Glanz und Gloria: Das Erbe deutscher Kleinstaaterei
Unzählige Schlösser, Adelssitze, Rittergüter und Burgen sind von der Ostsee bis nach Thüringen zu erkunden. Vor allem im Süden nimmt die Schlösserdichte erheblich zu. Grund genug, sich auf eine private Entdeckungsreise zu begeben.
Dass es in Rheinsberg am Schönsten ist, wenn man sich treiben lässt, wusste schon Kurt Tucholsky. Einer eigenen Liebe setzte der große Satiriker, der die zarten Töne perfekt beherrschte, mit der Erzählung „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“ ein Denkmal. Wer auf den Spuren von Claire und Wölfchen durch Schloss und Park Rheinsberg lustwandelt, liegt in diesem Sommer richtig. Kein Friedrich- oder sonstiges Jubiläum verstopft Wege und Stege mit Besuchermassen. Neben dem Schlossmuseum, das die beiden wichtigsten Bewohner Kronprinz Friedrich und Prinz Heinrich von Preußen würdigt, lockt das sehenswerte Kurt Tucholsky Literaturmuseum.
Schloss Rheinsberg ist nicht nur ein klassisches Ausflugsziel im nördlichen Berliner Umland, es ist auch ein echtes Schloss. Viele Gebäude, die in Brandenburg und andernorts den Ehrentitel beanspruchen, sind im sozialgeschichtlichen Sinn gar keine Schlösser, sondern Herrenhäuser adliger oder – seit Anfang des 19. Jahrhunderts immer häufiger – bürgerlicher Rittergüter. Nicht Säulen und Türmchen erhoben ein repräsentatives Wohngebäude zum Schloss, entscheidend waren die soziale Stellung seines Besitzers und der rechtliche Status der mit dem Besitz verknüpften Herrschaft.
Angehörige regierender Fürstenhäuser oder Standesherren wie Fürst Hermann von Pückler-Muskau residierten in Schlössern, der Landadel oder aufstiegsorientierte Bankiers und Industrielle hingegen gestalteten bei entsprechendem Wohlstand ihre Gutshäuser so schlossartig wie möglich. In der Fläche gehört Brandenburg zu den eher schlossarmen Bundesländern. Rund um Berlin und Potsdam ist alles anders. Dort haben die Hohenzollern bedeutende Lustschlösser und Sommerresidenzen errichtet, die in den Jahren nach 1990 unter die Obhut der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten gelangt sind.
Neben Rheinsberg lohnt sich im Frühjahr ein Ausflug nach Paretz, ein Sonderfall unter Preußens Königsschlössern, weil es wie ein schlichtes Herrenhaus daherkommt. Um 1800 war raffinierte Sparsamkeit höchstes Ideal. Schloss Still-im-Land, wie Paretz genannt wurde, ist nach Jahren der Verwahrlosung wieder ein Sehnsuchtsort geworden. Luise, die schönste und beliebteste Königin, die Preußen je hatte, verlebte an der Seite ihres Mannes Friedrich Wilhelm III. dort die Sommer zwischen 1797 und 1805. Handbemalte Papiertapeten mit exotischen und lokalen Motiven künden vom unbeschwerten königlichen Sommerglück, das durch Napoleon ein jähes Ende fand.
Vor wenigen Monaten tauchte aus Privatbesitz eine Porträtbüste der früh verstorbenen Königin auf, die der junge Christian Daniel Rauch, nachdem er seinen Job als Kammerdiener Luises aufgegeben hatte, im Frühjahr 1804 aus weißem Marmor anfertigte. Im Berliner Auktionshaus Villa Grisebach angeboten, konnte die Büste von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten ersteigert werden. Nun wird sie in Paretz erstmals einem breiteren Publikum gezeigt. Für den Erwerb sammeln die Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten e.V., ein vor 30 Jahren gegründeter Freundeskreis, derzeit noch Spenden, dazu kommen Mittel der Kulturstiftung der Länder.
In der Ausstellung im Paretzer Schloss kann der Besucher Rauchs Frühwerk mit anderen Luise-Büsten vergleichen – lehrreich nicht nur für Preußenfans (bis 31. 10.).
