Christoph Maria Herbst: „Das ist ja wie ein schippernder Knast“
Fünf Drehtage in sechs Wochen, filmen nach dem Motto: Hauptsache, Palme im Bild. Doch Christoph Maria Herbst sagt: Ich verkaufe lieber Träume als Sparverträge.
Ganz ehrlich, Herr Herbst, im „Traumschiff“ spielt man doch nur wegen der Reise mit.
Ich gestehe, ja. Als ich den Produzenten Wolfgang Rademann im Berliner Kempinski-Hotel traf, um die Rolle zu besprechen, zog er eine Klarsichthülle aus seinem Ranzen, in der Farblaserkopien von den Zielen dabei waren. Und da sitzt du dann im kalten Berlin, guckst dir die Bilder von Stränden in der Südsee an und denkst: Wo soll ich unterschreiben?
Rademann entwickelte die Serie 1981 für das ZDF ...
... erst dann kam eine dünnere Folie mit ein paar Seiten, auf denen diese netten Textzeilen standen.
Zum Beispiel?
„Das muss sehr schwer für Sie gewesen sein, Susanne.“ Oder: „Das tut mir wahnsinnig leid, Hildegard!“ In dem Moment ist dir das scheißegal, ob Grimme-Preis oder „Gala“.
Die Serie funktioniert ja so: Man dreht irgendwas, Hauptsache vor wunderschöner Kulisse.
Genau. Das weiß auch jeder. Kein Schauspieler verhandelt Texte oder trägt Konflikte aus, weil er näher an die Figuren heranwill. Da heißt es nur: Geht noch ein bisschen nach links – ja – stopp, jetzt haben wir die Palme mit im Bild.
Am 26. Dezember fährt das „Traumschiff“ nach Panama, in der Folge am 1. Januar spielen dann Sie mit. Sind Sie mit 44 Jahren endlich alt genug für die MS Deutschland?
Eine andere Frage: Wie alt muss man sein, um für das „Traumschiff“ zu arbeiten? Ich war schon einer der Jüngsten an Bord.
Wer war noch jünger als Sie?
Das Kind, das meinen Sohn gespielt hat. Nein, ich will nicht die Knute herausholen, es war schon ein erlauchter Kreis unterwegs. Friedrich von Thun, Maria Sebaldt, die mit den „Wicherts von nebenan“ zum Fernsehen meiner Jugend gehörte, und die Kling-Schwestern. Die hatten ihre komplette Familie mitgebracht, Eltern und Kinder. Ich bin lieber allein gefahren. Am Ende war es richtig so – sonst hätte ich niemals dieses Buch geschrieben.
Das Buch „Ein Traum von einem Schiff“ erzählt halb fiktiv, halb realistisch von dieser Reise.
Ich habe mich nach ein paar Wochen einfach gelangweilt: Jedes Bier war mit jedem Kollegen getrunken worden, die DVDs von „24“ und „Dexter“ hatte ich geguckt, jedes Buch gelesen. Dann schrieb ich Mails an Freunde und Verwandte, das war wie ein Ventil, das ich für mich entdeckt habe. So kam die Idee für das Buch zustande.
Ausspannen konnten Sie ja nicht, selbst in der Drehpause sind ständig Menschen um einen herum.
Das „Traumschiff“ ist eine einzige Drehpause. Ich hatte fünf Drehtage in sechs Wochen, Vollbeschäftigung sieht nun wirklich anders aus. In der restlichen Zeit musst du schon was mit dir anzufangen wissen. Du kommst da ja nicht weg, das ist wie ein schippernder Knast.
Eher ein tuckerndes Altenheim.
Böse Zungen behaupten, MS Deutschland steht für Mumienschlepper.
Sie als Seniorenexperte: Welche Badehose trägt der deutsche Rentner in dieser Saison?
Nach wie vor das etwas zu knappe Modell aus den 80er Jahren, bei der man alles sieht. Wo man lieber schnell wegguckt.
Zuerst wollten Sie nicht mit, weil das ZDF wenigerzahlt als Sie bei „Stromberg“ kriegen, Ihrer Erfolgsserie um einen fiesen Büroangestellten auf Pro 7.
