Eichmann-Prozess: Das Gesicht des Bösen
Vor 50 Jahren begann der Prozess gegen den Massenmörder Adolf Eichmann. Jetzt beschäftigt sich eine Ausstellung in der Topographie des Terrors mit einem der wichtigsten Gerichtsverfahren der Nachkriegszeit.
Bis zuletzt hatte er noch Tausende von Juden, vor allem auch viele Frauen, auf endlosen Fußmärschen in den Tod getrieben, dann musste er einsehen, dass auch in Ungarn die Voraussetzungen für eine Weiterführung des Vernichtungsprogramms nicht mehr gegeben waren, weil es inzwischen an jeglichen Transportmöglichkeiten mangelte.
Am 24. Dezember 1944 machte Adolf Eichmann der erzwungenen Untätigkeit ein Ende, setzte sich in seinen Mercedes und suchte das Weite. Am 11. April 1961 wurde im Bezirksgericht von Jerusalem der Prozess gegen ihn eröffnet. Diese beiden Daten umspannen eine bewegte Zeit. Ein Teil des Geschehens liegt noch immer im Dunkeln, was auch damit zusammenhängt, dass ein Teil der Akten, etwa beim BND, bis heute gesperrt ist.
Zunächst hatte Eichmann sich von seiner Familie im österreichischen Altaussee getrennt und sich unter wechselnden Namen als Waldarbeiter, Hühnerzüchter und Gelegenheitsarbeiter durchgeschlagen. 1950 setzte er sich mithilfe katholischer Kirchenmänner über die sogenannte Rattenlinie nach Argentinien ab. Der Reisepass vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes in Genf wies ihn als den staatenlosen Techniker Ricardo Klement aus. Er ließ sich in der Nähe von Buenos Aires nieder, fand als Elektriker sein Auskommen, zuletzt bei Mercedes-Benz Argentina, und holte auch Frau und Söhne ins Land. Ein vierter Sohn, Ricardo Eichmann, wurde in Argentinien geboren.
Hier gab es ein effizientes Netzwerk geflüchteter NS-Täter. 1949 war der österreichische SS-Standartenführer Otto Skorzeny, einer der engsten Mitarbeiter Eichmanns, ins Land gekommen. Skorzeny machte Eichmann mit den niederländischen SS-Untersturmführer Willem Sassen bekannt. Skorzeny und Sassen arbeiteten als Berater für den argentinischen Präsidenten Juan Perón und seine Gattin Evita, berieten aber auch zahlreiche andere Staatschefs, von dem Ägypter Nasser bis zu Pinochet in Chile. Zu dem Kreis um Sassen gehörte auch der Verleger Eberhard Fritsch, in dessen Dürer Verlag nicht nur die Zeitschrift „El Sendero“ (Der Weg) erschien, sondern auch Memoiren ehemaliger SS-Angehöriger, deren Ghostwriter meist Sassen war. Auch mit Eichmann führte Sassen über längere Zeit Gespräche. Die Abschriften der Tonbänder füllten 900 Seiten. Eichmann versuchte die Arbeit der letzten Jahre beschreibend zu rechtfertigen und schwankte dabei zwischen Selbstmitleid und Größenwahn. Er klagte, dass „durch des Schicksals Tücke“ viele der über zehn Millionen Juden in Europa, deren Ermordung zu organisieren seine Aufgabe gewesen war, am Leben geblieben seien. Wenn es gelungen wäre, sie alle zu töten, „dann hätten wir unsere Aufgabe erfüllt“.
