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Er kam, sah und schwieg. Colin Firth als König George VI. An seiner Seite Helena Bonham Carter in der Rolle der Queen Elizabeth.
© Berlinale

"The King's Speech": Das gemeine Leben der Worte

Schweige nicht, lebe: Das grandiose Drama "The King’s Speech" mit Colin Firth und Geoffrey Rush ist Oscar-Favorit.

Die ersten Minuten dieses Films vergehen in fast unerträglicher Spannung. Man sitzt gebannt in seinem Sessel und versucht, selbst das Schlucken zu vermeiden. Auf der Leinwand sieht man Colin Firth als Duke of York, Sohn von King George V., der sich 1925 auf seine Abschlussrede zur British Empire Exhibition im Wembley-Stadion vorbereitet. Es sind noch fünf Minuten bis zum Beginn der Rede, die auch deshalb so wichtig ist, weil sie als eine der ersten Sendungen der BBC live ins ganze Land und die anderen Länder des Commonwealth übertragen werden soll. Parallel zum langen Marsch des Duke aus den Gängen des Wembley-Stadions auf die Tribüne gibt sich ein selbstgefälliger Radiomoderator hingebungsvoll seinen Gurgel- und Mundspülritualen hin.

Der Königssohn zittert und schwitzt. Noch weiß man nicht, warum. Als er es schließlich geschafft hat bis zum Mikrofon, verstummt die Menschenmenge, die das Stadion füllt. Das Mikrofon wird eingeschaltet, der Duke bewegt die Lippen, aber man hört nichts. Die Stille ist bedrohlich; sie scheint eine gläserne Wand zu bilden, die den Redner umgibt. Schließlich beginnt er, stotternd zu sprechen. Das Mikrofon verzerrt die ohnehin mühsam artikulierten Worte zur Unkenntlichkeit. Ein schrilles Pfeifen begleitet die Rede, die man so nicht nennen kann. Mit gesenkten Köpfen verharrt das Publikum – und die Scham derer, die ungewollt Zeugen einer Indiskretion geworden sind, überträgt sich bis in den Kinoraum. So beginnt Tom Hoopers großartiger Film „The King’s Speech“.

Der Duke of York, Vater der jetzigen Queen, kam 1936 gegen seinen Willen auf den britischen Thron. Doch sein älterer Bruder war wegen seiner Beziehung zur zweimal geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson als Thronfolger nicht tragbar. Nun reichte es nicht mehr, wie George V. seinem Sohn einmal erklärt hatte, zu Pferd und in Uniform eine gute Figur zu machen. Nein, als König musste er nun bei Radioübertragungen plötzlich wie ein Schauspieler sprechen können.

Und so wird der spätere König George VI., von seiner Familie Bertie genannt, zunächst erfolglos von einer ganzen Reihe von Schulmedizinern behandelt, bis er auf Betreiben seiner Frau schließlich einen Sprachlehrer aufsucht, der tatsächlich ein gescheiterter Schauspieler ist, aber mit ungewöhnlichen Maßnahmen Berties Redehemmung angeht. Mehr und mehr vertraut Bertie sich seinem Sprachlehrer an, dem ersten Mann von der Straße, mit dem er jemals Kontakt hat. Es entsteht eine Freundschaft, die selbst beinahe wie eine Kur wirkt. Bertie lernt sich zu artikulieren, über die Umwege des Fluchens und des Singens beispielsweise. Von dem zurückhaltenden Mann fallen immer mehr Verspannungen ab. Man sieht es ihm förmlich an: Das starre Korsett, in das die höfische Etikette ihn gezwängt hat, wird gesprengt.

Colin Firth gibt der Starre und Schüchternheit des Königs, der Großbritannien durch den Zweiten Weltkrieg führte, Ausdruck. In einer Performance, die ihresgleichen sucht, führt er aufs Schmerzlichste vor Augen und Ohren, dass Stottern eine grausame Behinderung ist. Firth’ Verdienst ist es, die Rolle nicht auszustellen, sondern sie als einen in aller Stille stattfindenden Entwicklungsprozess anzulegen. Auch Geoffrey Rush als Sprachlehrer hat ebenfalls auf jeden zu lauten Ton verzichtet.

Licht- und Farbdramaturgie lassen keinen Zweifel an der inneren Verödung des Königssohnes zu. Sein Umfeld ist monochrom blau-grau, manchmal fast verwischt: ein hauchfeiner Schleier scheint jeden spontanen Kontakt zwischen Bertie und der Welt zu verhindern. Zudem ist es kalt: Die riesigen, hohen Räume, in denen die Menschen verloren wirken, machen sie frösteln – hochgezogene Schultern bei eingezogenem Kopf sind keine gute Voraussetzung für ungezwungene Auftritte.

Es ist gewagt, einen Spielfilm von beinahe zwei Stunden Länge über ein nicht filmaffines Phänomen zu drehen: über die Angst vor dem öffentlichen Sprechen und wie sie zustande kommt. Regisseur Tom Hooper hat dieses Wagnis unternommen – und bravourös bestanden. Insgesamt zwölf Oscar-Nominierungen, darunter fast sämtliche Hauptkategorien, würdigen die erstaunlichen Leistungen aller Beteiligten, und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Colin Firth am 27. Februar nicht als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet würde.

16. 2., 21 Uhr (Friedrichstadtpalast); 17. 2., 17.30 Uhr (Urania)

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