Ach, das finde ich nicht so wichtig. Und was Intensität und Substanz anbelangt, ist beides noch viel weniger vergleichbar. Es war eine sehr nette Zeit, es ist spannend, in so eine Art Familie einzutauchen, die das seit 30 Jahren macht. Bei unserer Episode auf Bora Bora hat Hans-Jürgen Tögel Regie geführt, der drehte fast alle Folgen der „Schwarzwaldklinik“. Mit solchen Fossilheroen zusammenzukommen, das macht Spaß.
Weil Sie etwas lernen konnten?
Nein. Das sage ich ganz ehrlich. Das ist ein alter Fuchs, aber er ist ...
… sehr routiniert?
Ja. Routine ist das Wort dieser sechs Wochen. Die Serie wird heruntergekurbelt, das meine ich nicht negativ. Für so ein Format brauchst du jemanden, der kurbeln kann. Das wissen alle, da wird nicht Kunst gemacht, die Leute wollen keinen Grimme-Preis dafür haben. Das gucken zehn Millionen Menschen, da kannst du die Uhr danach stellen, und es ist wurscht, was du inhaltlich ablieferst. Hauptsache, da ist eine Palme im Bild.
Diese Haltung zieht sich durchs ganze Ensemble?
Das ist die Grundhaltung. Und die finde ich sehr realistisch.
Stromberg und Ihre neue Figur, der „Kommissar Kreutzer“, sind oft bitterböse und ironisch. Wollten Sie dem etwas Seichtes entgegensetzen?
Ich wollte mal Soap machen, mal sehen, ob ich solche Sätze so sprechen kann, dass ich sie mir wenigstens halbwegs glaube. Es ist gar nicht so leicht, den Text zu lernen, weil diese Worthülsen so austauschbar sind.
„Traumschiff“-Geschichten gehen oft so: schöne Kulisse, korrupte Einheimische, die aber gut tanzen können. Was ist von Bora Bora zu erwarten?
In der Reihenfolge: Folklore, latte-macchiatto-farbene Körper, etwas Haut, es wird getanzt, wir klatschen fröhlich. Das Leben kann so einfach sein.
Und wir sehen nach einem Schnitt die endlose Weite des Ozeans.
Manchmal gibt es eben keine tollen Sonnenuntergänge, deshalb musste man bei einigen Aufnahmen auf Archivbilder vom Meer zurückgreifen. Wir hatten ja leider auch Pech mit dem Wetter. Während unseres Aufenthaltes hat ein Zyklon die Inselgruppe von Bora Bora sozusagen neu sortiert. Drehtage wurden geschoben, es gab die Überlegung, den Rest auf Mallorca nachzudrehen. Ich schlug vor, einfach in irgendeinem Wilmersdorfer Solarium vor einer Fototapete zu filmen. Das wurde zwar belächelt, aber ich glaube, für einen Moment haben die tatsächlich darüber nachgedacht.
Wie ist überhaupt der echte Käpitän der MS Deutschland?
Nett und äußerst unauffällig. Er lispelt ein wenig, macht Durchsagen wie: „Meine Damen und Herren, zschur rechten Hand schehen Schie jetscht...“ Da schien der Speichel aus dem Lautsprecher zu triefen, ich habe den nie verstanden. Siegfried Rauch ist auf jeden Fall der geilere Kapitän. Er kam nach den Dreharbeiten zu mir, die Pfeife im Mund, und sagte: „Christoph, ich habe gehört, du schreibst da was. Ich hoffe, ich komm auch drin vor, und du haust mir so richtig einen auf den Deckel!“ Ich habe ihm dann ein Kapitel vorgelesen, und er hat sehr gelacht.
Also: Das „Traumschiff“ veräppelt die Zuschauer.
Das sind Ihre Worte. Das ist Illusion, hier wird ein Traum verkauft! Das ist doch der Sinn von Fiktion: Leute in eine andere Welt zu entführen. Und das schafft die Serie seit 30 Jahren perfekt.
Haben Sie Anfang der 80er Jahre mit Ihren Eltern das „Traumschiff“ geguckt?
