem Sinne auch nicht, dass er sich auf Kosten des Alten hätte profilieren wollen. Als er sich 1970 von seinem ersten kleinen Vermögen etwas südlich von San Francisco eine Ranch kaufte und sie nach einem frühen Song Broken Arrow nannte, da lebte ein betagtes Ehepaar auf dem 1000-Hektar-Anwesen. Der Vorarbeiter und seine Frau. Der alte Mann fuhr ihn herum und wunderte sich, wie ein junger Bursche von 24 Jahren mit langen Haaren so viel Geld hatte verdienen können, um sich das alles zu leisten.

Neil Young behielt den Mann als seinen Verwalter, der nach den Zäunen sah und dem Vieh. Um ihm eine Antwort auf seine Frage zu geben, schrieb er das wundervolle Lied „Old Man“. „Take a look at my life“, bat er, „I’m a lot like you were.“ Was nicht nur bedeutet, dass jeder Alte in der jüngeren Generation, die er nicht mehr zu begreifen meint, ein Stück seiner eigenen Vergangenheit entdecken kann. Neil Young hoffte als Jungmillionär von dem alten Farmer vielmehr in Dinge eingeweiht zu werden, die Bestand haben würden, „die nicht verloren gehen wie die Münze in einem Automat“.

Seine Enttäuschungen setzen Rost an

Neil Young lebt immer noch auf dieser Farm. Als er zwischenzeitlich knapp bei Kasse war, verkaufte er ein paar Hektar seines Landes, das sich über malerische Hügel bis zur Küste erstreckt. In den Hügeln fängt sich der Nebel. Diesen Ort hat sein Manager als „Samtkäfig“ gehasst. Young betrachtete ihn als seine „Filter-Anlage“. Die Welt würde nur in erträglichen Portionen zu ihm durchdringen. Für seine Kreativität bedürfe es „eines guten Platzes“, meinte er in einem „New York Times“-Interview, „und dann befindest du dich entweder auf dem Weg dorthin oder von dort weg.“

Angry old Man. Seit Neil Young mit dem Schreiben von Büchern begonnen habe, sei er weniger wütend, sagt er. Kann man es glauben?
Angry old Man. Seit Neil Young mit dem Schreiben von Büchern begonnen habe, sei er weniger wütend, sagt er. Kann man es glauben?
© picture alliance / dpa

Ein berühmtes Foto von 1988 zeigt Young auf dem Heimweg. Sein britischer Sportwagen, Bestandteil einer immer größer werdenden Sammlung, zuckelt über einen Feldweg voraus, gefolgt von dem Wagen, in dem seine Bandkollegen Crosby, Stills und Nash sitzen. Die Musiker kommen von einer gemeinsamen Probe. Es ist Graham Nash, der das Bild schießt. „Neil saß natürlich nicht bei uns im Wagen, so ist Neil.“

Wie oft ist der Autonarr am Steuer eines seiner zahllosen Sammlerstücke fotografiert worden, von denen jene, die er nicht restauriert hat, unter Bäumen verrotten? Er betrachtet sie in seinem neuen Buch „Special Deluxe“ (Kiepenheuer & Witsch, 415 Seiten) als Sinnbilder dessen, was eben nicht geklappt hat in seinem Leben. Er hat jedes seiner zahllosen Autos in einer Zeichnung festgehalten. Seine Enttäuschungen setzen im Gegensatz zu den unverarbeiteten Traumata vieler Zeitgenossen einfach nur Rost an.

Wenn erklärt werden müsste, was Rockmusik ist und was die gute von der schlechten unterscheidet, wäre Neil Young der ideale Kronzeuge. Wer sonst hat die von Adorno beklagte Regression zum Instinktwesen in der Popkultur so sehr ins Positive gekehrt? Neil Young verkörpert das reine Lustprinzip. So lange er Spaß an einer Sache hat, treibt er sie voran. Um Erfolg oder um seinen guten Ruf hat er sich nie gekümmert. Eine Tournee mit Stephen Stills brach er ab und schickte dem verdutzten, langjährigen Partner bloß ein Telegramm des Wortlauts, wie komisch es sei, dass Dinge, die spontan beginnen, nun einmal zu Ende gehen würden. „Eat a peach, Neil.“