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es wenige echte Schlösser
Am 25. Februar 1713 starb Friedrich I., Preußens erster König. Unter dem Motto seines Lieblingsausspruchs „Gantz magnifique“ werden in den Schlössern Caputh und Oranienburg im monatlichen Wechsel herausragende Kustwerke aus der Zeit des Pracht liebenden Herrschers präsentiert (jeweils bis 31. 10.). Einen Besuch lohnen die beiden im 17. Jahrhundert errichteten Sommerresidenzen, die den niederländischen Einfluss auf das brandenburgisch-preußische Staatswesen dokumentieren, eigentlich immer.
Eine der wenigen brandenburgischen Burgen, die die Jahrhunderte überdauert haben, steht in Ziesar nahe der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Die ehemalige Sommerresidenz der Bischöfe von Brandenburg wurde vor wenigen Jahren denkmalgerecht saniert. Die spätgotische Burgkapelle, deren Ausmalung mit Hilfe der Ostdeutschen Sparkassenstiftung restauriert werden konnte, gehört zu den eindrucksvollsten Sakralräumen Brandenburgs. Im Rahmen des Kulturland Brandenburg-Themenjahrs 2013 „Spiel und Ernst – Ernst und Spiel. Kindheit in Brandenburg“ präsentiert das Burgmuseum eine Ausstellung über die jüngere Geschichte des backsteinroten Gemäuers: „Frühstück – Fasching – FDJ. Das Schulinternat auf der Burg Ziesar (1954-1993)“ will ehemalige Schüler zu Wort kommen lassen (ab 27. 6.).
Wer nach Ziesar fährt, sollte unbedingt einen Abstecher nach Reckahn machen, wo im Herrenhaus der Familie von Rochow das Schloss- und Schulmuseum die Persönlichkeit des Schul- und Agrarreformers Friedrich Eberhard von Rochow würdigt. Der altruistische Gutsherr richtete 1773 auf eigene Kosten eine neue Dorfschule nach damals hochmodernen pädagogischen Konzepten ein. Rochow setzte seinem Dorfschullehrer im Gutspark ein Denkmal. „H. J. Bruns. Er war ein Lehrer“ steht darauf. Seit kurzem zeigt das didaktisch anspruchsvoll gestaltete Museum die Ausstellung „Die Sehnsucht nach Anerkennung. Kinderrechte in Geschichte und Gegenwart“.
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es zwar viele Schlosshotels, aber relativ wenige echte Schlösser. Neben den stets sehenswerten Anlagen der Großherzöge von Mecklenburg-Schwerin – so in Schwerin, Güstrow und Ludwigslust – gern vergessen werden die baulichen Relikte des 1701 gebildeten Herzogtums Mecklenburg-Strelitz. Zwar steht in Neustrelitz, bis 1918 Haupt- und Residenzstadt eines Zwergstaats, kein Schloss mehr: Das um 1730 errichtete Residenzschloss fiel Ende April 1945 Brandstiftern zum Opfer.
Aber wie kaum eine andere norddeutsche Kleinstadt atmet Neustrelitz bis heute den Charme einer Duodezfürstenresidenz. Barocke und klassizistische Bürgerhäuser, die regelmäßige Stadtanlage und der Schlosspark mit der prächtigen Orangerie laden zum Verweilen ein. Doch der eigentliche Grund zur Anreise findet sich im wenige Kilometer entfernten Hohenzieritz. Im frühklassizistischen Schloss, Sommerresidenz von Herzog Karl zu Mecklenburg-Strelitz, starb am 19. Juli 1810 die Tochter des Hauses: Königin Luise von Preußen.
Auch wenn Teile des Schlosses als Sitz der Müritz-Nationalpark-Verwaltung nicht zugänglich sind, sollte man keinesfalls die Luisen-Gedenkstätte im Erdgeschoss versäumen. Auf rührende Art hält sie das Andenken der preußischen Lady Di lebendig. Der im Stil eines frühen englischen Landschaftsgartens angelegte riesige Schlosspark, der steil in Richtung Tollensesee abfällt, ist in den letzten Jahren aufwendig wiederhergestellt worden.
