Film "Before Midnight": Das Paar, Anfang vierzig
Flirtpaar, Elternpaar: Richard Linklater schreibt in „Before Midnight“ die Liebesgeschichte von Jesse und Céline fort. Natürlich mit Julie Delpy und Ethan Hawke.
Céline und Jesse sind die Kinder von Golzow des Weltkinos, also Menschen, denen wir beim Leben zuschauen können. Oder beim Gelebt-Werden, beim Schongelebt-Haben. Seit sie sich 1995 zum ersten Mal trafen, im Eurocity von Budapest nach Paris, kommt Richard Linklater alle neun Jahre nachsehen, was aus beiden geworden ist.
Ganz am Anfang überredete der junge Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) die kleine Französin Céline (Julie Delpy), mit ihm in Wien auszusteigen. Weil sie ihr Gespräch kaum wegen eines näher kommenden Bahnhofs unterbrechen konnten. Am nächsten Morgen würde er nach Hause fliegen, nach Chicago, und für Céline führen immer noch Züge nach Paris. Eine Weltweitung in einer Nacht: Diese zwei und ihre Zuschauer erlebten, was Reden sein kann, wenn es aufhört, Kommunikation zu sein – ein Ineinanderfallen, eine Verschmelzung in Verben und Substantiven.
Es folgten „Before Sunset“ und nun „Before Midnight“. Die Bilanz, rein lichttechnisch betrachtet: Die Sonne ist auf- und wieder untergegangen. Was kommt jetzt noch, Nacht und Schatten, die kürzeste Stunde? Vielleicht deshalb blendet Linklater sein Publikum mit griechischem Licht. Jesse und Céline machen Urlaub. Höher kann die Sonne nicht steigen, durchsichtiger als hier kann das Meer nicht sein. Und wieder zaubert Linklater das Empfinden zwischen die vielen Worte: Was wäre das Glück von Licht und Wasser ohne uns, die wir diese Schönheit bemerken und ihr antworten können – so wie Jesse und Céline?
Da haben die beiden längst begonnen zu reden, so unablässig wie in den Teilen zuvor. Längst sind sie ein Paar: 2004 war Céline leichtsinnig genug gewesen, eine Pariser Lesung von Jesse zu besuchen, der – Schriftsteller sind skrupellos – aus ihrer Wiener Nacht ein Buch gemacht hatte. Nun schlafen hinten im Auto zwei blonde Mädchen, ihre Töchter. „Ein Frauenfilm!“, flüsterte mein Kinosesselnachbar mit einen Unterton kaum unterdrückter Verzweiflung, wie die nächsten zwei Stunden wohl zu überstehen seien.
Ein „Frauenfilm“? Also einer, in dem es um „Beziehungen“ geht und wie man womöglich am besten daran „arbeitet“? Einer bis zum Rand gefüllt mit diesem pseudosachlichen, ans Technizistische streifenden Vokabular, nach dessen Anprall man renitenter ist als vorher? Nein, so ist das hier nicht, im Gegenteil.
Jesse und Celine sind jetzt Anfang vierzig – und Anfangvierziger mit engmaschigem Familienleben führen andere Gespräche als zwei überwachmüde Lebensanfänger in einer Wiener Unendlichkeitsnacht. Leben ist immer kleiner als der Traum davon. Zumal, wenn Jesses Sohn, geboren lang vor der Pariser Schicksalsnachtlesung, nach dem gemeinsamen Griechenlandurlaub nach Hause zurückfliegt, nach Chicago, und nicht will, dass sein Zwei-Mal-im-Jahr-Gelegenheits-Vater zu seinem ersten Konzert kommt. Weil das alles so kompliziert machen würde. Und, sagt der Junge: „Weil meine Mutter dich hasst!“
So fängt das an, mit einem beklemmenden, verlegenen, komisch-traurigen Vater-Sohn-Abschied am Flughafen von Kalamata, Peloponnes. Sollte Jesse sein Vatersein nicht überdenken? Wie früher nehmen sich Ethan-Jesse und Julie-Céline gleichsam die Gedanken von Stirn, Mund und vom Herzen. Frauen entwickeln da geradezu seismografische Fähigkeiten – und so konfrontiert Céline ihren Erfolgsautor sogleich mit der Weigerung, eine erdnussbutterbrötchenbereitende Hausfrauenexistenz in Chicago zu beginnen, statt ihre neue Pariser Stelle anzutreten. Nichts davon hat er gesagt, gefordert. Aber sie hat es gehört.
Erstaunlich, wie weit man sich den beiden öffnet, ohne eine einzige Minute des Überdrusses. Auch das ist Katharsis. Die griechische Gast-Schriftstellerfamilie spricht auch mit. Es geht wie in jener fernen Wiener Nacht bis an die Fundamente der Welt, des Mann- und Frauseins, nur dass diese jetzt schroffer wirken. Damals waren Céline und Jesse für eine Nacht unsterblich; jetzt hören wir den Dialogen zweier „Sterblinge“ zu, wie die Griechen wohl gesagt hätten. Aber Linklater, Hawke und Delpy fangen all das in einem wunderbar zart gesponnenen Gewebe auf. Es hält, es trägt sie, und der alte Zauber scheint immer wieder durch. Man könnte es auch gelingendes Leben nennen. Selbst mit Anfang vierzig.
In Berlin im Capitol, Cinemaxx, Delphi, International, Kulturbrauerei, Yorck; OV im Cinestar SonyCenter, OmU im Babylon Kreuzberg, Hackesche Höfe und Odeon
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