Kultur: Das Kunstwerk bin ich
Schlingensiefs Opa: Eine Münchner Ausstellung feiert Alan Kaprow als Erfinder des Happenings
Nichts leichter als das: „einen Stein nass machen/ ihn flussabwärts tragen bis er trocken ist/ fallen lassen./dort einen anderen Stein aussuchen/ihn nass machen/ihn flussaufwärts tragen bis er trocken ist/fallen lassen.“ „Easy“ überschrieb Alan Kaprow seine 1972 verfasste Handlungsanleitung, von der allerdings nicht überliefert ist, ob sie je ausgeführt wurde, ob das Kunstwerk je realisiert worden ist. Ein Werk also, tatsächlich Kunst? Heute scheint es kaum noch erklärungsbedürftig, dass die Performance ein eigenes Genre bildet, das Happening fester Teil des kunstgeschichtlichen Kanons ist. Und trotzdem verblüffen auch noch knapp 40 Jahre später Instruktionen, wie sie Kaprow etwa für sein „Solo“ aufschrieb: „Graues Wasserfarbenbild von sich selbst malen/Sich selbst grau malen/Den Regen das Grau abwaschen lassen.“
„Scores“ nannte der amerikanische Avantgardist seine Partituren, die in ihren minimalistischen Formulierungen fast an japanische Gedichte erinnern. Mehrere hundert schrieb der Erfinder dieser Kunstgattung, die sich heute, fast ein halbes Jahrhundert später, erneut überraschender Popularität erfreut: In dieser Tradition stehen Jonathan Meese, John Bock, Tino Sehgal und nicht zuletzt Christoph Schlingensief, der dem Gründervater mit seiner Inszenierung „Kaprow City“ an der Berliner Volksbühne jüngst eine Hommage widmete. Grund genug für das Münchner Haus der Kunst, sich der Anfänge des Happenings zu erinnern.
Am Ende ist Kaprow, der Kunstrevoluzzer, dort gelandet, wovor er sich Zeit seines Lebens auf der Flucht befand: im Museum. Und trotzdem löst die Ausstellung sein Credo ein, nach dem das Museum kein Kunstfriedhof, sondern eine Agentur für Aktion zu sein hätte. So befindet sich das Haus der Kunst auf einer zeitlichen Doppelspur. In seiner großen Ausstellungshalle zeigt es in edlen Glasvitrinen Kaprows „Scores“, die er völlig unprätentiös auf einfache linierte Blätter schrieb. Gleichzeitig werden im Laufe der Schau 55 seiner Aktionen von Münchner Kunststudenten realisiert (www.kaprow.de), so dass sich gemäß seinem Ideal die Kunst ganz real mit dem Leben liiert. Dieser Vorschlag der Münchner Kuratorin Stephanie Rosenthal war es schließlich auch gewesen, der den 79-jährigen Künstler dazu bewog, seine Zustimmung zu dieser erstmaligen größeren musealen Würdigung seines Werks zu geben. Durch seinen Tod Anfang April 2006 wird sie nun zum Vermächtnis.
So mag es auch erscheinen, dass die Kaprow-Schau regelrecht ein Trauerflor umgibt, denn die den Hauptsaal umfassenden Galerien zeigen parallel die Ausstellung „Black Paintings“ der großen Fünf – Robert Rauschenberg, Ad Reinhardt, Mark Rothko, Frank Stella und Barnett Newman. Eine schöne Koinzidenz. Kaprow selbst hat erkannt, dass die parallel zu seinen Happenings entstehenden schwarzen Gemälde seiner Künstlerkollegen eine Art Wegscheide waren: „Sowohl ein Ende für die Kunst als auch ein Neubeginn.“ Wo sich die einen mit ihren nachtschwarzen Werken meditativ nach innen orientierten, richteten sich die anderen nach außen und gingen auf die Straße.
Von der Kaprow-Schau geht dabei eine große Heiterkeit aus: Die mit allem Ernst von den Probanden ausgeführten Instruktionen wirken einfach zu kurios. Per Videoprojektion kann sich der Besucher die in den Sechzigern realisierten „Scores“ betrachten: etwa wie sich ein Paar auf einem New Yorker Parkplatz abwechselnd im Garderobenspiegel reflektiert oder sich gegenseitig am Telefon etwas vorhechelt.
Ihren besonderen Charme besitzen diese Aktionen durch das zeitliche Kolorit: die Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Mode der Sechziger, die Frisuren. Heute wiederaufgeführt durch Kunststudenten, gewinnen sie geradezu einen lyrischen Charakter: wie etwa der „Spaziergang mit Schuh“, bei dem eine Frau ihren Stiefel am Schnürsenkel hinter sich herzieht und sein am Fuß getragenes Pendant jedes Mal mit Pflastern und Mullbinden versieht, sobald ihr der geschleifte Schuh erschöpft zu sein scheint.
Kaprows Überzeugung, die konsequente Verknüpfung von Kunst mit dem Leben, erfuhr ihren ersten Anstoß durch die Drip-Paintings von Jackson Pollock, für den der Malprozess zum elementaren Erlebnis wurde. In den späten Fünfzigern schien alles in Bewegung, definierten auch die Künstler ihr Arbeitsmaterial neu: Musik konnte Stille oder Alltagslärm sein, Tanz eine Studie banaler Bewegungen, Malerei und Skulptur geprägt von Industrieprodukten und Werbung.
Die aktuellen Ausstellungen der Stars der sechziger Jahre - Dan Flavin in München in der Neuen Pinakothek, Hans Haacke in Hamburg und Berlin, Hermann Nitsch im Martin-Gropius-Bau – zelebrieren immer auch das Heroische dieser einst radikalen Schritte. Gerade dadurch wird der Abstand zu ihren Erben in der Gegenwart noch deutlicher sichtbar: Was diese „Helden“ damals gegen das Establishment bitter erkämpft hatten, wird heute light wiedergegeben. Von politischer Brisanz sind Jonathan Meese, John Bock oder Tino Sehgal weit entfernt.
Haus der Kunst, bis 21. Januar.
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