Kultur: Das Genie steckt im Detail
Mit Thomas Bernhards „Alte Meister“ bringt Suhrkamp erstmals einen Comic heraus.
Man kann dem Suhrkamp Verlag und seine Leiterin Ulla Unseld-Berkéwicz viel vorwerfen. Aber nicht, dass sie unbeweglich seien oder etwas gegen Innovation hätten. Zeichnet sich das Programm des Verlags einerseits dadurch aus, stets höchsten literarischen und intellektuellen Ansprüchen genügen zu wollen, geriert sich Ulla Unseld-Berkéwicz manchmal eine Idee zu übertrieben als Bollwerk gegen die allgemeine Verflachung, so hat man bei Suhrkamp aber andererseits auch keine Berührungsängste, was populäre Medien betrifft.
Seit dem Umzug nach Berlin gibt es eine Krimireihe, vor kurzem wurde eine nach dem Vorbild der Edition Suhrkamp eine Buchreihe gegründet, in der mit schmalen, kostengünstigen Büchern auf aktuelle Themen reagiert werden soll. Und zu guter Letzt öffnet sich der Verlag, wie zahlreiche andere Literaturverlage vor ihm, jetzt auch der graphic novel, wie Comics neuerdings heißen, weil sie eben mehr als „bloß“ Comics sind, sondern eine eigenständige Kunstform. Zwei Bände im Jahr soll es geben, wobei der Verlag ausschließlich eigene Klassiker und eigene zeitgenössische Autoren in einer Comicversion umgesetzt haben möchte.
Den Anfang macht einer der letzten und vergleichsweise hellsten, freundlichsten Arbeiten von Thomas Bernhard, der 1985 erschienene, als „Komödie“ gelabelte Roman „Alte Meister“, den der 1969 in Wien geborene und vielfach ausgezeichnete Comickünstler Nicolas Mahler gezeichnet hat. Der einzige Schauplatz von „Alte Meister“ ist das Kunsthistorische Museum in Wien und darin vor allem der Saal, in dem Tintorettos „Weißbärtiger Mann“ hängt, der Bordone-Saal. Hier sitzt tagein, tagaus der vor sich hin grantelnde Kunstkritiker und „Museumshasser“ Reger, weil er hier seine vor kurzem verstorbene Frau kennengelernt hat. Und hier lernt ihn der Erzähler der Geschichte kennen, ein gewisser Atzbacher, der zusammen mit Reger und dem Museumswärter Irrsigler das gesamte Personal des Romans darstellt.
Ein schönes Setting also für eine graphic novel; und trotzdem auch eine Herausforderung für einen Zeichner, ist doch „Alte Meister“, wie so viele Erzählungen und Romane Thomas Bernhards, von extremer Handlungsarmut geprägt. Der Roman lebt von Wiederholungen und Übertreibungen, von immer wiederkehrenden, mit jedem neuen Satz in Nuancen veränderten Motiven, von der Musik nachgeformten, rhythmischen Mustern, von Sätzen wie diesem: „Wie Sie wissen, gehe ich ja nicht in den Bordone-Saal wegen Bordone, ja nicht einmal wegen Tintoretto, so Reger, ich gehe wegen dieser Sitzbank in den Bordone-Saal und wegen des idealen Lichteinflusses auf mein Gemütsvermögen, tatsächlich wegen der idealen Temperaturverhältnisse gerade im Bordone-Saal, und wegen Irrsigler, der nur im Bordone-Saal der ideale Irrsigler ist.“
Nicolas Mahler wiederum kennt man als Zeichner mit einem eher reduzierten, sparsamen, zumeist schwarzen Strich, mit langsamem Tempo und einem Hang zu verschrobenen Charakteren. Und so scheint die goldgelbe Kolorierung vor allem der Bilder- und Türrahmen, der Absperrungsleinen und dann und wann einer Haarpracht oder einer von Reger imaginierten Kunstfigur das einzige Zugeständnis Mahlers an das prachtvolle, eigentlich voller Farben und Bilder steckende Ambiente des Kunsthistorischen Museums zu sein.
