Dirigent Christian Thieleman: „Das Festspielhaus ist eine Diva“
Dirigent Christian Thielemann über Opern-Greenhorns, die Klatschbörse Bayreuth – und seinen Einstand in Dresden.
Maestro, in der „Bild“-Zeitung liest man Fabulöses über Sie: Mit dem Amtsantritt von „Taktstock-Genie Thielemann“ bei den Dresdner Staatskapelle im September wird Dresden „mit einem Schlag zum Klassik-Mekka, sind wahre Wallfahren von Konzertfans zu erwarten“. Wow!
(lacht) Na ja, Sie wissen ja selber: Was man so in den Gazetten liest, ist immer mit Vorsicht zu genießen. Aber Spaß beiseite: Ich freue mich, wenn es so wird. Denn wir passen einfach gut zusammen – und das empfindet man wohl überall so. Dieses Orchester ist so wunderbar, die Musiker sind ganz auf meiner Linie, ich auf ihrer. Ich habe einfach das Gefühl, am richtigen Ort zu sein.
Jan Nast, Ihr Staatskapellendirektor, hat erklärt: „Der Thielemann-Effekt wird wie die Sixtinische Madonna für Dresden wirken. Der Dirigent wird durch seine Präsenz sogar ganz Sachsen eine gewaltige Kraft geben.“ Das hört sich an, als sei August der Starke wiederauferstanden.
Sie dürfen nicht vergessen, dass Dresden eine Residenzstadt ist. Hier gibt es nur ein Opernhaus, und neben der Staatskapelle nur die Dresdner Philharmonie. Dass wie in Berlin mehrere Orchester um Aufmerksamkeit rangeln, ist eine Ausnahme. Hier stehen wir solitärhafter da. Allerdings gehöre ich ja nicht zu den Leuten, die Erfolg übermütig macht. Im Gegenteil, ich werde immer vorsichtiger, je mehr Verantwortung mir zuwächst.
Die Staatskapelle hat bewegte Jahre hinter sich. Nach dem plötzlichen Tod Giuseppe Sinopolis 2001 sprang Altmeister Bernard Haitink ein, zog sich aber schon 2004 wieder zurück. Erst 2007 gab es mit Fabio Luisi einen neuen Chefdirigenten, mit dem sich die Musiker 2010 überwarfen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Berufen können Sie sich als Dirigent ja nicht vornehmen: Ich würde gerne dort oder dort arbeiten, dieses oder jenes Orchester haben. Denn sie wissen ja nicht, wie die sich mit Ihnen verstehen. Darum finde ich es gut, wenn nicht Politiker, sondern die Musiker selber den künstlerischen Leiter auswählen. So etwas Unwägbares wie die Chemie muss einfach stimmen.
Lässt sich eigentlich das Dresdner Publikum in seiner Musik- und Traditionsliebe mit dem Wiener Publikum vergleichen?
Ja, durchaus. Auch in Dresden gibt es ein sehr bürgerliches Publikum, was mir natürlich gefällt. Sie können nicht behaupten, ein Mann des 21. Jahrhunderts zu sein, wenn sie die Vergangenheit nicht kennen, so empfinde ich es jedenfalls. Je gewissenhafter ich die Tradition pflege, desto offener bin ich für Experimente, ja ich werde geradezu versessen darauf, anderes zu erfahren. Weil ich die Gewissheit habe, jederzeit in meine Welt zurückkehren zu können, wenn es mir dort nicht behagt. Wenn Sie mal zurückschauen, wie viele Stücke in den zehner, zwanziger Jahres des 20. Jahrhunderts in Dresden uraufgeführt wurden, dann sehen Sie, dass die Staatskapelle kein Orchester ist, das sich nur an ein bestimmtes Repertoire klammert.
Könnten diese Werke eine Programmlinie der Ära Thielemann bilden?
Ja, absolut. Auch wenn sich viele dieser Kompositionen von Ferruccio Busoni, von Hans Pfitzner oder Max Reger nicht durchgesetzt haben – es lohnt sich, sie wiederzubeleben. Und sie lassen sich famos mit Neuer Musik von Hans Werner Henze oder Wolfgang Rihm kombinieren. Aber ohne Beethoven, Brahms, Bruckner als Hauptsäulen kann natürlich keine Programmplanung funktionieren!
2013 wollen Sie mit den Dresdnern Salzburg erobern, als neues Residenzorchester der Osterfestspiele, mit Wagners „Parsifal“.
Das war auch so ein toller Zufall, eine Sache, die sich ganz ohne mein Zutun oder gar Intrigieren ergeben hat. Der Vorverkauf läuft auf Hochtouren, wie ich höre. Ich probiere mit den Dresdnern übrigens sehr ähnlich wie mit den Wiener Philharmonikern. Die Musiker sind enorm flexibel, eben weil sie auch Oper spielen.