Selbstverständlich! Das war wie „Dalli Dalli“ oder „Der große Preis“, ein fester Termin, zu dem sich die ganze Familie in der Sitzgruppe versammelte. Die Leute sahen zwar merkwürdig aus mit ihrer gegerbten straffen Haut, und sie schienen alle beim selben Friseur zu sein. Aber das war wurscht! Ich dachte, da werde ich nie hinkommen!
Sie haben mit 18 Jahren eine Banklehre angefangen. Wenn Ihnen da jemand gesagt hätte: Christoph, in 25 Jahren spielst du im „Traumschiff“ mit ...
Dem hätte ich geantwortet: Was hast du denn geraucht? Ich stelle mir oft die umgekehrte Frage: Was wäre aus mir geworden, wenn ich in der Bank geblieben wäre? Ich hätte viel Geld in kurzer Zeit verdienen können, war ja Jahrgangsbester, ich hätte schon meine Karriere gemacht. Ich wäre irgendwann zu so einem Stromberg geworden, denn der Beruf färbt ab.
Sie meinen zu einem Menschen, der nach oben buckelt und nach unten tritt.
Ich habe solche Menschen in der Bank gesehen, in der Hierarchie nicht weit oben, ständigem Druck ausgeliefert, und mit beinahe gebeugter Haltung. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich der Druck in meinen Körper hineingefressen und als Krankheit manifestiert hätte. Zum Glück habe ich nach der Lehre dem Personalchef gesagt, ich geh jetzt und werde Schauspieler. Da ist der vom Stuhl gekippt.
Weil er Sie weiterhin im Bankgeschäft sah?
Er sagte mir eine glorreiche Zukunft in der Kundenberatung voraus. Dabei hatte ich davor am meisten Angst. Weil ich schnell das Prinzip begriffen hatte. Kunden, die mit einem Kreditwunsch an den Tresen treten, lässt man erst dann weg, wenn man ihnen auch einen Sparvertrag verkauft hat. Das war Prostitution in Nadelstreifen. Ich sollte meinen Charme dafür einsetzen, ein Produkt zu verkaufen, hinter dem ich nicht stand. Widerlich.
Sind Sie dank der Lehre gut im Umgang mit Geld?
Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, in was man investieren soll. Das weiß niemand. Ich konnte immer gut mit Geld umgehen, weil meine Eltern mir das so vorgelebt haben.
Wie denn?
Meine Eltern haben nie große Sprünge gemacht, mein Vater war Beamter, meine Mutter Hausfrau, ein Leben auf Pump gab es nicht. Die haben ihren Lebensstandard ihren Einkünften und Kosten angepasst. Der weitest entfernte Urlaub ging nach Holland. Meine Eltern hatten nie ein Auto.
Die Banklehre war die Idee der Eltern?
Ich hätte auch zu einer Versicherung oder Krankenkasse gehen können, Hauptsache etwas Kaufmännisches. Ich hätte nein sagen können. Vielleicht wollte ich meine Eltern nicht enttäuschen. Es war keine verschenkte Zeit, danach hatte ich den Freifahrtschein zu tun und zu lassen, was ich wollte.
In Ihrer Familie war das Sicherheitsbedürfnis recht hoch. Wie konnten Sie da eine unsichere Laufbahn als Schauspieler einschlagen?
Ich habe das geschickt angestellt. Als ich in der Bank war, wohnte ich bei meinen Eltern und habe Geld beiseite gelegt. Ich wusste, ich brauche das, um das Vorsprechen an Schauspielschulen zu finanzieren, die Durststrecken zu überbrücken.
Wie viele Schulen haben Sie 1989 abgeklappert?
Da stand die Mauer noch, ich habe mich bei allen neun staatlichen Schulen inklusive Schweiz und Österreich vorgestellt. Ich stand kurz davor, mich bei den privaten zu bewerben, da hörte ich, dass am Landestheater im Kreis Dinslaken ein junger Mann im Ensemble gesucht wurde. Ich habe mich beworben und bekam mein erstes Engagement.
