Philharmonischer Chor Berlin: Das Lied von der Glocke
Der Philharmonische Chor Berlin singt, Jörg-Peter Weigle dirigiert Max Bruchs Schiller-Vertonung „Glocke“ in der Philharmonie.
1966 befindet sich Hans Magnus Enzensberger in einem Disput mit Marcel Reich-Ranicki, weil er als Herausgeber ausgewählter Gedichte Friedrich Schillers „Das Lied von der Glocke“ (1799) weggelassen hat. Der Kritiker vermisst „das Meistzitierte“, der Dichter sieht „Niemandsfiguren“ in dem anspruchsvollen Werk über Leben und Tod. Immerhin steckt in dem Vorgang vitales Interesse. Das 21. Jahrhundert verzeichnet zur „Glocke“ eine Rockoper, in der Wolf Maahn den Schiller rockt. Über 100 Jahre das beliebteste aller Schillergedichte, gilt es heute als inhaltlich veraltet. Zitatenschatz ohne Ende: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ führt folgerichtig zu „Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau.“ 1878 vertont Max Bruch, der Meister des Violinkonzerts, „Das Lied von der Glocke“ als eines seiner großen Chorwerke, die in Vergessenheit geraten sind.
Nun singt der Philharmonische Chor Berlin, gegründet 1882, Bruchs Opus 45 zum ersten Mal. Mit dabei die beflissene Staatskapelle Halle, Alexandra Bartfeld an der Orgel und ein profiliertes Solistenquartett (Ruth Ziesak, Britta Schwarz, Jörg Dürmüller und führend Andreas Scheibner). Jörg-Peter Weigle hat seinen Chor zu einem stets wohlklingenden, sensiblen Instrument gemacht. Als Chefdirigent tritt er dafür ein, abseits vom gängigen Oratorienrepertoire auch Verlorenes zu hegen. Allen Interpreten in der Philharmonie dankt großer Applaus.
Festgemauert in der Erden der unbezweifelten Tonalität, dem Erbe der Musikgeschichte bis zum Zitat von „Stille Nacht“, archaisierend und polyphon: So steht die Komposition da. Sie hat bestätigenden Charakter. Sanft „begrüßt sie das geliebte Kind“, heftig illustriert sie, wie der Knabe „ins Leben wild hinaus“ stürmt. Hymnisch wird „die schöne Zeit der jungen Liebe“ ausgebreitet, die Taufe der Glocke auf den Namen „Concordia“ strebt zum musikalisch Erhabenen. Dem Bass gehört das eigentliche Glockengießerlied, während die „guten Reden“ dazu von allen Mitwirkenden reflektiert werden. Das wirkt wie ein Traum aus der Ferne vergangener Zeiten, anheimelnd, aber auch wie ein tragischer Idealismus.
„Meine Verehrung für Schiller ist eine unbegrenzte“, so Max Bruch über das Hohelied bürgerlicher Tugenden. Dem Hörer der prächtigen Aufführung bleibt der Spaß, das „Meistzitierte“ Stück für Stück wiederzufinden.