Kongenial versucht Mahler auch nicht, aus dem Filtrat der über dreihundertseitigen Suada mehr zu machen als Bernhard, erzählt auch er keine Geschichte. Sondern er erstellt eine Reihe von Tableaus, von einzelnen Aufnahmen, die Atzbachers und Regers Sätze mal schlicht abbilden, mal selbst auf die Spitze treiben – und die sich manchmal fast eins zu eins gleichen oder nur minimal unterscheiden. Etwa wenn Tintorettos Weißbärtiger einmal ein gelbes Pflaster, dann einen gelben Ring trägt (und einmal Irrsigler neben dem auf dem Sofa sitzenden Reger steht, dann wieder nicht, oder er geschwind durch zwei nebeneinander stehende Bilder wandert). Wie Thomas Bernhard liebt es auch Mahler, sich in Wiederholungen zu ergehen. Wenn Reger etwa davon spricht, dass seine Art zu lesen „die eines hochgradig talentierten Umblätterers“ ist, dann fünftelt oder siebtelt Mahler die Seite mit ein und demselben Ausschnitt und hebt dann ganz außen noch einmal den Rahmen des Tintoretto-Gemäldes in den letzten Ausschnitt.
Das passt also alles sehr schön zusammen – und doch stellt sich zunächst natürlich schon die Frage, ob es einem „Alte-Meister“-Comic wirklich bedarf? Ob sich hiermit noch einmal ein ganz anderes Publikum für die Suhrkamp-Klassiker erwärmen kann, wie sich der Verlag das vorstellt?
Die Sätze aus dem Roman stehen in diesem Band größtenteils über den Zeichnungen, nur selten sind sie in die Panels eingeblockt oder gar als Sprechblasen den Figuren zugeordnet, dem von Mahler dick und gedrungen gezeichneten Reger oder dem hochaufgeschossenen, dünnen Atzbacher. Bemerkenswert ist, wie Bernhards Sätze auch gänzlich isoliert ihre Wirkung entfalten, da braucht es eigentlich keine Zeichnungen oder Bilder.
Wie sie dann aber wieder schön korrespondieren mit dem neuen, für sie unbekannten Medium! Denn Bernhards Roman ist ja eine herrliche Kunstbeschimpfung, lästert Reger doch ohne Unterlass über die alten Meister, vor denen er sitzt: Kunstreligion, das geht so gar nicht, aber ohne Kunstreligion ist auch alles nichts! So stellt auch Mahler die „Alten Meister“ dar: als ironische, aber liebevolle Coverversionen von dicken Frauen und behelmten Männern. „Armselig ist diese Kunst, weiter nichts“, heißt es im Text. „Davon abgesehen, dass alle diesen sogenannten Alten Meister immer doch nur ein Detail ihrer Bilder wirklich genial gemalt haben, kein einziger von ihnen hat hundertprozentig ein geniales Bild gemalt, das ist keinem von diesen sogenannten Alten Meistern jemals gelungen.“
Insofern erübrigt sich die Frage nach der Berechtigung dieser Adaption, dürften nur Hochkulturspießer „mit ihrem fürchterlichen Ernst“ darüber die Nase rümpfen (ohne gleich aus jeder graphic novel große Literatur machen zu wollen!). Zumal Mahlers „Alte Meister“ gerade am Ende zu ganz großer Form auflaufen. Da bedarf es nämlich keiner Worte mehr, keiner Bernhard-Sätze, als Reger den Bordone-Saal verlässt. Mit der „Times“ unter dem Arm rennt er die Treppen herunter, durchs Foyer, raus aus der Tür, es ist zehn vor zwölf, in seiner ganzen Einsamkeit und Widersprüchlichkeit von Mahler schön ins Bild genommen. Und dann fragt Reger Atzbacher, ob er mit ihm ins Burgtheater geht, das er hasst wie nichts sonst. Aber nun, es gibt doch nichts Schöneres! Ein großer Spaß – und ein Versprechen. Das nächste Comic-Cover im Suhrkamp Verlag ist Marcel Beyers Roman „Flughunde“, gezeichnet von Ulli Lust.
Gerrit Bartels
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