Marilyn Monroe in Kino: Das blonde Gegengift
Michelle Williams alias Marilyn Monroe - geht das? Kann eine große Schauspielerin einen großen Star spielen? Simon Curtis' Film „My Week with Marilyn“ wagt das Experiment.
Das Schöne an manchen mittleren Filmen ist, dass sie einen wenigstens zu anderweitigen Gedankenreisen einladen. „My Week with Marilyn“ etwa, das Kinodebüt des 52-jährigen britischen TV-Serienregisseurs Simon Curtis, führt beiläufig zu einem wunderhübschen, leichthändig szenisch aufbereiteten Feuilleton von Truman Capote, in dem der mit den Celebrities seiner Zeit vertraute Amerikaner einen Tag mit Marilyn Monroe aus dem April 1955 beschreibt. Man trifft sich – seitens Monroe natürlich mit Verspätung – beim Begräbnis von Constance Collier, einer britischen Mimin, die auf ihre alten Jahre in New York eine Schauspielschule betrieben hatte.
Nur widerwillig, so erinnert sich Capote in seinem fast ein Vierteljahrhundert später aufgeschriebenen Text, sei Collier wenige Monate vor ihrem Tod seiner Empfehlung gefolgt und habe die bereits zu Weltruhm gelangte „platinblonde Sexbombe“, die unbedingt ins Charakterfach wechseln wollte, als Schülerin aufgenommen. Dann aber habe zumindest ein Fünkchen gezündet. „Sie ist ein bildhübsches Kind“, zitiert Capote Collier, „ich meine das nicht rein äußerlich – diese Art Schönheit ist vielleicht viel zu offensichtlich. Ich halte sie auch nicht für eine Schauspielerin, nicht im traditionellen Sinn jedenfalls. Aber sie besitzt diese gewisse Präsenz, dieses innere Strahlen, diese plötzlich aufblitzende Intelligenz, die auf der Bühne nie sichtbar würde. Das alles ist so zart und zerbrechlich, dass nur eine Kamera in der Lage ist, solche Momente festzuhalten.“
Genau in jene Zeit, Mitte der fünfziger Jahre, fielen die Dreharbeiten zu „The Prince and the Showgirl“, Marilyn Monroes spätem filmischem Ausflug nach Europa, dem „My Week with Marilyn“ ein liebevolles Denkmal setzt. Zwar hatte Monroe es satt, erneut als sexy blondes Tingeltangel-Dummchen besetzt zu werden, aber eine Chance bot die Sache doch – schließlich führte der berühmte Shakespeare-Darsteller Laurence Olivier Regie und übernahm auch gleich die Hauptrolle. Die ehrgeizige Monroe hatte zudem auch unlängst in Lee Strasbergs Actors Studio angeheuert, und dessen Frau Paula flog als acting coach zu den Dreharbeiten in den Londoner Pinewood-Studios mit. Ebenfalls zunächst dabei: Arthur Miller, Ehemann Nummer drei, mit dem Monroe, selber gerade 30 geworden, frisch verheiratet war.
Die Flitterwochen am Set aber gingen so gründlich schief wie vieles während des Drehs selbst, den „My Week with Marilyn“ gewissermaßen aus der Kleinfritzchen-Schlüssellochperspektive beobachtet. Der 23-jährige dritte Regieassistent Colin Clark, auf dessen Memoiren der Film beruht, bringt es in den Wirren um Monroes Krach mit ihrem Mann und während dessen zwischenzeitlicher Abreise für ein paar Tage zum Vertrauten – und vielleicht auch zum Liebhaber – der Leinwand-Ikone. Regisseur Simon Curtis macht dabei dem Zuschauer das übersichtliche Vergnügen einer doppelten Männerfantasie. Er inszeniert die nach außen strahlende, tatsächlich aber extrem schutzbedürftige, tabletten- und alkoholsüchtige, depressive Kindfrau Marilyn – und zudem ausdrücklich den trivialen Traum, einmal von der schönsten KinoIkone aller Zeiten erwählt zu sein.
