Kultur: „Das ist Afrika“
Ende des humanitären Zeitalters: Wie Kino und Literatur den Schwarzen Kontinent entzaubern und zur Hölle erklären
Am Ende, nachdem die Leibwächter Idi Amins ihm, dem Leibarzt, Fleischerhaken durch die weiße Haut getrieben und ihn daran aufgehängt haben, nachdem er seinen Herrscher vergiften wollte, aber zu ungeschickt vorging, nachdem er die Lieblingsfrau des Diktators geschwängert und als zerstückelten, grotesk entstellten Torso in der Leichenhalle wieder gefunden hat, nachdem er den einzigen Mann in Uganda, der wirklich gut war, verraten hat, am Ende also, da er der Mörderbande Idi Amins selbst in die Hände fällt, beugt sich ein mächtiger, dunkler Schatten über ihn. „Das ist kein Spiel“, sagt der Schatten, „du glaubst, du kannst hierherkommen, unsere Frauen nehmen und alles, was dir gefällt? Dein Tod wird das erste reale Erlebnis sein, das du hast.“
Es ist die Schlüsselszene aus „Der letzte König von Schottland“, einem Film, der Mitte März in die deutschen Kinos kommt und vorgibt, von einem der größten Menschenschlächter Afrikas zu handeln. Aber um Idi Amin geht es gar nicht, auch wenn Forest Whitaker für seine Darstellung des paranoiden Volkstribuns nun den Oscar bekommen hat. Es hätte dieses Films von Kevin McDonald nicht bedurft, um an Amins furchtbare Verbrechen zu erinnern, die in den acht Jahren seiner Terror-Regentschaft 300 000 Einheimische das Leben kosteten. Vielmehr erzählt „Der letzte König von Schottland“ von falschen Afrika-Bildern und dem Schock der Ernüchterung.
Im Mittelpunkt des 123-minütigen Epos steht der junge schottische Arzt Nicholas Garrigan (James McAvoy), den die Aussicht, an der Seite seines verknöcherten Vaters in die gemeinsame Praxis einzutreten, nach Afrika treibt. Noch bevor er die entlegene Krankenstation im Busch Ugandas erreicht, hat er mit einem schwarzen Mädchen geschlafen. Und es dauert auch nicht lange, bis er sich an eine weiße Kollegin heranmacht. Garrigan ist ein Romantiker, zu verblendet, um zu begreifen, was in dem Land nach Amins Staatsstreich vor sich geht. Der General ernennt den forschen Mediziner bald zu seinem persönlichen Arzt – und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.
„Das ist Afrika“, rechtfertigt Garrigan einmal die Brutalität seines Schutzherren. „Hier begegnet man Gewalt mit Gewalt, alles andere ist tödlich.“ In dem Action-Drama „Blood Diamond“ schrumpft diese Erkenntnis zur Kurzform „T.I.A“ für This is Afrika. Leonardo Di Caprio, der als Diamentenhändler durch ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Sierra Leone irrt, benutzt sie immer dann, wenn sich sowieso alles von selbst versteht. Die Suche nach den Ursachen: zwecklos.
„Last King of Scotland“ und „Blood Diamond“ sind die jüngsten Zeugnisse für einen Trend, Afrika als Schauplatz des fortgesetzten Schreckens zu entdecken. Nach „Hotel Rwanda“ und „Sometimes in April“, zwei Werken über den Tutsi-Genozid in Zentralafrika, deckte schon ein britischer Diplomat in „The Constant Gardener“ einen millionenschweren Pharmaskandal in Kenia auf. „Catch a Fire“ schildert wie ein Raffinerie-Arbeiter unter der Folter des südafrikanischen Apartheid-Regimes zum Widerstandskämpfer wird. Ja, sogar James Bond jagt in „Casino Royal“ durch eine schwarzafrikanische Terrorlandschaft, die sich, darauf deuten die zahlreichen Baukräne hin, zumindest wirtschaftlich im Aufschwung befindet.