Iss einen Pfirsich und vergiss es! Mit dieser Haltung geht Neil Young durch ein Leben wachsender Verehrung. 1972 mit der Veröffentlichung von „Harvest“, seinem einzigen Nummer-eins-Albums, zum lebenden Klassiker geworden, erwählte ihn die Grunge-Generation später als ihren Schutzheiligen. Heute gilt er als größter lebender Rockmusiker. Der Blick zurück, mit dem sich die meisten seiner Altersgenossen behelfen, behagt ihm nicht. Er tourt nicht mit seinen besten Songs durch die Lande, Kooperationen meidet er, und die Veröffentlichung alter Archivbänder treibt er eher schleppend voran. Stattdessen wirbt er in Kampagnen für die ökologische Wende, ließ einen alten Straßenkreuzer zum Elektroauto umbauen und rechnet nun zerknirscht die Kohlendioxidmengen auf, mit denen er in der Vergangenheit die Luft verpestet hat.

Es passt da schon äußerst gut, dieses Bild eines britischen Sportwagen von hinten, darin ein Hinterkopf, ein sich selbst genügender Loner, auf dem Weg in sein privates Paradies. „Der Wind ist meine Kirche“, sagt er. Es ist ein Sturm.

Tatsächlich führte der Weg in Neil Youngs Kopf über einen Parkplatz irgendwo am Skyline Boulevard, der sich im Süden von San Francisco durch die Sacramento Mountains windet. Beim Erscheinen seines ersten autobiografischen Buchs 2012 war der Parkplatz der Treffpunkt, an dem er Journalisten auflas. Neil Young saß am Steuer eines seiner historischen Gefährte. „Ich bin immer besser darin gewesen, mich zu bewegen, als still zu stehen“, sagte er David Carr von der „New York Times“, während sie durch die Gegend kurvten und den Ballast von über 40 Alben, von Farm-Aid-Festivals, von epochalen Songs wie „Rockin’ in The Free World“, „Ohio“, „The Needle & The Damage Done“ oder „Helpless“ mitschleppten, jeder ein manifestes Zeugnis dafür, was ein einzelner mit einer Gitarre in Bewegung setzen kann. Doch für Young war nur wichtig, dass er heute mehr über manche Dinge wisse als zuvor, denn er habe sie einfach ausprobiert.

Viele Rockmusiker-Karrieren verlaufen so: lauter früher Ruhm und der Rest des Lebens, in dem es um einen immer stiller wird. Erst ist es vielleicht nur eine Akustikgitarre, mit der die früheren Raufbolde ihrem Alter entsprechen, danach wird es ganz still. Neil Young ist immun gegen diesen Kreislauf der Pop-Verwertung. Da ist einerseits der brachiale Gitarren-Mystiker, der seinem Instrument berstende Sounds entlockt; auf der anderen Seite der Songwriter mit der hellen, verletzlichen Stimme, der vom Kontrollverlust eines Epileptikers erschütterten Mädchenstimme, der mit Balladen wie „After The Goldrush“ oder „Don’t Let It Bring You Down“ gegen die Bequemlichkeit der Post-Hippies anspielte. Auf Phasen des Lärms folgten stets wie von einem Unwetter gereinigte Songzyklen.

Änderte sich was nach dem Hirn-Aneurysma? Er gab das Pot-Rauchen auf

Trotz seines enormen Ausstoßes an Songs hat er selten den Ehrgeiz entwickelt, sie zur Perfektion zu treiben. Viele sind wie von selbst die perfekten Lieder geworden, auf die sich sein Weltruhm stützt. Daneben gibt es so viel Misslungenes, Halbfertiges, blöde in den Raum gestelltes Zeug, ja ein ganzes Jahrzehnt über blieb er so weit unter seinem Niveau, dass man sich über seine Wiederkehr Anfang der Neunziger nur wundern konnte. „Statt zu der Methode zurückzukehren, von der er wusste, dass sie funktionieren würde", lobte Flea von The Red Hot Chili Peppers einmal, "war es ihm wichtiger zu zeigen, an welcher Stelle er sich gerade befand."

