Filmkritik: "Little House": Das Lächeln der jungen Taki
Yoji Yamadas „Little House“ ist ein zartes filmisches Meisterwerk aus Japan. Darin wird die eine Familiengeschichte aus Sicht eines stillen Dienstmädchens verhandelt - deren junge Schauspielerin ist Grund genug, den Film mehrmals zu sehen.
Für diesen Film bräuchte man ein Paar Augen mehr. Oder Split-Screen. Oder man müsste ihn einfach zweimal schauen. Dann würde man einmal der Handlung folgen, und das andere Mal dem Gesicht der jungen Taki: Sie ist fast immer da, in zweiter Reihe, auf Anweisung wartend. Wenn die anderen reden, schweigt sie, bemüht, das Innere zu verbergen, wie es sich für ein Dienstmädchen gehört. Aber das gelingt nicht immer.
„Little House“ erzählt die Geschichte einer Familie aus dem Blickwinkel des Dienstmädchens. Taki (Haru Kuroki) hat 1936 ihr Heimatdorf verlassen, sie wohnt jetzt im Hause der jungen Familie Hirai. Masaki (Takataro Kataoka) ist leitender Angestellter einer Spielwarenfabrik, für seine Frau Tokiko (Takako Matsu) und den kleinen Sohn hat er gerade ein Haus bauen lassen, ein bisschen im westlichen Stil. Es gibt nichts auszusetzen. Und dennoch verliebt sich Takako in den jungen Shoji, einen jungen Kollegen ihres Mannes.
"Little House" ist das Werk eines letzten japanischen Altmeisters
Sechzig Jahre später, am Ende ihres Lebens schreibt Taki ihre Erinnerungen auf. Ihr Neffe liest die Berichte; so schön kann es nicht gewesen sein, sagt er, und zitiert die Geschichtsbücher. „Doch, es war schön.“ In Takis Erinnerung ist das kleine Haus mit dem roten Dach, auf einem Hügel am Rande Tokios, ein idyllischer Ort. Hier lebte sie ein fast sorgloses Leben. Und wie für die meisten Japaner war es auch für Taki völlig überraschend, als der Krieg ins eigene Land kam und dieser Zeit jäh ein Ende bereitete.
Der 82-jährige japanische Regisseur Yoji Yamada ist der letzte Altmeister aus der goldenen Ära der japanischen Studios, bis heute arbeitet er für das traditionsreiche Shochiku-Studio. Als er zum Film ging, war Shochiku das modernste der japanischen Studios: statt Samurai-Epen entstanden hier Tragikomödien aus dem Alltag des japanischen Mittelstandes. Es gab so etwas wie einen „Shochiku-Stil“, und Yamada, der mit seiner ungeheuer populären „Tora-San“- Reihe das Studio mehrmals vor der Pleite gerettet haben dürfte, hat ihn über die Jahre verfeinert, Film für Film.
Es ist ein schlichter, behutsamer Stil, scheinbar ohne jede persönliche Note, aber ganz im Geiste dessen, was man bei Shochiku zu lernen hatte: Beobachtung. Auch in „Little House“ liegt alles in Details und kleinen Gesten. Das Ablegen der Schuhe, das Bügeln auf dem Boden, das Schneiden der Wassermelone oder das beiläufige Befeuchten des Bleistifts mit der Zunge. Yamada hat diese Zeit als Kind noch selbst erlebt.
"Little House" erzählt vom langsamen Wandel Japans hin zur Moderne
Als Tokiko von einem Besuch in Shojis Wohnung zurückkehrt, sitzt das Muster ihres Kimonos verräterisch falsch. Sie sieht ihn von da an nur noch in westlicher Kleidung – die lässt sich leichter handhaben. Aber nicht nur das: Die Epoche, aus der hier erzählt wird, die ersten Jahre der Showa-Ära, war auch die Zeit, in der die Japaner vieles aus den USA adaptierten. „Little House“ ist voller solcher Verknüpfungen der Handlung mit ihrer Zeit, oft entdeckt man sie erst auf den zweiten Blick.
Yoji Yamadas neues Werk – es ist sein 82. – hinterlässt nicht den gleichen bleibenden Eindruck wie „Kabei – Our Mother“ und „Ototo – About her Brother“, seine beiden zuletzt auf der Berlinale gezeigten Filme. Aber es ist ein weiterer schöner Eintrag in das beeindruckende Œuvre eines Altmeisters, der im hohen Alter zu seinem Thema fand: den Alltag vergangener Epochen einfangen – und wie nebenbei auch die vergessenen Tragödien, die geschehen, wenn solche Zeiten zu Ende gehen.