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Weltweit gefragt. Der lettische Dirigent Andris Nelsons, 34.
© picture alliance / dpa

Andris Nelsons: „Das Orchester entscheidet“

Der lettische Dirigent Andris Nelsons wird als Nachfolger von Simon Rattle als Chef der Berliner Philharmoniker gehandelt. Ein Gespräch über die Energie des Orchesters und seine spezielle Klangfärbung.

Herr Nelsons, Ihr letztes Konzert mit den Berliner Philharmonikern wurde in viele Kinos in ganz Europa übertragen. Wie fühlen Sie sich als Filmstar?

Es ist immer ein Vergnügen, mit den Berliner Philharmonikern zu arbeiten. Die Liveübertragung verändert nichts am Reiz des eigentlichen Konzertes. Aber natürlich wird durch solch eine Übertragung ein größeres Publikum angesprochen. Auch meine Mutter in Lettland konnte zuschauen.

Beeinflusst diese noch größere Öffentlichkeit Ihre Art zu dirigieren?

Nein. Wenn ich dirigiere, achte ich nicht darauf. Ich kümmere mich nicht darum, ob mein Jackett richtig sitzt oder eine Geste besonders gut wirkt. Man muss als Dirigent ehrlich sein und offen für die Musik – bei jedem einzelnen Konzert. Es gibt keine Extras fürs Fernsehen.

Sie haben mit den Berliner Philharmonikern bereits sieben verschiedene Programme erarbeitet. Wie war Ihr Eindruck, als Sie im Herbst 2010 zum ersten Mal das Orchester dirigierten.

Natürlich wusste ich schon von CD-Aufnahmen, wie groß die Energie der Berliner Philharmoniker ist. Aber als ich das Orchester mit der achten Symphonie von Schostakowitsch erstmals selbst dirigierte, konnte ich diese Kraft wirklich körperlich spüren. Es fühlte sich an, als ob wir alle in einem großen Boot sitzen und uns gemeinsam durch den aufgepeitschten Ozean bewegen. Diese großen Wellenbewegungen in der Musik, der weite Atem – das war mein erster Eindruck.

Was macht die Berliner Philharmoniker sonst noch aus?

Sie haben exzellente Solisten. Gerade bei der Achten von Schostakowitsch gibt es viele exponierte Bläsersoli. Das Orchester besitzt eine enorme kammermusikalische Qualität. Der Klang der Berliner Philharmoniker hat immer beides: starke Individualität und große kollektive Kraft. Und er hat eine spezielle dunkle Färbung, besonders beim deutschen romantischem Repertoire wie Wagner, Bruckner und Strauss.

Sie sind Chefdirigent des City of Birmingham Orchestra, das Simon Rattle 20 Jahre lang dirigierte. Nun hat der Philharmonikerchef vor einigen Wochen angekündigt, seinen bis 2018 laufenden Vertrag nicht zu verlängern. Sie werden als heißer Kandidat für die Nachfolge von Rattle gehandelt. Was denken Sie darüber?

Das Orchester muss das entscheiden, wer mit ihm die musikalische Reise fortsetzen soll. Natürlich freut und ehrt mich das, dass ich als potenzieller Nachfolger ins Gespräch gebracht werde. Das kann ich kaum glauben. Ich freue mich einfach auf die vielen Programme, die wir in der Zukunft gemeinsam machen werden. Die Entscheidung wird ja erst in fünf Jahren fallen – das werden noch wunderbare Jahre mit Simon Rattle. Die Orchestermitglieder haben also genügend Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wer am besten zu ihnen passt.

Beim letzten Konzert dirigierten Sie die Ouvertüre zu Wagners „Tannhäuser“. Die Oper soll einen großen Eindruck auf Sie gemacht haben, als Sie fünf Jahre alt waren.

Ja, das stimmt. Es war die erste Oper, die ich live gehört habe. Meine Eltern nahmen mich ins Opernhaus von Riga mit. Nach der Vorstellung habe ich geweint, weil mich die Musik so berührt hat.

Sie haben Ihre musikalische Karriere als Trompeter und Sänger begonnen. Warum wurden Sie Dirigent?

Diese „Tannhäuser“-Aufführung war sehr wichtig. Ich wollte ganz eingebunden sein in die Musik. Seit damals hatte ich den Wunsch, Dirigent zu werden – als fünfjähriger Junge war das aber natürlich nicht möglich. Ich habe deshalb in der Musikschule Klavier gelernt, dann Trompete, später habe ich eine Gesangsausbildung gemacht. Mit 17 Jahren dirigierte ich dann zum ersten Mal ein Hochschulorchester in Riga und spürte, dass ich mich als Dirigent am besten musikalisch ausdrücken kann.

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