Kultur: Das grüne Leuchten
Plädoyer für die Entschleunigung: eine Basler Retrospektive präsentiert die britische Film-Künstlerin Tacita Dean
Der Kontrast könnte kaum größer sein: Ausstellungsbesucher kommen herein, fangen an zu tuscheln, dass ihr Parkschein fast abgelaufen sei, ein Handy beginnt zu klingeln, kurz darauf verlassen die ersten schon wieder den Vorführungsraum. Die wenigsten bleiben und schauen einfach hin. Filminstallationen von Tacita Dean sind eine Herausforderung, die das Kunstpublikum nur selten besteht. Denn in dem abgedunkelten Raum ist nur die 60-minütige Beobachtung eines gewöhnlichen Tagesablaufs von fünf Ordensschwestern in Zivil zu sehen. Mehr nicht. Aber gerade dieses wenige wird den meisten zu viel.
Die britische Künstlerin begegnete den fünf Nonnen des South Presentation Convents im irischen Corp und war von ihrem Alltag sogleich fasziniert. Vom morgendlichen Tee in einer altmodischen Küche bis zum Bügeln der Frotteehandtücher, dem Zupfen von Geranienblättern und dem abendlichen Gebet hat sie die „Presentation Sisters“ begleitet. Mit einer Seelenruhe, ausschließlich Langzeiteinstellungen entwickelt Tacita Dean die gleiche stoische Hingabe selbst an die geringste Aktivität wie diese scheinbar aus der Zeit gefallenen Glaubensschwestern.
Tacita Deans Beitrag für die Berlin-Biennale, zu sehen in einem Klassenzimmer der Jüdischen Mädchenschule, gehört zu den aufregendsten Werken der Auguststraßen-Schau (bis 5. Juni). Es braucht eine Zeit, bis man ihre Sicht auf die Dinge, die Menschen versteht. Dann verschwindet die Unruhe im Vorführsaal wie von selbst, und nur noch das Bügeln von Frotteehandtüchern und Zupfen von Geranienblättern zählt. Die 1965 in Canterbury geborene Britin hat mit ihren Dauerbeobachtungen eine kleine Revolution in Gang gesetzt, mit der sie unsere auf schnelles Erfassen trainierte Wahrnehmung nachhaltig irritiert. Mit ihren 16-Millimeter-Filmen malt sie Stillleben, die sich in die Erinnerung einschreiben wie ein Gemälde von Vermeer.
Im hektischen Kunstbetrieb blieben diese Zeitinseln nicht lange unbemerkt; Tacita Dean gehört heute zu den gefragtesten Künstlerinnen ihrer Generation: Ausstellungen in allen großen Häusern der Welt, Einladungen zu Biennalen, zahlreiche Preise. Ihre Retrospektive im Schaulager Basel kommt da beinahe einem Ritterschlag gleich: 17 Filme werden dort gezeigt, die erstmalige Dokumentation ihres gesamten zeichnerischen Werks, dazu fotografische Arbeiten und eine große Soundinstallation.
Das von einer Stiftung getragene Haus, erbaut von Herzog & de Meuron und Aufbewahrungsort einer der spektakulärsten Privatsammlungen der Schweiz, zeigt eine opulente Schau, mit der ein öffentliches Haus kaum gleichziehen kann. In der Schweiz finden sich noch die finanziellen Mittel und die Muße, um ein solches Werk adäquat vorzustellen. Dabei läge es nahe, diese Übersichtsausstellung auch in Berlin zu präsentieren, wo die Künstlerin seit ihrem DAAD-Stipendium vor sechs Jahren lebt.Hier sind auch zwei ihrer schönsten Filme entstanden: vom Fernsehturm und vom Palast der Republik. In ihnen verdichten sich die Hauptthemen ihres Schaffens – Zeit, Vergänglichkeit, die Veränderung des Lichts.