Adolf Eichmann lebte unbehelligt in Argentinien und fühlte sich so wohl, dass er sogar für seine Familie ein Haus baute. Dies obwohl sein Name auf der Liste der bekannten und gesuchten Kriegsverbrecher stand und auch die Bundesrepublik Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte. Der Bundesnachrichtendienst war schon seit 1952 über Eichmanns Aufenthaltsort informiert gewesen, aber die Bundesrepublik hatte an seiner Verhaftung kein Interesse, was man auch die Amerikaner hatte wissen lassen, die eindringlich gebeten wurden, in der Sache nichts zu unternehmen. Unter anderem fürchtete man, ein Prozess gegen Eichmann könnte der DDR neues Material für ihre Kampagne gegen alte Nazis im bundesdeutschen Staatsdienst liefern.
Als Adolf Eichmann im Mai 1960 schließlich von Geheimagenten des Mossad nach Israel entführt wurde, erregte diese Aktion international größtes Aufsehen. Der deutsche Außenminister Heinrich von Brentano zeigte sich irritiert und forderte einen Bericht bei der Botschaft in Buenos Aires an. Botschaftsrat Brückmann schrieb daraufhin, kein Botschaftsangehöriger, auch nicht der Botschafter selbst, hätten „von Adolf Eichmann und seinen Untaten vor den Mai-Ereignissen dieses Jahres jemals etwas gehört“. Diese Behauptung war schon per se wenig glaubhaft, aber umso erstaunlicher, als die Söhne nach wie vor den Namen Eichmann führten und bei dem Antrag auf Passverlängerung jeweils den bei ihrer Geburt aktuellen SS-Rang des Vaters angegeben hatten.
Eichmanns Entführung löste auch eine diplomatische Krise aus. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Aktion einstimmig und der israelische Botschafter in Argentinien musste das Land verlassen. Die Staatschefs von Argentinien und Israel verurteilten in einer gemeinsamen Erklärung, dass „israelische Bürger“ die fundamentalen Rechte des Staates Argentinien verletzt hätten.
Doch der israelische Premierminister David Ben Gurion ging in die Offensive. Er sah, welche Möglichkeiten der anstehende Prozess gegen Eichmann bot. Auch die Israelis waren zunächst mit der Stabilisierung ihres jungen Staates beschäftigt gewesen und versuchten, jenseits der traumatischen Erfahrung des Holocaust in ihrer historischen Heimat ein neues Leben zu beginnen. Nun plötzlich war der Organisator der Deportationen, die Inkarnation des nationalsozialistischen Vernichtungswillens mitten unter ihnen. Der frühere Botschafter Avi Primor schreibt in seiner Autobiografie: „Für uns bedeutete der Prozess eine äußerst schmerzhafte Auseinandersetzung mit diesem Trauma, ja er kam einer gigantischen Unterbrechung jedweder Art von Verdrängung gleich.“
Diese schmerzhafte Auseinandersetzung bot die Chance, wie Ben Gurion es formulierte, dass „die in Israel aufgewachsene und hier erzogene Jugend, die nur eine schwache Vorstellung von den beispiellosen Grausamkeiten hat, erfahren kann, was sich wirklich ereignet“. Der jüdische Staat sei der Erbe der sechs Millionen, die ermordet worden waren.
1953 war Yad Vashem, die nationale Holocaust-Gedenkstätte des Staates Israel, gegründet worden. Hier hatte man sich schon früh um Holocaust-Überlebende, die in Israel oftmals am Rande der Gesellschaft lebten, gekümmert und ihre Zeugnisse gesammelt. Dieses Archiv mit Zeugenaussagen bildete eine Basis für die Anklage im Eichmann-Prozess. Der Eichmann-Prozess war nicht nur eines der ersten weltweit beachteten Medienereignisse. Es war auch das erste Gerichtsverfahren gegen einen NS-Täter, bei dem die Opfer im Mittelpunkt standen. Männer und Frauen, denen bis dahin niemand Beachtung geschenkt hatte, berichteten, wie sie unter unfassbar menschenfeindlichen Bedingungen überlebt hatten, nicht selten als einzige Angehörige ihrer Familien. Die Ermordung der europäischen Juden wurde mit einem Mal zu einer Geschichte von individuellen Menschen. Die Polyfonie ihrer Stimmen hatte eine überwältigende Authentizität und gab dem Vernichtungsgeschehen eine Plastizität, die alle abstrakten Zahlen in den Hintergrund treten ließ.
