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Diese Fremde in meinem Leben: Kang-do (Lee Jung-jin, links) und Mi-sun (Cho Min-soo).
©  mfa-film

"Pietà" von Kim Ki-duk: Das Monster, der Mensch

Die Lebenskrise, die sich in dem radikalen Selbstporträt "Arirang" spiegelte, ist überstanden. Mit seinem Schuld- und Sühnedrama „Pietà“ präsentiert sich der Koreaner Kim Ki-duk wieder in Bestform. Und den Goldenen Löwen von Venedig gab's obendrein.

Ein verslumendes Industrieviertel am Fluss Cheonggyecheon in Seoul. Kleine Metallwerkstätten reihen sich aneinander: schmutzige Garagenlöcher, in denen kaum Platz zum Gehen ist. Das Viertel wartet auf seinen Abriss, um Hochhäusern Platz zu machen. Hier verdingt sich Kang-do (Lee Jung-Jin) als brutaler Geldeintreiber. Wer die Wucherzinsen nicht begleichen kann, dem verstümmelt er, um die Versicherung zu kassieren, Arme oder Beine – mit jenen Press- und Stanzmaschinen, die den Menschen ihr Auskommen hätten sichern sollen.

Dann tritt eine Frau (als geheimnisvolle Marienfigur: Cho Min-soo) in sein Leben. Sie behauptet, Kang-dos Mutter zu sein und bittet um Vergebung dafür, dass sie ihn als Kind sich selbst überließ. Kang-Do unterwirft sie grausamen Tests: Er stößt sie weg, schlägt sie, vergewaltigt sie. Sie zeigt dennoch nichts als Reue und Mitleid. Und zieht bei ihm ein.

Kim Ki-Duks „Pietà“, Siegerfilm beim Festival in Venedig, kleidet seine antikapitalistische Moral in eine vieldeutige Moritat. Kang-do ist unsagbar grausam, doch der Sadismus ist auch Ausdruck seines Ekels. Je häufiger er in eine der Werkstätten tritt, desto mehr treten die Schuldner selbst in den Vordergrund – Menschen, die schon verstümmelt sind, bevor Kang-do Hand anlegt. Ein heftiges Bild: die freiwillige Selbstverstümmelung der Menschen für Geld.

Ein werdender Vater lässt sich für die Zukunft seines Kindes verkrüppeln (er will nur vorher noch ein letztes Mal Gitarre spielen). Eine andere bietet ihm ihren Körper an. Der nächste springt in den Tod. Wieder ein anderer liefert sich aus. „Ich wollte Geld ausgeben und dann sterben.“ - „Der Tod macht alles nur komplizierter“, sagt Kang-do. Und schmeißt die Maschine an. Die „Korea Times“ findet, das Milieu sei gut getroffen.

Kim nutzt das niedergehende Handwerksviertel für ein fast surreales Höllenbild: Wie verschreckte Tiere hocken die Menschen in ihren Winkeln und warten auf den „Teufel“. Nie geht ein Passant zufällig vorbei an einem der fensterlosen Workshops. Kim selbst hat während des Drehs mit einer zweiten Kamera Bilder eingefangen; er kennt sich aus, denn hier ist er aufgewachsen.

„Pietà“ ist, nach längerer Schaffenskrise, aus der Kim sich letztes Jahr mit seinem radikalen Selbstporträt „Arirang“ befreite, eine Rückkehr zu alter Form. Mit kalter Folgerichtigkeit entrollt der Film einen Katalog menschlicher Hässlichkeit, der seltsamerweise nicht abstößt, sondern traurig macht. Ein Film, der so viel Widersprüchliches auslöst, leistet Besonderes.

Kim Ki-duk, dessen Filme häufig mit religiösen Subtexten durchsetzt sind, ist selbst Christ – das wird oft vergessen, weil er sich in seinem populärsten Film „Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling“ mit dem Buddhismus befasste. Doch Schuld, Schmerz und Vergebung sind Kernthemen vieler seiner Filme. In „Pietà“ kommt das Verstehen durch Mitleiden hinzu. Kang-do, der sich zum ersten Mal zugehörig fühlt, ist nun, da er jemanden hat, selbst verwundbar. Er lernt fühlen. Und verstehen.

Doch der Regisseur hält noch eine letzte grausame Volte bereit – und lässt sein Publikum mit Bildern zurück, die nie und nimmer so poetisch wirken dürften, wie sie es tun. Es ist ein Blick ohne Hoffnung auf das Tier Mensch, ein Blick, der manchmal an Krysztof Kieslowskis Filmzyklus über die zehn Gebote („Dekalog“) erinnert. Mit dem Unterschied, dass Kim Ki-Duk das Leid seiner Figuren bildlich immer auch in ein Martyrium des Körpers übersetzt.

Die grausame Pointe? Kang-do ist anfangs der Einzige, der nicht leidet. Erst als aus dem Monster ein Mensch wird, ist es damit vorbei. Denn was die Frau auslöst, führt nicht zur Heilung. Kang-do war blind, jetzt ist er es nicht mehr. Was er aber sieht, ist nicht zu ertragen.

Eiszeit; OmU in den Hackeschen Höfen

Sebastian Handke

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