zum Hauptinhalt
Textliebhaber statt Textvernichter. Daniel Kehlmann kurz vor seiner Berliner Premiere.
© Ulf Andersen/Gamma/Hachette Photos Presse/laif

Literatur: Das Fenster zu einer anderen Zeit

Daniel Kehlmann ist heute der erfolgreichste deutsche Schriftsteller. Eine Begegnung – vor seinem Berliner Theaterdebüt.

Man darf sich den Schriftsteller Daniel Kehlmann als glücklichen Menschen vorstellen. Nicht im streng absurden Sinn des Camus’schen Sisyphos-Mythos. Auch nicht als Verkörperung des Berühmtberüchtigten im goldenen Käfig. Daniel Kehlmann ist einfach ein junger Mann von 36 Jahren, dem schon ziemlich früh ziemlich viel gelungen ist.

Gerade wurden und werden von ihm drei Bücher verfilmt. Eine so geballte Kinolust am eigenen Werk hat vermutlich noch kein lebender deutscher Schriftsteller erfahren. Detlev Buck dreht in 3D „Die Vermessung der Welt“, das Drehbuch zur Adaption seines Weltbestsellers hat Kehlmann selber zusammen mit dem Regisseur verfasst. Wolfgang Becker widmet sich der Novelle „Ich und Kaminski“, und im März kommt bereits Isabel Kleefelds filmische Version von Kehlmanns jüngstem Erzählungsband „Ruhm“ in die Kinos, mit Senta Berger, Heino Ferch und Stefan Kurt in den Hauptrollen.

Knallfrösche und Krokodile

Nur die Theaterkarriere des nunmehr wechselweise in Wien und in Berlin lebenden Autors ist bisher nicht so steil nach oben geschossen. Dafür hat ein Knallfrosch gesorgt, den ein paar einflussreiche Köpfe im deutschen Theaterbetrieb offenbar zum regisseurfressenden Krokodil aufgeblasen haben.

Eine doppelte Komödie. Eine kuriose Farce. Sie beginnt im Sommer 2009. Daniel Kehlmann ist von Thomas Oberender, damals Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele (seit Anfang 2012 Intendant der Berliner Festspiele), eingeladen worden, die Eröffnungsrede des Salzburger Festivals zu halten. Der Autor möchte dabei an seinen Vater, den österreichischen Theater- und Fernsehregisseur Michael Kehlmann erinnern, der 2005, vom aktuellen Theaterbetrieb längst vergessen, in Wien gestorben ist. Doch die Rede wird vor allem zu einer Abrechnung mit dem heutigen deutschsprachigen „Regietheater“, das, statt „dem Autor zu dienen“ oder aber ganz eigene Stücke zu erfinden, sich mit „Verfremdungen“ und selbstgefällig-willkürlichen Verkünstelungen über die Texte toter oder lebender Schöpfer hinwegsetze.

Reise in die Innenwelt

Diese Philippika hat prompt Folgen. In einem Café nahe dem Berliner Ensemble und nicht sehr weit von seiner Berliner Altbauwohnung, erzählt D. K. nun lachend: „Bevor ich mit dieser Rede so unbeliebt wurde, kamen öfter Theaterleute zu mir und fragten, ob ich nicht ein Stück für sie schreiben wolle.“

Es war die Zeit, nachdem „Die Vermessung der Welt“ zum international erfolgreichsten deutschen Roman seit Patrick Süskinds „Parfum“ geworden war. Der feine Kunstgriff des 2005 erschienenen Buchs: Kehlmann führt mit dem fernreisenden Alexander von Humboldt und dem verhockten Mathematiker Carl Friedrich Gauß zwei Genies gegeneinander, die das Universum entweder durch die Erforschung des gesamten äußeren Kosmos oder aber, im Fall von Gauß, nur durch die Reise in die Innenwelt des eigenen Kopfes ermessen wollen.

2011 wollte niemand sein Stück inszenieren

Diese Faszination am Innen-Außen-Spiel hat Kehlmann dann auch auf die Spur seines ersten eigenen Theaterstücks „Geister in Princeton“ gebracht. Eine grauschwarze oder zumindest leicht melancholische Komödie, die an diesem Sonntagabend im Berliner Renaissancetheater ihre Deutschlandpremiere hat. Nicht in einem der ganz großen Häuser.

Das dramatische Debüt eines illustren jungen Dichters, ausgezeichnet mit dem Candide-, Kleist- und Thomas-Mann- Preis, da streckt die Szene normalerweise alle Hände und Arme aus. Thomas Oberender hatte sich die Uraufführung der „Geister in Princeton“ zudem als Abschluss seiner Salzburger Zeit gewünscht, zur Eröffnung der Festspiele 2011. Allein, es kam in Salzburg letzten Sommer nur zu einer szenischen Lesung, „fulminant“ (so Kehlmann) eingerichtet vom berühmten britischen Dramatiker und Filmautor Christopher Hampton. Für eine richtige Inszenierung jedoch hatte sich in der ersten Regisseursliga niemand gefunden.