Sie haben nie eine Schauspielausbildung absolviert.
Das war ein großer Konflikt für mich am Anfang. Ich stand mit Menschen auf der Bühne, die das acht Semester gelernt hatten. Nebenbei bemerkt, die konnte man kaum beim Gegenübersitzen verstehen, so schlecht sprachen die. Oder die sächselten beim Macbeth. Da habe ich mich gefragt: Was lernen die denn bitte an den Schulen?
Und was lernt man, wenn man jahrelang durch Stadttheater tingelt?
Wie es geht und wie es nicht geht ...
Was geht zum Beispiel nicht mehr?
Mich in die Abhängigkeit von talentfreien Regisseuren zu begeben. Ich werde mich nicht mehr zum Affen machen, um die Profilneurose von jemand anderem zu kompensieren.
Geht es konkreter?
Da hat ein Regisseur in Bremerhaven ein Stück inszeniert, in dem es eine Vergewaltigungsszene gab. Er wollte, dass ich meine Hose runterlasse, mein Gemächt in die Hand nehme und die Frau von hinten nehme. Das habe ich getan, in der Probe. Und das war der jämmerlichste Augenblick meiner Karriere. Es war nicht entwürdigend, weil er das verlangt hat, sondern weil ich nachgegeben habe. Es war widerlich, unästhetisch, nicht künstlerisch. Am Abend bin ich zusammengebrochen, meine Kollegin übrigens auch, und wir haben uns gefragt: Was machen wir hier eigentlich? Zum Glück gab es nicht mehr als nur die eine Probe.
Sie sind spät bekannt geworden, mit Mitte 30, in Anke Engelkes Comedyserie „Ladykracher“.
Im Nachhinein bin ich sehr dankbar, dass ich nicht auf einer Ernst-Busch-Schule gelandet bin und danach gleich an die Münchner Kammerspiele gerufen wurde. Da würde man sich doch ständig fragen: Was soll jetzt noch kommen? Für mich war der Weg über die Stadttheater gut.
Sie haben vor Jahren das Angebot für eine Late-Night-Show abgelehnt.
Da hat mein Bauchgefühl gesagt, das ist nicht richtig. Oder mit Oliver Welke sollte ich 2004 die erste Moderation von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ machen. Damals kannte ich das Format nicht, schaute mir auf Band die australische Originalversion an und dachte, was habe ich falsch gemacht, dass mir so etwas angeboten wird?
Bastian Pastewka erzählte uns, er würde jedes Jahr 70 Freunde zu Weihnachten beschenken. Sie auch?
Eine Zeit lang. Ich bekomme aber im Laufe des Jahres immer mal wieder selbst gebrannte DVDs von ihm zugeschickt, von denen er annimmt, dass ich sie verpasst habe und gern gesehen hätte.
Was war die letzte?
Der großartige Krimimehrteiler „Messias“, der im Spätprogramm des ZDF lief. Es ist praktisch, so jemanden wie Bastian als fleischgewordene Festplatte im Rücken zu haben.
Sie schauen Krimis?
Gerne. Aber nicht die aus der Primetime. „Tatort“ ist mir zu austauschbar. Sonst sehe ich fast nur DVDs, im Moment die achte Staffel von „24“.
Sie sitzen also am 1. Januar nicht vor dem Fernseher, wenn Ihre „Traumschiff“-Folge kommt?
Nein, dann bin ich im Urlaub. Direkt nach Weihnachten ziehe ich den Stecker, lasse das Handy hier, und dann fahren meine Freundin und ich mit Rucksack nach Asien. Nur nicht nach Thailand oder Vietnam, das ist mir zu ausgelutscht.
Fühlen Sie sich mit 44 Jahren nicht zu alt für einen Rucksackurlaub?
Ich weiß nicht, welche Klischees Sie im Kopf haben. Wir werden nicht acht Wochen lang über staubige Straßen laufen, einige Tage gönnen wir uns auch mal ein Luxusresort. Aber Land und Leute lernen wir nur kennen, wenn wir mit dem Rucksack reisen. Und so lange mein Körper das mitmacht, werde ich das auch tun.
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