Ein Stück China mitten in Sachsen-Anhalt
Noch ein norddeutsches Fürstenidyll erhielt sich mit dem Städtchen Putbus auf Rügen, selbst wenn hier ebenfalls das Schloss fehlt. 1810 gründete Wilhelm Malte I. Fürst zu Putbus seine „weiße Stadt“, die sich mit Residenztheater, Hofkirche und klassizistischen Bürgerhäusern am kreisrunden Circus alles leistet, was zu einer autarken Residenz gehört – obgleich Rügen damals seine Unabhängigkeit längst verloren hatte und zu Schweden, ab 1815 zu Preußen gehörte. Wilhelm Maltes Putbuser Schloss im Stil der Berliner Schinkelschule fiel zwischen 1960 und 1964 ideologischer Engstirnigkeit zum Opfer. Das unweit gelegene Jagdschloss Granitz ist bis heute ein Musterbeispiel des frühen Historismus. Sein von Schinkel entworfener Mittelturm mit der schwindelerregenden eisernen Wendeltreppe im Innern ist kilometerweit zu sehen.
Wer in Sachsen-Anhalt nach Schlossmuseen Ausschau hält, stößt zuallererst auf das zum Unesco-Kulturerbe gehörende Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Neben den berühmten Anlagen rund um Wörlitz gehören zur Kulturstiftung Dessau Wörlitz auch weniger prominente Schlösser: In Oranienbaum südlich von Wörlitz ließ Fürstin Henriette Catharina von Anhalt-Dessau, eine geborene Prinzessin von Oranien, ab 1683 Schloss, Kleinstadt und Park im holländisch-barocken Stil errichten. Fürst Leopold Friedrich Franz, der Erbauer von Wörlitz, verwirklichte in Oranienbaum hundert Jahre später seinen Traum von China – inklusive einer steil aufragenden Pagode im Schlosspark.
Am südlichen Stadtrand von Dessau steht in Mosigkau ein Schloss für Kenner. 1742 schenkte Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau, der „Alte Dessauer“, seiner Lieblingstochter Anna Wilhelmine zwei Güter in Mosigkau. Die unverheiratete Prinzessin ließ sich dort ein kleines Rokokoschloss bauen, dessen exquisite Innenausstattung im ebenerdigen Galeriesaal gipfelt. In barocker Manier verschwinden dort die Wände unter Gemälden von Rubens, van Dyck, Jordaens und anderen. Nach dem Ableben der Erbauerin 1780 wurde Schloss Mosigkau Stift für unverheiratete adlige Damen. Ihr Friedhof befindet sich noch immer am Rande des kleinen feinen Schlossparks.
In Zerbst nordwestlich von Dessau regierten bis Ende des 18. Jahrhunderts die Fürsten von Anhalt-Zerbst – nicht immer glücklich, wie der letzte Fürst Friedrich August bewies, als er über 1000 Landeskinder als Soldaten nach Amerika verkaufte. Ein großartiger, die Möglichkeiten des Kleinstaates fast sprengender Bau war das Zerbster Residenzschloss, an dem berühmte Baumeister wie Cornelis Ryckwaert und Giovanni Simonetti mitwirkten. Mitte April 1945 durch Bomben schwer beschädigt, wurden große Teile der Ruine nach Kriegsende abgerissen. Nur der ruinöse Ostflügel, für dessen Konservierung seit 2003 ein Förderverein kämpft, kündet noch immer eindrucksvoll von den gewaltigen Ausmaßen dieses weitgehend vergessenen Schlosses.
Im Süden Sachsen-Anhalts errichteten im 17. Jahrhundert wettinische Sekundogenituren ihre Schlösser. Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen aus dem Hause Wettin vererbte 1656 an seine drei jüngeren Söhne neu gebildete Landesteile, die zwar keine vollen Souveränitätsrechte wie eigenes Militär oder eigenes Münzrecht, wohl aber eine standesgemäße Hofhaltung ermöglichten. In Merseburg, Zeitz und Weißenfels wurden damals neue Residenzen aus dem Boden gestampft, von denen die in Weißenfels – eine Bahnstation vor Naumburg – die eindrucksvollste ist.
Auf Schloss Neu-Augustusburg, das majestätisch über der Kleinstadt thront, lockt neben der grandiosen barocken Schlosskapelle in diesem Jahr – zum 200. Jubiläum – die militär- und kulturhistorische Sonderausstellung „Die Schlacht von Großgörschen. Zwischen Borodino und Waterloo“ (bis 10.11.).
Wer an Sachsens Schlösser denkt, meint unweigerlich Dresden. Natürlich haben Sachsens Kurfürsten auch auf dem platten Land gebaut. Auf halber Strecke zwischen Leipzig und Dresden liegt Schloss Hubertusburg, auf Befehl von August dem Starken für den Nachfolger Friedrich August II. als Jagdschloss errichtet. Nach umfangreichen Erweiterungsmaßnahmen war das „sächsische Versailles“ 1763 Schauplatz des Friedens von Hubertusburg, der den Siebenjährigen Krieg beendete. Nach der Sanierung ist Schloss Hubertusburg nun erstmals wieder geöffnet – mit der Sonderausstellung „Die königliche Jagdresidenz Hubertusburg und der Frieden von 1763“ (bis 5.10.).