"Ich habe ja gar nichts gegen Regisseure"

Daniel Kehlmann möchte darüber nicht lamentieren. Denn apropos Glück und Ruhm – in ihnen lauert auch, was er mit einem schönen Wort des Literaturnobelpreisträgers Imre Kertész die „Glückskatastrophe“ nennt. Kehlmanns Salzburger Rede wurde 2009 in allen Medien aufgeregt diskutiert, es gab „Spiegel“-Gespräche und TV-Interviews. Auch BE-Intendant Claus Peymann, der gerade seine wie immer sehr effektvolle Jahrespressekonferenz gab, erwähnte Kehlmann, gab ihm wohl teilweise recht, nannte die pauschale Regietheaterschelte freilich selbstmörderisch, weil nun kein Regisseur von Rang mehr ein womöglich kommendes Kehlmann-Stück anfassen würde. Auch er selber sei nicht so dumm.

Tatsächlich fand die Uraufführung der „Geister in Princeton“ im vergangenen Herbst in Österreich statt. Im steirischen Graz. Nach allen achtungsvollen Kritiken war es eine gute Inszenierung der von Düsseldorf nach Graz gewechselten Intendantin Anna Badora, auch der Autor lobt die Aufführung: „Die Regie ist durchaus erfinderisch und eigenständig mit dem Stück umgegangen, es hatte Poesie und Witz“, sagt Kehlmann und fügt hinzu, dass er „ja gar nichts gegen Regisseure“ habe, solange man ihre Begeisterung und Verständnis für ein Stück spüre. Würde er seine Salzburger Rede noch einmal halten, würde er nur eines ändern: „Dass ich verlangt habe, das Theater müsse dem Autor dienen, war missverständlich. Ich muss von niemandem bedient werden. Stattdessen würde ich sagen: Das Theater soll den Stücken dienen!“

Das Berliner Ensemble sprach ihm auf die Mailbox

Das Berliner Ensemble hatte sich nach der Salzburger Rede übrigens als einzige Großbühne auf Kehlmanns Mailbox mit einer Anfrage nach dem Text der „Geister in Princeton“ gemeldet. Als Kehlmann zurückrief und an die in den Medien zitierte Pressekonferenz des Hausherrn erinnerte, „bekam ich von einer Dame am Telefon die Antwort: Herr Peymann hat das nie gesagt!“ Kehlmann war über diese Auskunft „schon sehr verwundert“. Und hat den Text nie geschickt.

Es geht darin um Genie und Wahnsinn des 1906 im damals österreichischen Brünn geborenen, 1940 aus Wien emigrierten und 1978 im amerikanischen Princeton verstorbenen Mathematikers und Weltgeistes Kurt Gödel. Er war an der Grenze alles logisch Denkbaren der Schöpfer eines mathematischen Unvollständigkeitsaxioms, und Albert Einstein, der ihm später bei der Einbürgerung in die USA beistand, musste verhindern, dass Gödel während seiner Anhörung einen amerikanischen Richter allzu drastisch auch über die Unvollständigkeit der US-Verfassung belehrte. Mit Einstein debattierte er in Princeton am neu gegründeten Institute for Advanced Study die allgemeine Relativitätstheorie und hielt dank ihr Zeitreisen in die Vergangenheit für möglich; er wurde wie unter den Nazis fälschlich für einen Juden gehalten, war verheiratet mit einer älteren ehemaligen Nackttänzerin und litt zunehmend unter Verfolgungswahn, sah Gespenster und war in panischer Angst, vergiftet zu werden.

Gastprofessor in New York

Stoff genug für ein Drama. Für eine Geisteskopfkomödie. Mit Zeitschleifen, bizarren Erscheinungen, mit hintergründigen Rollen (in Berlin spielen Heikko Deutschmann und Gerd Wameling Gödel und Einstein). Doch aus den Chefetagen der meisten Großtheater kam der Einwand: Nur ein „well made play“, mit dichten Dialogen – aber wie soll darin ein Regisseur sich verwirklichen?

Daniel Kehlmann kann den Einwand verstehen und will ihn doch nicht gelten lassen. „Ich liebe das angelsächsische Theater, und ,well made play’ ist dort kein Schimpfwort.“ Außerdem sei „Geister in Princeton“ kein dokumentarisches Biopic, sondern gebe allen Interpreten Raum für ihre eigene Deutung. Das habe schon Anna Badora in Graz bewiesen.

Von den Proben indes am Renaissance Theater (Regie: Torsten Fischer) hatte er eine Woche vor der Premiere noch nichts gesehen. Weil er ab Frühjahr am German Department der New York University eine Gastprofessur hat, musste er in Manhattan für sich, seine Frau und den kleinen Sohn eine Wohnung finden. Davor begleitete er teilweise die Dreharbeiten von Detlev Bucks „Vermessungs“-Film, der unter anderem in Görlitz und Klosterneuburg bei Wien gedreht wurde, jetzt folgen noch die Anden-Szenen mit Humboldt in Ecuador. Außerdem schreibt er einen neuen Roman. Aber warum eigentlich „Die Vermessung der Welt“ in 3D? „Oh, es ist großartig, man schaut wie durch ein Fenster in eine andere Zeit.“ Das ist es, was Kehlmann auch am Schreiben und in den kühnsten Künsten liebt.

Peter von Becker

Zur Startseite