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Gianfranco Rosi zeichnet in „Das andere Rom - Sacro GRA“ kleine Welten der Selbstvergessenheit.
© Kairos Filmverleih

Doku „Das andere Rom - Sacro GRA“: Das Getöse der Autostrada

Gianfranco Rosi erkundet in "Sacro GRA" den Alltag in der Umgebung Roms und schafft mit seinem liebevollen wie originellen Bilderbeutezug einen Heimatfilm der anderen Art.

Den dreispurigen Autobahnring um Rom, genannt GRA (Grande Raccordo Anulare), stellt man sich als ideales Sujet für eine Lektion wider den Auto-Fetischismus und die Raserei vor. Der italienische Dokumentarist Gianfranco Rosi hat anderes gesehen, als er drei Jahre lang dort mit der Kamera und dem Soundrekorder auf Beutezug ging.

Der Sacro GRA – das heilige Beiwort im Filmtitel weist in magische Gefilde – ist ihm nur auf den ersten Blick eine topografische Landmarke. Wir sind in den Hügeln nahe Rom, nicht etwa bei Florenz. Ihre visuelle Schönheit fasziniert ihn, die nur die Kamera wahrnimmt, die von außen, mit Abstand schaut, anders als der Autofahrer in seiner rasenden Zelle. Gianfranco Rosi zelebriert, wie sich die Autostrada abends als rotweiße Lichterschlange dem lachsfarbenen Himmel entgegenwindet, immer wieder hält er Wolkengebirge über der Landschaft fest oder zeigt gleichmütige Schafe am Rand des Verkehrs – die Straße ein Naturereignis, ein grandioses ästhetisches Spektakel, ein monströses Technokonzert.

Gianfranco Rosi: Lyrismus à la Fellini

Rosis Lyrismus setzt sich fort, wenn er die Hauptakteure seines Films in den Blick nimmt. Bei seinen Bilderbeutezügen begegnete er originellen Individualisten, Typen eines in Spuren noch vorhandenen Volkscharakters, die er eher pittoresk à la Fellini als im Sinne des widerständigen Ideals von Pasolini porträtiert. Aus unendlich viel Material, lauter beiläufigen Momentaufnahmen, bei denen die Kamera vergessen scheint, komponiert der Film Facetten ihrer Alltagsrituale und liebenswerten Obsessionen. Die Autostrada und ihr Getöse sind da nur noch wüster Trommelwirbel in kleinen Welten der Selbstvergessenheit.

Gianfranco Rosi zeichnet in „Das andere Rom - Sacro GRA“ kleine Welten der Selbstvergessenheit.
Gianfranco Rosi zeichnet in „Das andere Rom - Sacro GRA“ kleine Welten der Selbstvergessenheit.
© Kairos Filmverleih

Ob Rosis Film skurrile Spleens ausstellt oder vitalen Eigensinn feiert, seine Besuche auf den Kleinstplaneten um die Stadt Rom hinterlassen von Episode zu Episode widersprüchliche Eindrücke. Da ist der alte Biologe, der mächtige Dattelpalmen anbohrt und den „rumore“ darin aufzeichnet, Beweis für die „Orgie“ einer Käfer-Spezies, die bislang noch ohne Gegenmittel wütet. Da ist der bullige Sportsmann, der sich an einen Schreibtisch zwängt, um sein mit Antiquitäten vollgestelltes Landgut an Film- und Fotoromanproduzenten zu vermieten. Rosi begleitet einen einsamen Fischer, der im Morgendämmer seine Aalreusen im Tiber leert. Er filmt das Parlando eines hageren Bärtigen (effektvoll vom Balkon einer darüberliegenden Wohnung herab), der sich im Gespräch mit seiner Tochter als nobel verarmter Adliger und äußerst gebildet erweist. Zwei ältere Prostituierte ziehen einander im Morgenlicht die Lippenkontur nach und besprechen die nächtlichen Zusammenstöße mit der Polizei.

Ein Heimatfilm der anderen Art

So viele kuriose Typen! Sie alle tummeln sich rechts und links des GRA in diesem Heimatfilm der anderen Art, mit dem Rosi 2013 in Venedig den Goldenen Löwen gewann.

OmU: fsk, Hackesche Höfe, Lichtblick

Claudia Lenssen

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