Tanz im August: Das Meer in mir
Genetik mit Gruppendynamik: Wayne McGregor und Lisbeth Gruwez gastieren beim Berliner Festival Tanz im August.
Lange mussten die Berliner auf ihn warten. Wayne McGregor, das Mastermind der britischen Tanzszene, gastierte zwar regelmäßig beim Movimentos-Festival in Wolfsburg, doch in der Hauptstadt war bislang noch keins seiner bahnbrechenden Werke zu sehen. Virve Sutinen hat den 48-jährigen Tanzschöpfer und seine Company nun zur Jubiläumsausgabe von „Tanz im August“ eingeladen. Eine kluge Entscheidung der Festivalleiterin: Die fabelhaften Briten bescherten dem Festival eine wahre Sternstunde.
Wayne und wie er die Welt sieht: Die Produktion „Autobiography“ ist eine perfekte Einführung in das künstlerische Universum des Choreografen. McGregor hat sich immer wieder von wissenschaftlichen Konzepten inspirieren lassen, mit Neurowissenschaftlern zusammengearbeitet und sich in die Robotik vertieft, seine neue Leidenschaft ist die Genetik.
Für „Autobiography“ hat er nun sein eigenes Genom entschlüsseln lassen und kreierte 23 Szenen, die Titel wie „Avatar“, „Wissen“, „Altern“ oder „Erinnern“ tragen. In welcher Reihenfolge sie bei einer Vorstellung getanzt werden, darüber entscheiden Algorithmen, die die Forscher aus McGregors DNA generiert haben. 24000 Permutationen wären möglich – eine reizvolle Idee für den Choreografen. Für die Tänzer ist es eine große Herausforderung, die sie mit Bravour meistern.
Das Stück erweist sich dabei nicht als narzisstische Selbstbespiegelung, sondern als eher abstrakte Meditation über das Leben und seinen Bauplan, über vielfältige Lebenswege und scheinbar unbegrenzte Wahlmöglichkeiten. Sichtbar wird das in immer neuen choreografischen Kombinationen und Variationen des Bewegungsmaterials. Aus Verkettungen und Verschlingungen entstehen komplexe Bewegungsmuster und gewagte Kippfiguren, mit erstaunlich vielen Referenzen an das klassische Ballett. Attitüden, Arabesken, Pirouetten – unglaublich cool interpretieren die Tänzer das akademische Erbe und führen es auf eine neue Ebene, indem sie es mit asiatischen Bewegungsstilen verbinden. Die Männer zelebrieren regelrecht die eigene Sinnlichkeit, die Frauen muten wie toughe Amazonen an.
McGregors Tänzer muten mal wie Sternenkrieger an, mal wie eine Raverhorde
Die Elektrosounds der indischen Musikerin Jlin haben teilweise etwas Trancehaftes, dann wieder treiben nervöse TechnoRhythmen die Performer an. Das Bühnenbild von Ben Cullen Williams ist schlicht atemberaubend. Am Bühnenhimmel schweben filigrane Metallpyramiden in mehreren Reihen, ihre Spitzen weisen nach unten. Das Artefakt, das zunächst auf eine transzendente Ebene zu verweisen scheint, wird zur Bedrohung. Plötzlich sausen die Spitzen nieder – wie in einem Albtraum müssen die Tänzer in der Szene „Schlaf“ den metallenen Zähnen ausweichen. Manchmal erinnern die Tänzer an eine aufgeputschte Raverhorde, dann wieder an Sternenkrieger. McGregor zeigt unsere zerrissene Existenz, die Spannung zwischen Körper und Geist, den Blick in die Zukunft gerichtet, doch mit einem Bein in der Vergangenheit. Seine Tanzvisionäre wirken sehr menschlich mit ihren Träumen und Begierden und ihrem Streben nach Höherem.
Während die Tänzerinnen und Tänzer von Wayne McGregor aus einer anderen Galaxie zu stammen scheinen, wirken die Tänzerinnen bei Lisbeth Gruwez umso irdischer. Die Frauen müssen sich heute neu erfinden, meint die belgische Choreografin. „The Sea Within“ hat anfangs etwas von einem Selbsterfahrungstrip, bis Gruwez das gruppendynamische Material mehr und mehr in Form bringt. Das multiethnische Ensemble entwickelt eine starke Bühnenpräsenz – und durchquert verschiedene emotionale Landschaften. Die Frauen rücken eng zusammen. Immer wieder lässt sich eine von ihnen fallen und wird vom Kollektiv aufgefangen. Dann wieder werden die Körper wie von einer Welle mitgerissen. Bald geraten die Bewegungen widerspenstiger und ekstatischer.
Die Tänzerinnen bei Lisbeth Gruwez geraten förmlich in Trance
Gruwez arbeitet mit Rhythmen der Natur, mystifiziert die Tänzerinnen dabei aber nicht zu Naturwesen. Zum Schluss tanzen die wilden Schwestern sich förmlich in Trance. Die Choreografin feiert nicht nur die Kraft und Sinnlichkeit der Frauen, ihr Stück zelebriert auch die Schönheit der Vielfalt.
„Autobiography“ wird nochmals an diesem Sonntag, 19.8., um 17 Uhr im Haus der Berliner Festspiele aufgeführt. Restkarten
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