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...und grundernsten Theaterarbeiterinnen wie Sandra Hüller (Requiem).
© picture alliance / dpa

Sandra Hüller: Das Chaos umarmen

Sandra Hüller spielt zwei eigentümliche Filmheldinnen. Eine Begegnung.

Man versteht sie nicht. Diese Frau hat doch alles, was der Durchschnittsmensch mit Glück in Verbindung bringt: einen gut aussehenden Mann, ein liebes Kind, einen anerkannten Beruf. Und dann mietet sich die Ärztin eine Wohnung, in die sie Patienten mitnimmt, um mit ihnen Sex zu haben. Alte, kahle, fette Männer, die sie danach voll entrückter Neugierde betrachtet.

Sandra Hüller, die Charlotte in Nanouk Leopolds Forums-Beitrag „Brownian Movement“ spielt, hat schon die Deutung gehört, ihre Figur würde da sexuelle Fantasien ausleben. Aber das war nicht ihre Empfindung: „Es hat immer ein gebendes Moment gehabt, Charlotte hat sich da nicht etwas genommen.“ Das Gefühl war: Liebe schenken an solche, die sonst keine bekommen.

Im Film trägt die barmherzige Heimlichkeit nur so lange, wie Charlotte ihre Welten getrennt halten kann. Als sie sich berühren, bricht das Konstrukt zusammen, kollabiert sie selbst. Sitzt bald mit ihrem erschütterten Ehemann bei der Psychologin und verweigert die Erklärungen, nach denen auch der Zuschauer sich sehnt. Es ist ein sehr hermetischer Film, der seinen Titel einem physikalischen Phänomen entliehen hat, das die zufällige Bewegung von Teilchen im Raum beschreibt. Den Tanz von Staubpartikeln im Sonnenlicht.

Sie hätte nie versucht, sagt die 32-jährige Sandra Hüller, der Charlotte mit ihrem schier biblischen Liebesbegriff auf den Seelengrund zu gehen. „Für mich ist das keine psychologisch angelegte Figur, überhaupt keine reale Person. Eher ein Gedanke, ein Prinzip.“ Mal ehrlich: Wie vielen deutschen Schauspielerinnen würde man gern dabei zusehen, wie sie ein Prinzip verkörpern? Bei Hüller ist es so, weil sie einem Figuren plausibel macht, ohne sie auf die Couch zu legen.

Es gibt ein TV-Interview mit ihr, schon ein paar Jahre alt, da sagt sie, es interessiere sie unglaublich, was Menschen denken. Und wieso. Den Analysefuror hat sie hinter sich gelassen, nicht zuletzt wegen ihrer Theaterarbeit. Wegen Begegnungen mit Regisseuren wie Johan Simons, heute Intendant der Münchner Kammerspiele, bei dem sie unter anderem in Kleists „Prinz von Homburg“ spielte. Über ihn sagt sie: „Der weiß, dass alles im Leben nebeneinander existiert – das öffnet einem Räume.“

Dem Trugschluss, eine Erzählung, ein Theaterabend, ein Film oder die Welt selbst könnte stringent sein, sei sie lange aufgesessen, sagt Hüller. Verbessert sich: das sei für sie lange Wahrheit gewesen. „Aber das Chaos regiert ja. Unmöglich, dass jemand in sich schlüssig ist.“

Vom Chaos erzählt auch Jan Schomburgs „Über uns das All“ im Panorama. Hüller spielt die Lehrerin Martha, deren Mann Paul, ein Mediziner, gerade die Prüfung abgelegt und ein Stellenangebot in Marseille hat. Er fährt vor, sie will nachkommen. Liebevolle Beziehungsnormalität mit unterschwelliger Irritation. Und dann steht die Polizei vor der Tür, Paul hat sich auf einem Parkplatz in Frankreich das Leben genommen. Wie Martha, nachdem das Unfassbare Gewissheit geworden ist, dem Toten auf die Mailbox spricht: „Was machst du denn für Sachen?“, das trifft einen ins Mark. Dabei zielt der Film nicht auf emotionale Überwältigung. Im Gegenteil: Martha nimmt sich flugs einen anderen.

Hüller hat in Gesprächen mit Verlusterfahrenen gelernt, dass Trauer etwas radikal Individuelles ist, dass Menschen die eigene Form des Umgangs damit fast unwirsch gegen andere verteidigen. Es gibt kein Richtig oder Falsch, Angemessen oder Unpassend, davon erzählt Schomburgs wunderbarer Film mit großer Leichtigkeit, und ja, auch Heiterkeit.

Sandra Hüller, heißt es oft, spielt extreme Figuren. Das stimmt insofern, als die Frauen, die sie verkörpert, nicht selten aus der Konvention fallen. Aber nicht als Rebellinnen in Verweigerungspose, sondern, weil sie die Erwartungen gar nicht erst verinnerlicht haben. Fraglos hätte Hüller einen anderen Weg nehmen können, damals 2006, nach dem Silbernen Bären für „Requiem“. Sie hätte mehr von solchen Gebeutelten spielen können, „die anfänglich naiv sind, unbescholten, und dann tierisch aufs Maul kriegen“. Durchaus Kämpferinnen, mit Würde – aber am Ende zerstört. „Diese Art von Entwicklung zu nehmen, dazu war ich nicht bereit.“ Obwohl es vielleicht größere Produktionen, mehr Publikum bedeutet hätte.

Lieber spielt sie in kleineren Filmen, mit kleinem Team, wo sie sich nicht „unter 5000 Statisten überlegen muss, ob der Fuß richtig im Licht steht“. Genauso eigensinnig wählt sie auch ihre Theaterprojekte: zuletzt den „Parzival“ in Hannover – da trotzte sie dem reinen Tor das Mündigwerden gegen innere Widerstände ab.

Film ist Flirt, hat sie mal gesagt, Theater die große Liebe. Hat das noch Bestand? Sie lächelt. Und entgegnet dann, dass sie vor einem Monat Mutter geworden sei. Es gibt im Moment Fragen, die sie mehr beschäftigen.

„Brownian Movement“: Heute 15 Uhr (Arsenal); 18.2., 19.15 Uhr (Cinestar 8), 20.2., 11 Uhr (Cinestar 8); „Über uns das All“: 18.2., 21.30 Uhr (Eva Lichtspiele)

Für ihre Rolle in „Requiem“ von Hans-Christian Schmid bekam sie 2006 den Silbernen Bären

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