Flea bewundert daran die Charakterstärke. Aber es gibt auch einen anderen Verdacht. So stur konnte Neil Young nur sein, weil er nicht las.

Er sei sogar stolz darauf, keine Bücher zu lesen, gestand er Alec Wilkinson, als der neben ihm im Auto Platz genommen hatte. Young erklärte, dass ihn Lesen vom Songwriting abhalte, als handele es sich um eine atmosphärische Störung. Vielleicht dachte Neil Young dabei an Pete Seeger, der behauptet hatte, ein Buch lese man nur einmal, einen Song höre man immer wieder, weshalb ein Song machtvoller sei als das geschriebene Wort. Aber wahrscheinlich dachte er an gar nichts. Wilkinson fühlte sich auf der Autofahrt "wie gefangen mit jemandem, dessen Geist keine Reichweite besitzt. Er konnte nur über Dinge sprechen, die er empfunden, gesehen oder über die er nachgedacht hatte. ... Ein Teil von ihm schien in früher Kindheit eingesperrt worden zu sein."

Die Konversation mit einem Buch zu verweigern, ist für Wilkinson der Schlüssel zu Youngs "irritierender Schlichtheit". Aber dieser Mangel an literarischen Einflüssen hat ihn Klänge von schockierender Intensität erzeugen lassen. Seinem ziellosen Wesen geben sie Härte und Gewissheit. „Wenn ich Gitarre spiele“, erklärte er dem „Esquire“-Magazin“, „erreiche ich einen Punkt, an dem es sehr kalt wird in mir, richtig eisig. Jeder Atemzug fühlt sich an wie am Nordpol, Dein Kopf beginnt zu frieren. … Es hat etwas Magisches. Wenn es geschieht, fragst du dich, ob du wieder okay sein wirst und das aushalten kannst.“

Auf diese Weise wiederholt sich in Youngs Musik stets aufs Neue die Angst des Egomanen, die Kontrolle zu verlieren. Sie ist seine Therapie, es geschehen zu lassen. Sein Sohn Ben war ihm in dieser Hinsicht ein wichtiger Ratgeber. Als der schwer behindert zur Welt kam, machte das den Vater zeitweilig so wütend, dass der darauf wartete, auf den Nächstbesten, der eine falsche Bemerkung fallen ließe, loszugehen. Doch schließlich habe ihn dieser Junge, unfähig, mit seinem Vater zu kommunizieren, gelehrt, dass alles okay ist. "Nur indem er da ist."

Als Young 2005 in New York auf offener Straße zusammenbricht, hätte das schon sein Ende bedeuten können. Nach einer Gehirn-OP, bei der ein Aneurysma entfernt wurde, platzte nun ein Blutkanal. Doch ein Hotelportier handelte schnell. Young überlebte knapp. Änderte es irgendetwas? Ließ es ihn kürzer treten? Er gab das Pot-Rauchen auf. Ansonsten stürzte er sich gleich wieder in Filmprojekte, in die Aufnahmen zu neuen Alben, die lauter waren als je zuvor, und machte weiter. Er verließ seine "Geistesverwandte" und Frau Pegi nach 36 Jahren Ehe. Aber wenn er dann in dem Song "Drifting Back" doch einmal in der Zeit zurückreist, zu dem Typen, der er selbst gewesen war, der Picasso geringgeschätzt und sein Geld zu einem Guru getragen habe, fiel ihm als Entschuldigung nicht mehr ein als „hey now now hey now now“. So ist er.

(In einer früheren Version des Artikels hieß es fälschlicherweise, Neil Young sei wegen des Hirnaneurysmas in New York zusammengebrochen. Tatsächlich war es aber so, wie Andreas Müller berichtigt: Das Aneurysma kündigte sich an und konnte ganz undramatisch behandelt werden. Einfacher Eingriff. Aber: dann eben ging die Arterie oder Vene oder was Wochen später auf. Zum Glück auf der Straße, wo zufällig ein Rettungswagen zur Stelle war. Wäre es im Hotel passiert, - er wohnte im 24. Stock oder so - wäre Young rasend schnell verblutet. Die Sanitäter hätten nicht schnell genug bei ihm sein können.)

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