Ob dabei die Entscheidung glücklich war, die Rolle dieses unvergleichlichen Stars ausgerechnet mit Michelle Williams, einer unvergleichlichen Schauspielerin, zu besetzen? Williams, die dafür den Golden Globe gewann und, selber erst Anfang 30, bereits zum dritten Mal auf der Oscar-Nominierungsliste stand, wurde zwar allerseits gelobt – mehr aber wohl überhaupt für den Mut, sich an diese Verkörperung zu wagen, als für das Ergebnis selbst. Denn in der Besetzungswahl spiegelt sich ein Dilemma, das der Film an anderer Stelle luzide formuliert. Einmal sagt Protagonist Colin seiner Angebeteten ins Gesicht: „Sir Laurence leidet, weil er ein großer Schauspieler ist, der ein Filmstar sein möchte. Und du leidest, weil du ein Filmstar bist, der gerne eine große Schauspielerin wäre.“
Tatsächlich funktioniert ein Star immer schon ohne die Figur, die er gerade verkörpern soll – ob das Sexsymbol Marilyn oder, neueres Beispiel, der Charmebolzen George Clooney. Insofern mag Film-im-Film-Regisseur Laurence Olivier zwar klagen, der stets textunsicheren, mimisch zudem mit begrenztem Repertoire ausgestatteten Monroe Schauspielkunst einzubimsen sei so fruchtlos, wie „einem Dachs Urdu beizubringen“. So lange aber dieser Dachs Aura und Präsenz vor der Kamera hat, ist der kapitale Mangel verschmerzbar. Auch eine herausragende Schauspielerin wie Michelle Williams aber wird das ihr eigene magische Potenzial immer der Figur dienlich zu machen suchen, die sie sich sorgfältig erarbeitet hat, und dann ganz in ihr aufgehen, in jeder Rolle von Neuem.
Wie aber in einem Star aufgehen, noch dazu einem, der so ikonisch im kollektiven Bilderbewusstsein fortexistiert? Michelle Williams gibt ihr Bestes, und das ist viel, aber auch sie kann die Monroe eben nur – spielen. Es bleibt eine strukturelle Distanz, und „My Week with Marilyn“ macht, als Überlistungsversuch, das Paradox erst recht offenbar. Immer wenn sich Williams, penibel auf Monroe geschminkt und ganzkörpertrainiert, auf Hüftschwung und Kichern, Schlafzimmerblick oder gar das neckische Zwinkern verlegt, wird ihr Verwandlungsunbehagen nahezu physisch greifbar. Besser gelingt die Annäherung dort, wo das mäßig inspirierte Drehbuch den Star abseits von öffentlichen Auftritten und vom Set zeigt – in semiprivaten Räumen oder bei Ausflügen zum Schloss Windsor, zum Eton College oder gar zum Baden im Fluss. Aber auch hier bleibt Williams gefangen, diesmal in der von der Kamera konsequent geteilten Schwärmer-Perspektive des jungen Colin.
Am besten, auch der Zuschauer kapituliert friedlich – wie der Film – vor diesem Strukturproblem. Und er hält es mit der unterschiedslosen Bewunderung, für den Star und seine eifrige Interpretin. Wie Colin (hübsch dargestellt von Eddie Redmayne) in einem Kinosaal, als ihm die Angebetete fast von der Leinwand zu steigen scheint. Oder wie Laurence Olivier (cool: Kenneth Branagh), der beim Betrachten seines soeben abgedrehten Films ausruft: „We are such stuff as dreams are made on / and our little life is rounded with a sleep.“ Aber das ist noch einmal eine viel größere Welt, in die „My Week with Marilyn“ letztlich bescheiden hinüberführt: Shakespeare.
„My Week with Marilyn“ läuft ab Donnerstag in 16 Berliner Kinos; Originalversion im Cinestar Sony Center, OmU im Filmkunst 66, fsk, Hackesche Höfe, International und Odeon.
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