Thüringen ist Deutschlands Schlösserland par excellence
Sachsens Jagdschloss schlechthin bleibt Schloss Moritzburg bei Dresden – als touristischer hot spot ziemlich überlaufen und mit seinen expliziten Geweihmöbeln nicht unbedingt jedermanns Sache. Ein Geheimtipp im weitläufigen Moritzburger Schlossrevier ist jedoch das Fasanenschlösschen, das seit einigen Jahren akribisch wiederhergestellt wird. Aber nicht Sachsen sondern Thüringen ist Deutschlands Schlösserland par excellence. In keinem anderen Bundesland feierte deutsche Kleinstaaterei im 17., 18. und 19. Jahrhundert solche Triumphe. Nirgendwo sonst gibt es auf engem Raum so viele kleine, mit großem Anspruch etablierte Residenzen. Fraglos einen extra Urlaub wert.
Begeisternde Realsatire staatlicher Kleinteiligkeit ist Greiz im thüringischen Vogtland, bis 1918 Hauptstadt des Fürstentums Reuß ältere Linie. Unteres Schloss. Oberes Schloss. Sommerpalais. Auf einem halben Quadratkilometer drängen sich die Herrschaftssymbole eines Gemeinwesens, das zeitweise sogar in mehrere Besitztümer zersplittert gewesen ist. Im Unteren Schloss wird liebevoll des letzten regierenden Fürsten Heinrich XXII. gedacht, der 1902 verstarb und ein von Preußen abhängiges, doch völlig schuldenfreies Land hinterließ.
Ein anderes Kaliber ist Schloss Heidecksburg in Rudolstadt, Sitz der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten und Thüringens schönstes Höhenschloss. Der sächsische Oberlandbaumeister Johann Christoph Knöffel und Gottfried Heinrich Krohne, Hofarchitekt des Herzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach, importierten aus Paris und Dresden feinstes Rokoko, um für die Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt eine standesgemäße Residenz zu schaffen. Wie solch eine Hofhaltung seinerzeit funktionierte, erhellt ein Besuch im Fürstlichen Palais in Arnstadt unweit von Erfurt.
Seit 1931 ist dort unter dem Namen „Mon plaisir“ die Puppensammlung der Fürstin Auguste Dorothea von Schwarzburg-Arnstadt untergebracht. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden, illustrieren die in 82 Szenen inszenierten 391 Wachspuppen das Alltagsleben einer thüringischen Residenzstadt. Für Historiker und Touristen gleichermaßen interessant: Die Fürstin ließ nicht nur ihr eigenes Hofleben, sondern Werkstätten einfacher Handwerker und Szenen aus dem Erfurter Ursulinenkloster nachstellen. Im 16. und 17. Jahrhundert kam es in der Ernestinischen Linie der Wettiner zu Erbteilungen, die in Thüringen und Oberfranken zu zeitweilig zehn nebeneinander existierenden Herzogtümern führten.
Schlösser in Weimar, Altenburg, Meiningen, Gotha, Coburg und andernorts bilden noch immer das Rückgrat der thüringischen Residenzlandschaft. Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha errichtete in Gotha ab 1643 – noch vor Ende des Dreißigjährigen Kriegs – Schloss Friedenstein. „Das barocke Universum im Herzen Deutschlands“, so die Eigenwerbung der Stiftung Schloss Friedenstein, umfasst Kunstschätze von der Romanik bis ins 19. Jahrhundert, eine 330 000 Hand- und Druckschriften umfassende Bibliothek sowie erlesene Schlossräume aus Barock und Klassizismus.
Das Ekhof-Theater im Schloss besitzt die einzig vollständig erhaltene Bühnenmaschine des Barock. Im Herbst soll nach umfassender Modernisierung das vis-à-vis des Schlosses gelegene Herzogliche Museum als Ausstellungsort dazukommen. Gotha statt Goethe: Nur ein paar Kilometer vom Weimar der Dichter und Denker entfernt, strahlt dieser Stern mit fürstlichem Glanz.
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