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Avantgardist. Buster Keaton im Bürgerkriegsdrama „The General“, 1927.
© picture-alliance / Mary Evans Picture Library

Film: Das Babylon Mitte widmet dem Film-Komiker Buster Keaton eine Retrospektive

Er gilt als der bedeutendste Komiker der Stummfilmzeit neben Charlie Chaplin. Sein Markenzeichen war die Ungerührtheit. Selbst in Extremsituationen verzog er keine Miene.

Eine Legende zu sein, bewahrt nicht davor, unterschätzt zu werden. Buster Keaton ist der bedeutendste Komiker der Stummfilmzeit neben Charlie Chaplin, doch die Erklärungen für seinen Legendenstatus klingen wenig schmeichelhaft. Er habe in Extremsituationen nie sein Gesicht verzogen, heißt es, aber ist das ein Kompliment? Klingt doch eher wie: Er hat aus der Not seiner Ausdruckslosigkeit eine Tugend gemacht. Dann gibt es noch die soziologische Erklärung: Buster Keaton (1895–1966) ist der kleine Mann, der in die Räder der Industrialisierung gerät und mit den Maschinen kämpft. Sein Verhältnis zu den Maschinen ist in all seinen Film ambivalent. Vorübergehend wird er von ihnen überwältigt, aber zuletzt ist er es, der die Maschinen unter Kontrolle hat.

Es war Keatons Entscheidung, Filme auf fahrenden Zügen und auf hoher See zu drehen. Er liebte diese Herausforderungen. Er liebte die Technik, und das bedeutet auch: die Filmtechnik. Keaton ist das dritte Stummfilm-Live-Festival im Kino Babylon in Berlin-Mitte gewidmet; auch das Lichtblick-Kino präsentiert in seiner aktuellen Stummfilmklassiker-Reihe Keaton-Filme wie „Kameramann“ oder „The General“. Der Untertitel des Babylon-Festivals, „Don’t say ,Cut’ unless I’m dead“, spielt auf Keatons mitunter selbstmörderischen Perfektionismus und die strikte Anweisung an, selbst dann weiterzudrehen, falls er unter die Räder kommen sollte. Dass keiner bei den halsbrecherischen Stunts je verletzt wurden, spricht für die exakte Planung jeder Einstellung.

Es ist ein sympathischer Zug Buster Keatons, dass er bei seiner (Wieder-)Entdeckung als verkanntes Genie in den letzten Lebensjahren bescheiden blieb, selbst als sein Bewunderer Samuel Beckett einen Kurzfilm mit ihm drehte. Über den Verlust seiner finanziellen Unabhängigkeit und seinen Alkoholismus sprach er ohne jedes Selbstmitleid. Als Filmemacher, sagte er gerne, sei er einfach nur ein guter Handwerker gewesen.

In Wahrheit war er ein Erneuerer. Er benutzte die Kamera nicht, er liebte sie, sie war sein Partner, nicht sein Diener. Auf diese Weise trug er zur Entwicklung der Filmsprache bei. Wie hieß der erste Film, in dem man einen Schauspieler dutzendfach neben sich selbst in einer Einstellung sehen kann? „Being John Malkovich“, „The Matrix“? Es war der Kurzfilm „The Playhouse“ (1921), der neun Buster Keatons in einer Einstellung präsentierte, lange vor Erfindung der Computertechnik. Dass er nur 20 Minuten dauert und den Gag nicht unnötig auskostet, zeugt von einem weiteren Merkmal seines Werks: dem perfekten Timing. Heute bieten Komödien oft nur alle zehn Minuten einen guten Gag. Wenn Keaton und seine Zeitgenossen nur wenige Gags auf Lager hatten, machten sie daraus einen Kurzfilm.

Und wie hieß der erste Film mit virtuosen Kamerafahrten durch endlose Korridore? Nein, das war nicht Kubricks „The Shining“, sondern Buster Keatons „The Navigator“ (1924), der auf einem verlassenen Ozeandampfer spielt. Auch hat den direkten Kontakt zwischen Zuschauer und Leinwandheld, den Transit von der Fiktion in die Kinorealität nicht Woody Allen in „The Purple Rose of Cairo“ erfunden, sondern Keaton in „Sherlock Junior“ (1924). Die Leinwand wehrt sich gegen den schüchternen Projektionisten, der sich an der Filmhandlung beteiligen will, stößt ihn ab wie ein Körper ein transplantiertes Organ. Buster muss sich seinen Platz auf der Leinwand hart erkämpfen.

Und der beste Film über den amerikanischen Bürgerkrieg ist vielleicht doch nicht „Vom Winde verweht“, sondern „The General“. Keatons Film von 1926 hat dessen Gags am wenigsten nötig, weil er auch als Actiondrama funktioniert. Eine wahre Geschichte: Eine Lokomotive wird entführt und vom Lokführer gerettet, den natürlich Buster Keaton verkörpert. Es gibt beeindruckende Massenszenen, an denen keine Massen beteiligt waren – Keaton hat seine 100 Komparsen lediglich so arrangiert, dass sie wie 1000 aussehen. 70 Prozent aller Einstellungen sind Kamerafahrten, und wenn die Kamera mal steht, bewegen sich die Komparsen. Und es ist eine echte Lokomotive, die auf eine brennende Holzbrücke fährt und in die Tiefe stürzt.

Es gibt keinen Grund, die Kurzlebigkeit von Buster Keatons Ruhm zu bedauern. Wer so viel geleistet hat wie er in den Zwanzigerjahren, der darf sich mit gutem Gewissen gehen lassen. Von seinen wahren Fans ist er ohnehin nie vergessen worden. Auch wenn ihm die Hollywoodproduzenten keine Arbeit mehr gaben und ihn nur ab und zu als Gagschreiber engagierten: In überfüllten Restaurants bekam er immer einen Tisch. Kein anderer Star verkörpert so vollkommen das Siegen im Scheitern.

20.– 29. Juli, Babylon-Mitte, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Aufführungen mit Live-Musik. Infos zum Programm: www.babylonberlin.de/stummfilme.htm, Infos Lichtblick: www.lichtblick-kino.org

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