Woher kommt diese neue Faszination der Mainstream-Unterhaltung am Schwarzen Kontinent? Hat die Kolumnistin der „New York Times“, Manohla Dargis, mit ihrer Einschätzung Recht, dass der Feel-bad-Movie im Gewand des Afrika-Schockers zurückkehrt?
Mit Seufzern wie „Ich hatte eine Farm am Fuße der Ngong- Berge“, mit dem Tania Blixens „Jenseits von Afrika“-Schmonzette beginnt, hat das Interesse jedenfalls nichts zu tun. Im Gegenteil. Jahrzehntelang stand die Auseinandersetzung mit dem Erdteil unter dem Einfluss postkolonialer Reflexe. Romantische Sehnsuchtsbilder, wie sie das deutsche Fernsehen mit Serien à la „Afrika, mon amour“ noch immer fleißig bedient, blühten umso rosiger auf, je feindseliger sich die Verhältnisse gaben. Afrika war die imaginäre Ersatzheimat von zivilisationsflüchtigen Europäern, die etwas Wahreres und Schöneres zu erleben meinten, wo in Wirklichkeit Armut, Seuchen, Aberglaube und Gewalt grassierten. Die eigenartige Melancholie, die über den Liebeserklärungen an Afrika liegt, birgt schon die Enttäuschung in sich. Dieser Kontinent gibt nicht zurück, was man in ihn hineinsteckt.
So regrediert die Region zum „verfluchten Kontinent“ (Arte). Der Verlust an Illusionen wird zum Topos eines nachhumanitären Zeitalters, in dem man sich ins Unvermeidliche fügt. Mit zynischer Gelassenheit wird der Horror kollabierender Gemeinwesen hingenommen. Afrika füllt eine Lücke im leerlaufenden Gruselkabinett der Menschenverachtung: Wenn man glaubt, es ist schlimm, dann kommt es dort garantiert noch schlimmer.
Davon zeugt auch der äußerst lesenswerte Reportage-Band des Amerikaners Denis Johnson, der unter dem markanten Titel „In der Hölle“ für Furore sorgt. Dreimal bereiste der Ex-Junkie, verkrachte Alkoholiker und White-Trash-Autor („Angels“) Anfang der neunziger Jahre Bürgerkriegsregionen, die im Klammergriff marodierender Horden von Kindersoldaten, und Rebellen-Milizen untergehen. Beim ersten Mal gelangt er nach Liberia, wo nach dem Tod des Präsidenten Samuel K. Doe ein erbitterter, apokalyptischer Machtkampf zwischen Charles Taylor und Prince Johnson entbrannt ist. Sein Rüstzeug: Er will seiner Pflicht als Journalist gerecht werden. Aber schon nach Liberia überhaupt zu gelangen, entpuppt sich als Nervenkrieg. „Westafrika ist das Land“, schreibt er, „in das Gott kam, um warten zu lernen.“ Den Frust darüber, auf einem Schiff festzusitzen, das ihn und fünfhundert Soldaten einer ghanaischen Friedenstruppe nach Monrovia bringen soll, aber tagelang nicht ausläuft, verwandelt er in messerscharfe Literatur. Im Stillstand findet der Autor den pessimistischen Tonfall, den er für die „Atmosphäre aberwitzigen Grauens“ braucht. Soldaten mit Duschhauben und in Frauenkleidern schießen auf Kinderbanden mit blondlockigen Perücken. Rebellenführer Prince Johnson gibt in seinem Hauptquartier ein bekifftes Reggae- Konzert. Denis Johnson fühlt sich wohl in diesem Irrenhaus, das auf ihn wie das Kondensat eines ohnehin verspielten Daseins wirkt. Wenn ihn eine Kugel erwischte, wäre ihm das nur recht.
