Attentat auf John F. Kennedy: Das amerikanische Trauma
Vor fünfzig Jahren wurde der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy in Dallas erschossen. Jetzt kommt ein Buch zu dem Urteil: Es gab keine Verschwörung.
Der Schuss, der John F. Kennedy tötete, klang – so sagte später einer seiner Leibwächter – „als würde man eine Melone auf einen Betonboden schmettern“. Hätte der amerikanische Präsident am 22. November 1963 nicht ein Stützkorsett getragen, dann hätte er das Attentat wahrscheinlich überlebt. Der Attentäter Lee Harvey Oswald schoss drei Mal auf Kennedy und traf ihn zwei Mal.
Der erste Schuss, der Kennedys Luftröhre und seine Lunge verletzte, hätte normalerweise seinen Oberkörper nach vorne geschleudert. Dann wäre der Präsident aus dem Schussfeld heraus gewesen. Und gerettet. Doch das Korsett, das sich der an einem schmerzhaften Rückenleiden laborierende Kennedy umgeschnallt hatte, hielt ihn aufrecht. So traf ihn die dritte Kugel des Attentäters, abgeschossen aus einem Infanteriekarabiner Kaliber 6.5 mm, am Hinterkopf. „Mein Gott, man hat ihm den Kopf weggeschossen“, schrie Jackie Kennedy, die neben ihrem tödlich getroffenen Mann saß.
Fünfzig Jahre ist es her, dass John F. Kennedy in Dallas starb. Sein Tod hat die Amerikaner tief traumatisiert, der Schock traf sie mit ähnlicher Wucht wie der japanische Angriff auf Pearl Harbor 1941 und die Anschläge vom 11. September 2001. Kennedy war mit 43 Jahren zum Präsidenten gewählt worden. Sein jugendliches Charisma schien eine Ära des Optimismus und des Aufbruchs anzukündigen. Doch nach den Todesschüssen von Dallas begann ein Zeitalter von Konfrontation und Paranoia, es folgten der Krieg in Vietnam, die Kämpfe der Bürgerrechtsbewegung, die Morde an Martin Luther King und Robert Kennedy.
Es war ein Klima, in dem die Verschwörungstheorien nur so sprossen. Lee Harvey Oswald hatte John F. Kennedy nur um 48 Stunden überlebt, er war, als er ins Gefängnis überstellt werden sollte, im Keller des Polizeihauptquartiers von Dalles von einem Nachtclubbesitzer erschossen worden. Zwar kam die von Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson einberufene Warren-Kommission zu dem Ergebnis, dass Oswald ein Einzeltäter gewesen sei. Doch davon ließen sich die Verschwörungstheoretiker nicht stoppen, sie machten wahlweise CIA oder KGB, die Mafia oder Fidel Castro für Kennedys Tod verantwortlich. Das Ende des Präsidenten, festgehalten auf den körnigen Super-8-Bildern eines Amateurfilmers, stieg auf zu einem Teil der amerikanischen Popkultur.
Schriftsteller wie Don DeLillo („Sieben Sekunden“) , James Ellroy („Ein amerikanischer Thriller“) oder Steven King („11/22/63“) und Filmregisseure wie Oliver Stone („JFK – Tatort Dallas“) oder Wolfgang Petersen („In the Line of Fire“) arbeiteten sich am Attentat ab. „Die Theorien wucherten, es gab einen Sumpf voller Möglichkeiten“, sagte Norman Mailer, der selber zwei Bücher über Oswald und den Kennedy-Mord veröffentlichte. Am Ende fand er allerdings keine der präsentierten Komplotttheorien plausibel: „Es gibt zu viele störende Details, die einfach nicht zusammenpassen.“
Wie die Verschwörungstheorien die reale Tragödie in den Hintergrund drängen.
Die Verschwörungstheorien hätten irgendwann „ein solches Ausmaß angenommen, dass sie die menschliche Tragödie des 22. November 1963 in den Hintergrund zu drängen drohten“, schreiben Bill O’Reilly und Martin Dugard. In ihrem Buch „Killing Kennedy“ (Droemer, aus dem Amerikanischen von Maria Zybak und Bernhard Jendricke, 400 S., 19,99 €) schildern sie in größtmöglicher Nüchternheit die Vorgeschichte und den Ablauf des Attentats.
