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Schöne Schläferin. Picassos „La Lecture“ (1932) erbrachte 30 Millionen Euro.
© dpa

Picasso erzielt Sensationspreis: Das Bild und der Markt

"La Lecture" (Die Lesestunde) entstand in Pablo Picassos "anus mirabilis" 1932, nun erzielte das Bild auf einer Auktion rund 30 Millionen Euro.

Die Schöne sitzt – den Kopf zurückgelehnt – in einem Sessel und hält die Augen geschlossen, im Schoß liegt ein geöffnetes Buch. Die aufgeschlagenen Seiten symbolisieren zugleich ihre Scham. Das Bild ist erotisch aufgeladen, im Zentrum prangt die rechte Brust der Porträtierten. Und doch strahlt das Gemälde vor allem Gleichmut, Schönheit, Harmonie aus. „La Lecture“ (Die Lesestunde) entstand 1932, dem „annus mirabilis“, dem Wunderjahr, wie Picassos Biograf es nannte. Der 51-Jährige befand sich auf dem Höhepunkt seines Schaffens.

So besitzen auch die Bilder dieser Periode auf dem Markt magische Anziehungskraft. „La Lecture“ erbrachte nun in der Nacht zum Mittwoch bei Sotheby’s in London 25,2 Millionen Pfund (umgerechnet 30 Millionen Euro). Der unbekannte Bieter am Telefon legte im Kampf gegen seine sechs Konkurrenten noch einmal das Doppelte des Schätzwertes drauf, um in den Besitz von Picassos junger Geliebten Marie Thérèse Walter zu gelangen. Die damals 17-Jährige hatte auch für das Ölbild „Nackte, Grüne Blätter und Büste“ Modell gestanden, das im vergangenen Jahr bei Christie’s in New York mit 80 Millionen Euro den höchsten jemals für ein Kunstwerk erzielten Auktionspreis erbracht hatte.

Ob es nun die Liebe zur Kunst oder die Hoffnung auf einen später einmal gewinnsteigernden Wiederverkauf war, der zu dem nochmaligen Sensationspreis für ein Porträt der blonden Schönheit führte, muss offen bleiben. Möglich, dass man ihr auch in einem der vielen Sammlermuseen, die gerade auf der ganzen Welt entstehen, einmal wiederbegegnen wird. Picasso ist ein Erfolgsgarant in den privaten wie öffentlichen Museen, insbesondere aber für den Markt. So hat der Jahrhundertkünstler die Baisse der vergangenen 18 Monate vollkommen unbeschadet überstanden. Vor der großen Krise war er der Erste, der 2004 mit seinem Gemälde „Junge mit der Pfeife“ die 100-Millionen-Dollar-Grenze durchbrach und damit zu den spektakulären Bietgefechten animierte, bis der Markt vier Jahre später zusammenbrach.

Der Abwärtstrend erfasste allerdings vor allem die zeitgenössische Kunst. Picasso und etwa Giacometti als Heroen der Klassischen Moderne blieben von den Schwankungen unberührt, denn sie sind im Kanon der Kunstgeschichte fest verankert. Ja, sie profitierten sogar von der Krise, denn ihr Werk behält auch in Zeiten der Abwertung von Aktien und Geldpapieren ihren Preis und wird gern als sichere Anlage genutzt. So gilt allen Turbulenzen zum Trotz: Ein Picasso bleibt ein Picasso. Umso glücklicher für den Besitzer, wenn es einer ist, der aus der Spitzenzeit des Künstlers stammt und jene Muse zeigt, die den Maler zu Höchstleistungen animierte.

So mag es Zufall sein, dass just in dem Moment, wo der Markt sich seiner Kräfte mithilfe eines bewährten Picasso-Werks wieder rückversichert, auch sein umstrittenes Spätwerk erneut feilgeboten wird. Der Ausstellungsraum Céline und Heiner Bastian im eleganten Chipperfield-Galeriehaus gegenüber dem Neuen Museum zeigt ab heute die Ausstellung „Pablo Picasso – die Freiheit der späten Werke“. Als der 89-Jährige seine ungestüme Produktion der letzten Jahre im Palais des Papes in Avignon erstmals 1970 der Öffentlichkeit präsentierte, fiel die Kritik über ihn her: Die Schönheit und der Schrecken, das Formbewusstsein und die messerscharfe Bildanalyse wurden hier zugunsten einer tumultuösen Malerei aufgegeben, in der viele nur noch die verzweifelte Libido eines alternden Genies erkannten. Vierzig Jahre später könnte die Zeit reif dafür sein, auch darin die Größe des Meisters zu entdecken. Irgendwann wird es dann auch der Markt bescheinigen. Nicola Kuhn

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