Sie sind seit Jahren der prägende Dirigent der Bayreuther Festspiele. Wäre es da nicht konsequent, die Staatskapelle würde Hausorchester auf dem Grünen Hügel?
Nee, das können Sie nicht machen! Die Idee eines Bayreuther Festspielorchesters, bei dem sich Musiker aus ganz Deutschland jeweils im Sommer zusammenfinden, ist unantastbar. Aber der Dresdner Anteil dort ist natürlich sehr hoch, in diesem Jahr werden es wieder rund 35 Spieler sein. Meine Verbindung zur Staatskapelle ist ja überhaupt dadurch entstanden, dass ich in Bayreuth einige Spitzen des Orchesters kennengelernt habe. Manche Musiker spielen hier über Jahrzehnte mit. Es ist weltweit einmalig, diese Tradition muss man erhalten.
Als jährliches Branchentreffen der wagnerbegeisterten Orchestermusiker.
Ich kann Ihnen sagen, wenn alle da sind, ist die Kantine des Bayreuther Festspielhauses die größte Klatschbörse der Welt!
"Eiskaltes Management funktioniert hier nicht"
Zusätzlich zur Neuinszenierung des „Fliegenden Holländers“ übernehmen Sie in Bayreuth auch die „Tannhäuser“-Produktion von Ihrem glücklosen Kollegen Thomas Hengelbrock. Was muss man als Dirigent können, um in Bayreuth zu bestehen?
Ich sage immer: Das Festspielhaus lebt. Das Festspielhaus will liebgehabt werden. Wenn Sie ihm nicht den Hof machen, so wie einer Operndiva, dann wehrt sich das Haus. Wer zu viel verändern will, gerade aus ideologischen Gründen, ist hier falsch. Man kann viel anders machen, aber immer im gesteckten Rahmen. Bayreuth ist mir ein Herzensanliegen. Und wenn dort Not am Mann oder an der Frau ist, dann helfe ich. Ich habe 110 Aufführungen hier dirigiert, darunter auch die letzte „Tannhäuser“-Produktion. Nach der sehr dekorativen Inszenierung von Philippe Arlaud finde ich es spannend, mich jetzt mit einer provokanten Deutung von Sebastian Baumgarten zu beschäftigen.
Mit Jan Philipp Gloger haben Sie als Regisseur für den „Fliegenden Holländer“ ein Opern-Greenhorn zugeteilt bekommen …
Halt, ich habe ihn mit ausgewählt! Wir haben uns lange unterhalten, und mir gefiel sein Ansatz sehr gut. Er wird dieses Stück so sinnlich erzählen, dass Poesie und die Atmosphäre gewahrt bleiben. Übrigens probiert er ganz famos, alle sind sehr angetan von seiner Professionalität. Der „Holländer“ ist ja ein Stück mit vielen Generalpausen – da mussten wir vorher vieles intensiv besprechen, damit szenisch alles sitzt. Auch da war er voll auf meiner Linie. Der Mann ist ein großes Talent, von dem werden wir noch hören!
Aufgrund von betriebswirtschaftlichem Missmanagement wird den beiden Bayreuther Festspielleiterinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier künftig ein Betriebswirt zur Seite gestellt. Empfinden Sie das als Entmachtung oder als einen Schritt der Professionalisierung?
Ich arbeite nun in meinem 16. Jahr in Bayreuth und kann nur sagen: Was in den Zeitungen steht, hat meistens überhaupt nichts mit dem zu tun, was im Haus vor sich geht. Sicher, im Moment sind die beiden Damen noch in der Findungsphase. So sehr Wolfgang Wagner immer geschmäht wurde – dass er eine starke Persönlichkeit war, lässt sich daran ablesen, was für ein Vakuum nach seinem Tod entstand. Wolfgang Wagner konnte ja beides, das Geschäftliche wie die Kunst. Ich habe ihn immer sehr verehrt. Dass es nun eine Person für Verwaltungs- und Finanzfragen in der Festspielleitung gibt, finde ich organisatorisch clever.
Wenn Bayreuth den Weg vom inhabergeführten Familienbetrieb zum modernen Dienstleistungsunternehmen beschreitet, geht dann der Zauber des Ortes verloren?
Es müssen natürlich Leute gefunden werden, die sich dieses Zaubers bewusst sind. Eiskaltes Management funktioniert hier nicht. Wir befinden uns in einer liebreizenden Region, das Essen ist gehaltvoll, es gibt tollen Wein, tolles Bier – und dann knallt da eine „Götterdämmerung“ dazwischen oder ein „Tristan“ bringt einen in Rage. Einmalig! Bayreuth ist eben das bedeutendste Theater der Welt.
Das Gespräch führte Frederik Hanssen.