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Angesteckt. Die Konzernangestellte Beth (Gwyneth Paltrow), noch munter, auf Dienstreise in Hongkong. Ein paar Tage später, zu Hause in Minneapolis, ist sie tot. Foto: Warner
© epd

Film: Das Berührungsverbot

Steven Soderbergh entwirft in seinem Thriller „Contagion“ den Albtraum einer weltweiten Seuche. Gwyneth Paltrow wird schon nach wenigen Minuten vom Virus hinweggerafft.

Ehec, Schweinegrippe, Vogelgrippe, Sars: Mal in abstrakt anmutenden Kürzeln, mal hypervolkstümlich tönend, mal regional, mal global auftretend, mal durch Nahrung, mal durch Atmung übertragen – immer wieder verursachen, mal für Wochen, mal für Monate, solche Seuchen Medienfieberzacken und reißen mal ein paar Dutzend, mal ein paar tausend Menschen in den Tod. Die tröstliche Nachricht dabei: Die Menschheit insgesamt kommt, weil die global vernetzten Wissenschaftler bald die Infektionsquelle sowie die Zusammensetzung und Übertragungswege des Virus ermitteln, mit dem Schrecken davon.

Nur einmal wurden, wenn man die düstersten Zahlen zugrunde legt, fast drei Prozent der Weltbevölkerung durch eine einzige weltweite Epidemie dahingerafft: Im Herbst und Winter 1918 starben fast 50 Millionen Menschen an der Spanischen Grippe. Wohl nur so eine gigantische Pandemie darf offenbar als Referenzseuche für einen ausgewachsenen Hollywood-Thriller mit jeder Menge Oscar-Prominenz dienen. Rund 25 Millionen Menschenleben fordert in Steven Soderberghs „Contagion“ ein sich von Hongkong um den Erdball verbreitendes Virus. Der tröstliche Aspekt gegenüber der Realität von 1918: Der Fortbestand der Menschheit ist, bei nunmehr sieben Milliarden auf diesem Planeten, weitaus weniger gefährdet.

Auch das Kinopublikum, so viel darf verraten werden, kommt einmal mehr mit dem Schrecken davon. Zuvor aber wird er ihm gehörig eingejagt, durch eine globalisierungstypische Alltagssituation. Die Konzernangestellte Beth Emhoff (Gwyneth Paltrow) kehrt, frisch mit dem Virus angesteckt, von einer Dienstreise aus Hongkong nach Minneapolis zurück, umarmt ihren Mann Mitchell (Matt Damon) und ihren kleinen Sohn, und binnen Tagen sind Beth und der Sohn tot: Fieber, krampfartige Anfälle, Exitus. Und während nahezu synchron nach gleichartigen Symptomen Todesfälle aus Chicago und China, aus London, Paris und Tokio gemeldet werden, wird Beth bei der Obduktion schon der Skalp übers schöne, tote Gesicht gezogen.

Mitchell Emhoff aber, man mag dies als ein erstes Hoffnungszeichen deuten, bleibt mysteriöserweise immun. Vielleicht, weil Beth ihn auf der Rückreise noch schnell mit einem Ex-Lover betrogen hatte und er deshalb das Mitleid des Zuschauers verdient? So einfach ist die Rettung des Mannes, der nunmehr sein einzig verbliebenes Kind, die halbwüchsige Tochter Jory (Anna Jacoby-Heron), von ihrem gleichaltrigen Verehrer – und möglichen Virusträger – abzuschirmen sucht, wohl kaum zu verstehen. Vielmehr soll die Restfamilie Emhoff dem Zuschauer fortan als emotionaler Anker dienen. Nur wird dieser Anker im kaum je nachlassenden Wirbelsturm der Ereignisse immer wieder fortgerissen.

Soderbergh nennt sein Szenario, in dem die Pandemie binnen weniger Tage die ganze Welt erfasst, „ultra-realistisch“. Tatsächlich bescheinigen ihm Experten eine zumindest realitätsnahe Imagination des Grauens. Hier die fieberhafte Fahndung der Wissenschaftler und Mediziner nach der Quelle des Virus und nach einem Impfstoff. Dort die Panik der Menschen, die sich erst in ihren Häusern verschanzen und dann in kollektiver Raserei Apotheken zu plündern beginnen und fliehen, dazu Bilder von Massengräbern, bevor ganze Baseballstadien zu Quarantänelagern werden. Hier die Lähmung jedweden öffentlichen Lebens, weil das Virus bereits durch indirekten Hautkontakt – etwa auf Kreditkarten oder Bushaltegriffen – von Mensch zu Mensch weiterspringt. Dort der Mut Einzelner, die bei der Suche nach dem lebensrettenden Serum ihr eigenes Leben riskieren.

An möglichen Identifikationsfiguren fehlt es dabei keineswegs. Der Leiter der US-Seuchenbekämpfungsbehörde CDC, gespielt von Lawrence Fishburne, will abseits von Beschwichtigung und Panikmache so ehrlich wie möglich informieren – und evakuiert dann doch zuallererst die eigene Frau aus der schlimmsten Infektionszone. Oder die von Kate Winslet, Marion Cotillard und Jennifer Ehle verkörperten Wissenschaftlerinnen und Ärztinnen: In ihrer unermüdlichen Recherche- oder Laborarbeit laufen sie Gefahr, sich jederzeit selbst anzustecken. Und darf man dem tapferen Blogger (Jude Law) verübeln, dass er die Panik anheizt, indem er die offiziellen Todeszahlen lautstark für geschönt hält – und gar vermutet, ein Heilmittel werde böswillig unter Verschluss gehalten?

„Contagion“ ist eine zweifellos brillant kompilierte Materialsammlung zum Waswäre-wenn einer kollektiven Angstfantasie. Nur zu einem durchgängig fesselnden Spielfilm will sich die Sache nicht fügen. Zu komplex ist die wortreich ausgebreitete wissenschaftliche Materie, zu verstreut liegen die gleichwertig relevanten Schauplätze, zwischen denen die Handlung hin- und herjagt, zu schwach bleiben die Charaktere entwickelt, mit denen sich mitleiden und mitfiebern ließe. Soderbergh, wie zumeist selber auch hinter der Kamera, illustriert lieber mit nervöser Verve eine diffuse Dauerverstörung, die der Zuschauer ohnehin als jederzeit global verletzlicher Erdenbewohner erfährt – sei es durch Seuchen, Terroranschläge oder Weltwirtschaftskrisen.

Natürlich ist das kühle, erhellende Absicht. Doch beschwört sie sogar bei Leuten, die auch im Genre-Kino stets für stilistische und dramaturgische Experimente zu haben sind, eine gewisse Sehnsucht nach Filmen wie Wolfgang Petersens „Outbreak“. Ausgehend vom afrikanischen Ebola-Virus, entfaltete Petersen schon 1995 ein globales Seuchenpanorama – mit einem großartig guten Dustin Hoffman und einem großartig bösen Donald Sutherland, mit Hubschrauberverfolgungsjagden und finsteren Militärgeheimnissen. Das war so intelligent wie durchaus realistisch. Und, nicht zu vergessen, spannend anzusehen.

Ab Donnerstag in 13 Kinos; OV Cinestar SonyCenter, OmU Babylon Kreuzberg

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