Kultur: Das Labern der Anderen
Das harte Leben: Wie die Band Britta mit ihrem neuen Album den Ich-AG-Kapitalismus attackiert
Das ganze Leben ist ein Quiz, wir sind nur die Kandidaten. Die Preisfrage lautet: „Wer geht putzen und wer wird Millionär?“ Christiane Rösinger singt mit säuselnder Stimme, der Bass bollert, die E-Gitarre knirscht zornig. „Wer lebt prima und wer eher prekär?“, will sie wissen, die Antwort kommt gleich hinterher: „Wer schon hat, dem wird gegeben / Und für uns bleibt nur das schöne Leben / Ja, so läuft’s, und so wird’s weiter laufen / Denn der Teufel scheißt auf den größten Haufen.“
„Wer wird Millionär?“, heißt der Song von Rösingers Band Britta, der dem neuen, gerade erschienenen Album „Das schöne Leben“ (Flittchen Records/Indigo) seinen Titel gegeben hat. Die Habenichtse spucken den Reichen in die Suppe, derbe Kapitalismuskritik in der Tradition von François Villon, Heinrich Heine und – sein Schlager „Ich zähle täglich meine Sorgen“ wird zitiert – Peter Alexander. Vordergründig wirkt das energisch treibende Stück wie eine bittere Abrechnung. „Besser wohnen, auch mal reisen, Champagner, Tanz und Kokain / Das wär ein prima Leben, das kriegen nur die anderen hin / Für uns heißt es weiter rechnen, krebsen, wursteln, durchschlagen.“ „Wir“ gegen „die“, von diesem Furor wird der Pop schon immer angetrieben. Aber dann kommt ein Break, die Gitarren hellen sich auf, der Gesang erhebt sich ins Falsett. Für einen Hass-Song klingt „Wer wird Millionär?“ viel zu fröhlich, es ist eher eine Hymne: auf das Leben und seine Schönheit.
„Man muss das Leben feiern“, sagt Christiane Rösinger. „Man macht sich viel zu selten klar, dass es schon an sich ein Wert ist.“ Dass es überhaupt eine neue Platte von Britta gibt, ist ein mittleres Wunder. Seit das Vorgängeralbum „Lichtjahre voraus“ herauskam, sind zwar erst gut zwei Jahre vergangen. Doch in dieser Zeit ist viel passiert. Weil der Indie-Vertrieb EFA Pleite ging, verschwanden die gesamten Einnahmen von „Lichtjahre voraus“ im Orkus des Konkursverfahrens. Bald darauf wurde Rösinger schwer krank und musste mehrere Monate in Krankenhaus und Rehaklinik verbringen. Am härtesten aber traf die Gruppe der Verlust ihrer Schlagzeugerin Britta Neander, die im Dezember 2004 an den Folgen einer Herzoperation starb.
„Wir haben erst einmal gedacht, das mit der Band hat keinen Sinne mehr“, erzählt die Sängerin. Andererseits wollten Christiane Rösinger und ihre Kolleginnen Barbara Wagner (Gitarre) und Julie Miess (Bass) durchaus weiter Musik machen, am liebsten sogar zusammen. Vor die Alternative Weitermachen oder Auseinandergehen gestellt, entschieden sie sich am Ende fürs Weitermachen. „Aufzuhören“, sagt Rösinger, „wäre genauso sinnlos gewesen“. Die drei Frauen holten Sebastian Vogel in die Band, den Schlagzeuger der Hamburger Diskurspopgruppe Kante, der sie schon bei ihrer letzten Tournee begleitet hatte. „Das schöne Leben“ wurde dann innerhalb von sechs Tagen im „Popschutz“-Studio an der Schönhauser Allee aufgenommen. Das Cover zeigt einen üppig blühenden Kirschbaum, ein schönes Symbol für den Neubeginn. Britta Neander gehört auch weiterhin zur Band, man muss sie sich als so etwas wie eine „Schutzpatronin“ (Rösinger) vorstellen.
Das Interview findet sozusagen an einem historischen Ort statt. Im Kreuzberger Café „Markthalle“ hatten sich Rösinger und Neander Anfang der neunziger Jahre kennen gelernt. Neander, die früher bei Ton, Steine, Scherben getrommelt hat, stand hinter dem Tresen. Rösinger, damals noch bei den Lassie Singers und seit ihrer Jugend in der südwestdeutschen Provinz ein Ton-Steine-Scherben- Fan, trank hier regelmäßig ihren Frühstückskaffee. Sie freundeten sich an, mieteten einen Proberaum und begannen, an Songs zu arbeiten. „Ich geh mit Britta spielen“, hat Rösinger damals immer zu ihrer Tochter gesagt, die irgendwann dachte, dass deren neue Band „Britta“ hieße. Deshalb ist es bei diesem Namen dann geblieben. 1999 erschien beim eigens gegründeten Independent-Label Flittchen Records das Debütalbum „Irgendwas ist immer“.
Die Lassie Singers hatten in schnoddrigen Satz-Gesängen den Hedonismus der Kreuzberger Party-Republik besungen („Leben in der Bar“) und die „Pärchen-Lüge“ angeprangert: „Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch.“ Die Texte von Britta beschäftigten sich weiter mit Problemen im zwischenmenschlichen Bereich („Ich glaub, ich hab ein Faible für Idioten“), mehr und mehr aber auch mit gesellschaftlichen Härten. Auf „Das schöne Leben“, dem vierten Album der Band, sind die Töne noch kämpferischer geworden. Die gröbste Attacke heißt „Menschenfeind“, eine Suada, die sich gegen „Alte Zausel, Indieboys, Neocons, Mutanten / Junge Spießer, Pradafrauen und ihre Anverwandten / Höhere Töchter, Bessere Söhne und eure ganze Schicht“ wendet.
Rösinger ist eine präzise Beobachterin von Stimmungen und Umbrüchen, sie sagt, was ihr nicht passt an der Ich-AG-Gegenwart, und entdeckt im Politischen immer auch das Private. „Ist das ein Leben oder ist es ein Exposé? / Und wenn alles bezahlt wird, tut es dann weniger weh?“, heißt es in „24 Stunden sind kein Tag“, einem Stück, das sie für eine Inszenierung von René Pollesch an der Volksbühne geschrieben hat. „Sind wir zusammen, oder ist es ein Projekt? / Eins, in dem viel mehr Mühe als Vergnügen steckt?“ Dass für die Produktion des Albums in der Regie des ehemaligen Lassie-Singers-Gitarristen Herman Herrman nur ein paar Studiotage zur Verfügung standen, war der prekären Finanzlage der Band geschuldet. „Ich hätte gerne noch ein paar Trompeten-Fanfaren gehabt und bei manchen Songs ein oder zwei Gitarrenspuren mehr“, klagt Rösinger. „Das schöne Leben“ ist trotzdem eine tolle Platte geworden: unfertig auf höchstem Niveau.
Britta stellen ihr neues Album am Mittwoch im Festsaal Kreuzberg vor, Skalitzer Str. 130, 21 Uhr.
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