Hierin liegt die eigentliche Bedeutung des Eichmann-Prozesses. Er hat auch den Auschwitz-Prozess möglich gemacht, der im Dezember 1963 in Frankfurt am Main begann und das Geschehen in den Vernichtungslagern ins Land der Täter zurückholte. Nun konnten sich die Deutschen ein Bild von der Hölle machen, die sie einst selbst geschaffen hatten. Der Mann, der den größten Strafprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte unermüdlich vorangetrieben hatte, war der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Er war frühzeitig über den Aufenthaltsort von Eichmann informiert gewesen und war drei Mal nach Israel gereist, um die israelischen Behörden zum Eingreifen zu bewegen.
Im Gerichtssaal von Jerusalem spielte sich noch etwas anderes ab, ein Konflikt zwischen dem Generalstaatsanwalt Gideon Hausner und der Philosophin und Publizistin Hannah Arendt, der seinerzeit vielleicht berühmtesten Prozessbeobachterin. Für Hausner war Eichmann der schlimmste Mörder der Menschheitsgeschichte, die „Verkörperung des satanischen Prinzips“.
Arendt dagegen versuchte in ihrem Bericht „Eichmann in Jerusalem“ zu zeigen, dass selbst ein unscheinbarer Bürokrat, und als solcher inszenierte sich Eichmann vor Gericht, in einem totalitären Staat jeden moralischen Maßstab verlieren kann und zu den schrecklichsten Untaten fähig ist. Sie verkannte nicht nur die Indienstnahme des traditionellen Verwaltungsapparats durch die Nationalsozialisten, sondern auch die Tätigkeit und die Motivation der „Eichmann-Männer“, die die Historiker Hans Safrian und Yaacov Lozowick später gründlich analysiert haben. Hannah Arendts Deutung hat trotz offensichtlicher historiografischer Defizite und trotz sofortigen lebhaften Widerspruchs eine erstaunliche, bis heute anhaltende Wirkung gezeitigt.
Die Ausstellung „Der Prozess - Adolf Eichmann vor Gericht“, die am heutigen Mittwoch in der Berliner „Topographie des Terrors“ eröffnet wird, behandelt diese Kontroverse nur am Rande. Nach einer biografischen Hinführung, die Eichmanns Karrierestationen als Stratege der Vernichtung folgen, steht der Prozess ganz im Zentrum. Die Anklage wird durch den Chor der Zeugen vertreten, dem Eichmann gegenübersteht. In der Mitte ist das Gericht positioniert. Der ganze Prozess wurde seinerzeit gefilmt, so dass der Ausstellungsbesucher anhand von Filmsequenzen der Aura des epochemachenden Gerichtsverfahrens nachspüren kann. Die Ausstellung ist zurückhaltend inszeniert und wirkt gerade dadurch überzeugend. In ihrer dokumentarischen Kargheit erinnert sie an Peter Weiss’ Oratorium „Die Ermittlung“. Der Besucher ist mit den Stimmen der Zeugen konfrontiert und im Gegensatz zum Angeklagten haben sie ihm etwas zu sagen.
Adolf Eichmann, der zu Beginn damit geprahlt hatte, er könne sich als Sühneleistung für seine Taten selbst das Leben nehmen, stellte nach seiner Verurteilung ein Gnadengesuch, das jedoch abgewiesen wurde. Am 31. Mai 1962 wurde er in der Nähe von Tel Aviv hingerichtet.
Der Prozess – Adolf Eichmann vor Gericht. Topographie des Terrors, Niederkirchnerstr. 8, bis 18. 9., tgl. 10 - 20 Uhr. Katalog: 235 S., 15 €.
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