Ihr Urteil ist eindeutig: Es gab keine Drahtzieher, Lee Harvey Oswald agierte allein. Zum Mörder wurde Oswald nicht, weil er Kennedy hasste. Er war verbittert, aber den Präsidenten machte er dafür nicht verantwortlich. Oswald, der kurz vor dem Attentat 24 Jahre alt wurde, sehnte sich – so O’Reilly und Dugard – vielmehr danach, „ein berühmter Mann zu werden, ein bedeutender Mann, dessen Name niemals in Vergessenheit gerät“.
Der Kennedy-Mörder war ein Kommunist und Waffennarr. Er bezeichnete sich als „Marxist-Leninist“, las die sozialistische Zeitung „The Worker“ und posierte auf Fotos mit seinem Gewehr. Laut O’Reilly und Dugard wusste Oswald nicht, ob er lieber Amerikaner, Kubaner oder Russe sein wollte. Nach seiner Militärzeit bei den Marines hatte er anderthalb Jahre in der Sowjetunion gelebt, in Minsk in einer Fabrik gearbeitet, die Radios und Fernseher produzierte, und dabei seine spätere Frau kennengelernt. Der real existierende Sozialismus ödete Oswald an, doch auch in Amerika fühlte er sich nicht mehr zu Hause.
Secret Service warnte vor Kennedys Besuch: "Wir werden die reinsten Zielscheiben abgeben"
Nach der Rückkehr scheiterte seine Ehe, aus der zwei Kinder hervorgegangen waren. Er wollte nach Kuba ziehen, doch sein Visumantrag wurde abgelehnt. Wenige Wochen vor Kennedys Besuch fand Oswald einen Job im Schulbuchlager des Staates Texas. Das Texas School Book Depository war in einem sechsstöckigen Büro- und Lagergebäude untergebracht, das an der Route lag, die Kennedy mit seiner Wagenkolonne passierte.
Dallas hat 1963 rund 747 000 Einwohner, es ist, schreiben O’Reilly und Dugard, „eine knallharte Stadt, gegründet auf Handel und Öl und nur von einem angetrieben: Geld“. Texas war bei den Präsidentschaftswahlen 1960 ein Schlüsselstaat gewesen, Kennedy hatte ihn mit knappem Vorsprung gewonnen. Sein Besuch gehört schon zum Kampf um die Wiederwahl 1964. Am 21. November, einen Tag, bevor er mit der Air Force One in Dallas landet, hält der Präsident in Fort Worth eine Rede, die er mit dem Ausruf „Wir schreiten voran!“ beendet. Der Kalte Krieg – das war die Botschaft – ist vorbei, auf Amerika wartet eine glorreiche Zukunft.
Kennedy wollte in der offenen Limousine Nahbarkeit demonstrieren.
Kennedy will Nahbarkeit demonstrieren, deshalb lässt er sich in einer offenen Limousine durch Dallas fahren. Die Route, die vom Flughafen ins Stadtzentrum und wieder zurück führt, ist 16 Kilometer lang. An ihr liegen hunderte Häuser mit tausenden Fenstern. Hinter jedem Fenster kann ein Scharfschütze lauern. Ein Agent des Secret Service, der die Strecke vorab inspizierte, warnte: „Wir werden die reinsten Zielscheiben abgeben.“
Jacqueline Kennedy hat nach dem Tod ihres Mannes in einem Interview sein Leben mit Camelot verglichen, dem Hof des legendären Königs Artus. Der Mythos lebt bis heute fort. John F. Kennedy erscheint in dieser Perspektive wie ein strahlender Held, ermordet aus dem Hinterhalt, bevor er seine Mission erfüllen konnte. Doch die Bilanz seiner Präsidentschaft ist keineswegs makellos. JFK war ein begnadeter Rhetoriker, manche seiner Aphorismen sind bis heute gern zitierte Klassiker. In seiner Politik ließ sich Kennedy eher von alten Feindbildern leiten. In der Kuba-Krise trieb er die Welt an den Rand eines Nuklearkrieges. Er schickte die ersten Militärberater nach Vietnam. Und den Kampf der Bürgerrechtler gegen den Rassismus tat er zunächst als „verdammten Bürgerrechtsmist“ ab. Unterstützt hat er ihn erst auf Drängen seines Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson und seines Bruders Robert Kennedy.
Als Jackie Kennedy am Nachmittag des 22. November 1963 mit dem Sarg ihres Mannes an Bord der Air Force One zurückflog nach Washington, trug sie noch ihr himbeerfarbenes Chanel-Kostüm. Es war blutverschmiert, aber sie hatte sich geweigert, sich umzuziehen. Die Welt sollte sehen, welche Tragödie sich in Dallas ereignet hatte.