Als der Schriftsteller im Winter 1992 für den „New Yorker“ erneut nach Liberia reist, um Charles Taylor zu treffen, bemüht er sich gar nicht erst um Neutralität. Seine Odyssee verstrickt ihn tief in die undurchsichtigen Verhältnisse. Schon bald bereut er, sich auf das Abenteuer eingelassen zu haben. Zu Hause warten Frau und Kinder. Was will er in dem fremden Land? Seine Begleiter sind ihm nicht geheuer, ein nigerianisches Kampfflugzeug beschießt ihn und als er schließlich dem Kriegsherrn Taylor gegenübersitzt, stellt er das Mikrofon so unglücklich in den Wind, dass nachher kein Wort zu verstehen ist. Seine gescheiterte Mission wird zum brillant geschriebenen Lehrstück darüber, dass man der Region am besten fernbleibt.
„So läuft das hier in Afrika“, konstatiert Johnson in seiner Somalia-Reportage, die auf einen Trip zur Verabschiedung der letzten US-Marines aus Mogadischu zurückgeht. „Was getan wird, ist Ergebnis von Überlegungen, die mit Logik oder Zweckmäßigkeit nicht das Geringste zu tun haben.“ Stattdessen breite sich „die mystische Autorität subtilerer Interessen aus wie berauschender Weihrauch, und alles wird aus Gründen getan, die niemand versteht“. Zum gleichen Schluss kam schon der Reisende in Joseph Conrads prägendem „Herz der Finsternis“-Roman. Während Conrad die Ära der Aufklärung im Dickicht des Kongo-Deltas untergehen sah, kündigen Johnsons Worte nun das Ende des karitativen Jahrhunderts an. Sobald sich Nationalstaaten und die UN in die Stammeskonflikte Afrikas einmischten, schreibt er, sei die Folge nur ein noch blutigerer Machtkampf.
Längst hinterfragen auch Ökonomen nicht zuletzt aus den afrikanischen Staaten den Sinn einer expandierenden Entwicklungshilfe. Afrika hat sich in einen monströsen Zuwendungsmarkt verwandelt, von 80 Milliarden US-Dollar, die weltweit jedes Jahr in Unterstützungskassen fließen, bezieht es ein Drittel. Allein Deutschland pumpt jährlich 2,7 Milliarden Euro in den subsaharischen Raum. Unzählige NGOs treiben weitere Milliarden als Spenden ein. Wobei sich seit fünfzehn Jahren eine gewisse Ermüdung im „Dritte Welt“-Engagement zeigt. Erst bei akuten Krisen wächst die Spendenbereitschaft rapide, so dass die Händler des guten Gewissens vor Ort wie eine liegengebliebene Armee um LKW-Kapazitäten und Pistenzeiten wetteifern. In manchen Staaten werden über 50 Prozent des öffentlichen Haushalts fremdfinanziert, die afrikanischen Volkswirtschaften haben ein erstaunliches Talent bei der „Absorption“ solcher Zuschüsse entwickelt.
Allerorten kursieren auf Nachfrage pittoreske Elendsbiografien, über deren Wahrheitsgehalt selten etwas in Erfahrung zu bringen ist. Das zeigt die aktuelle Debatte um die Erfolgsautorin Senait Mehari („Feuerherz“). Der Vorwurf, die in Eritrea geborene Sängerin habe ihre Autobiografie zum Kindersoldaten-Drama aufgemöbelt, trifft die Africa-Aid-Kultur schwer. Wem soll man noch glauben, wenn – unter Umständen – es so einfach ist, sich zum Kriegsopfer zu stilisieren?
So senkt sich der dunkle Schatten dieses Kontinents, von dessen inneren Beweggründen Außenstehende kaum etwas wissen, über uns. „Sie sind ein Kind“, sagt der Leibarzt fassungslos zum Diktator, „das macht Sie so gefährlich.“ Vermutlich ist auch das ein Trugschluss.
„Der letzte König von Schottland“: ab 15. März im Kino. Denis Johnsons „In der Hölle“ ist im Tropen-Verlag erschienen. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Leipzig 2006, 186 Seiten, 18,80 €.
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