Wie eine Rückenfigur in einem Landschaftsgemälde von Caspar David Friedrich steht der Besucher vor der Breitwandprojektion, versunken in die Betrachtung des Innenlebens im Berliner Fernsehturm. Die Künstlerin hat die Kamera auf einer Balustrade des Tele-Cafés installiert und lässt 44 Minuten lang das sich um seine eigene Achse drehende Treiben vorüberziehen. Wie bei den „Presentation Sisters“ verfolgt sie das Geschehen gerafft über einen Tag und doch mit schier unendlicher Geduld: von der gleißenden Helle zu Beginn bis zur Finsternis am Abend, in der sich das Innere auf den Fenstern reflektiert.
Auch hier findet sich der Betrachter in einer Zeitkapsel wieder, denn das Mobiliar blieb seit der Wende unverändert, während sich draußen ein Gezeitenwechsel vollzog. Auch bei dem gefilmten Lichtspiel der untergehenden Sonne auf den Fenstern vom Palast der Republik ist der Künstlerin eine hochpoetische Momentaufnahme gelungen, die zugleich die politischen Zeitläufte spiegelt und die Vergänglichkeit staatlicher Symbole zeigt. Noch deutlicher wird dies bei ihrem Berliner Trödelmarktfund, einem Konvolut aus Opern- und Konzertprogrammen aus den Jahren 1934 bis 1942, das sie wie ein eigenständiges Kunstwerk an einer ganzen Galeriewand präsentiert. Bei sämtlichen Heften wurden Fensterchen aus dem Titelblatt geschnitten, wo sich ursprünglich Schriftzüge und Embleme des Naziregimes befanden. Was bleibt, ist die reine Musik, entlassen aus den sie prägenden Bedingungen.
Gerade darin besteht das Arbeitsprinzip von Tacita Dean. Sie ist auf der Suche nach Geschichten, Orten und Menschen, an denen sich der Wandel der Zeit ablesen lässt. „Mich ziehen Dinge an, die gerade verschwinden“, sagt sie und arbeitet bis heute mit der klassischen Kamera. Das altmodische Rattern des Projektors, der umständliche Aufbau der 16-mm-Spulen sind fester Bestandteil ihrer Installationen. Ihr jüngster Film ist dem Kodak- Werk in Châlons-sur-Marne gewidmet, das in diesem Jahr endgültig die Produktion von analogem Filmmaterial einstellt.
Deans melancholische Haltung fügt sich in die gegenwärtige Haltung der zeitgenössischen Kunst, in der weniger politische Diskurse verhandelt, sondern Sehnsuchtsmotive angeschlagen werden, in der statt abstrakter Kühle das Narrative dominiert. All dies Wünschen, Träumen kommt auch in einem Projekt zum Tragen, mit dem sie sich vor vier Jahren in Berlin um den Preis der Neuen Nationalgalerie bewarb: „The Green Ray“. In Madagaskar filmte sie jenes legendäre grüne Leuchten, das für einen Sekundenbruchteil aufblitzt im Moment des Sonnenuntergangs. Der Betrachter aber bleibt im Ungewissen, ob er es nun tatsächlich gesehen hat, so oft sich ihr Film auch wiederholt.
Die Installationen von Tacita Dean entfalten eine Sogkraft, die ihren Zeichnungen verständlicherweise fehlt – zumal im unmittelbaren Vergleich. Immer wieder taucht in den Papierarbeiten das Motiv des Storyboards auf, als wären sie Vorstufen für einen Film. Kurioserweise spielen sich in den Zeichnungen dramatische Szenen ab, zumeist auf hoher See, während in den Filmen, wo man zunächst Handlung erwartet, oft Stillstand herrscht. Stets wartet der Betrachter, dass etwas passiert. Doch das Schlüsselwort lautet Geduld, wie bei der Kleeblattsuche. Im Zentrum der Ausstellung stehen denn auch vier Vitrinen mit diversen vierblättrigen Exemplaren, die Tacita Dean seit ihrem achten Lebensjahr fand. Die Künstlerin hatte offensichtlich immer schon ein Talent, durch Zufall Dinge zu entdecken. Nur braucht man dafür Zeit. Ihre Arbeiten sind ein Plädoyer für die Entschleunigung und die Entdeckung des Glücks im – fast – angehaltenen Moment.
Basel, Schaulager, bis 24. September; Katalog (Steidl Verlag) 38 Franken.
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