Junge Talente auf der Berlinale: Daily-Soap vs. Afghanistankrieg
300 junge Filmschaffende besuchen die "Berlinale Talents". Die spannendsten sind weiblich und kommen aus Krisenregionen - dort erzählen in Seifenopern und Kurzfilmen von "schwarzer Demokratie" in Afghanistan oder Korruption in Kasachstan.
Arzoo Burhani möchte es sich gerne leicht machen – und das ist schon mal ziemlich schwer. Burhani, 31 Jahre alt, kommt aus Kabul und dreht Filme. Das sei „der einfache Weg, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen“, sagt die Afghanin. Wenn sie dann von dem Leid erzählt, in dem ihr Land, die Menschen um sie herum und ihre Familie seit Jahrzehnten eingehüllt sind, wird klar, dass dieser „einfache Weg“ doch eine Bürde ist. Kino, sagt Burhani, sei ihre Chance, „keine Niederlage akzeptieren zu müssen“.
Mit dieser Haltung passt Burhani perfekt auf den diesjährigen Campus des Filmnachwuchses, der in seinem zwölften Jahr nunmehr unter dem Namen „Berlinale Talents“ läuft. „Breaking the Rules“, Regeln brechen, heißt das Motto der Talentschmiede im Hebbel am Ufer, 300 junge Filmschaffende tauschen sich dort noch bis Donnerstag über erste Schritte ins Kino-Geschäft aus. Neben Regisseuren und Produzenten aus Europa sind dieses Mal auffallend viele Talente aus Schwellenländern wie Mexiko und Brasilien angereist, aber auch aus vermeintlich unbedeutenden Filmmärkten wie Zentralasien. „Dort, wo die Kinoproduktion weniger entwickelt ist“, sagt Marcie Jost, „entstehen oft die spannendsten Geschichten.“ Jost ist eine der Juroren, die die diesjährigen Nachwuchskräfte ausgewählt haben. Sie beobachtet, dass gerade in Krisenregionen eine größere Reflexion der Gesellschaft, eine besondere „Lust aufs Experimentelle“ stattfindet.
Filmemacherin Arzoo Burhani: Das Ende der Ehrlichkeit im eigenen Land
Für Arzoo Burhani ist es vor allem eine Not zum Experimentellen. „Die afghanische Filmindustrie ist schwach und atemlos“, sagt sie. Es gebe keine Förderer, keine Ausbildung, keinen Absatzmarkt. Selbst ihre Familie missbillige, dass sie zur Kamera greift. Ein Land im Krieg braucht kein Kino, weiß Burhani – und braucht es doch, spürt sie. Jost erinnert sich, dass sie Burhanis Filme sah und dachte: „Da hat jemand was zu erzählen, und das berührt mich wirklich“.
So gibt es den Kurzfilm „Der Kehrer“, in dem Burhani einen Straßenfeger und seinen Enkel durch das nächtliche Kabul begleitet. Der Alte fegt schweigsam den immer gleichen Dreck beiseite, der Enkel philosophiert an seiner Seite, wie schön Kabul in der Abwesenheit all seiner Menschen ist.
Burhani selbst probiert sich in allem, Dokumentationen, Kurzfilme, TV-Beiträge – Hauptsache, sie hält eine Kamera in ihren Händen. Ihre Produktionsfirma Kaboora unterstützte die Dreharbeiten zur Hollywood-Produktion „Drachenläufer“ und produziert Afghanistans erste Daily Soap „Raaz Hai Een Khana“ („Geheimnisse dieses Hauses“). Es ist das Stückchen Normalität, das Burhani all der „schwarzen Demokratie“ und dem „Ende der Ehrlichkeit“ in ihrem Land entgegensetzen möchte.
Filmemacherin Mila Fakhurdinova: Ständiger Kampf gegen Überwachung
Auch Mila Fakhurdinova kämpft gegen Widrigkeiten in ihrem Heimatland. Die 27-Jährige hat Regie in Russland studiert, doch kommt sie ursprünglich aus Kasachstan. „Dort zu arbeiten bedeutet einen ständigen Kampf gegen Korruption und staatliche Überwachung.“ Ihre Projekte versucht sie daher privat zu finanzieren und vor allem auf internationalen Festivals zu zeigen.
Der Jurorin Marcie Jost fällt es schwer, in den Werken des Nachwuchses klare Trends auszumachen. Viele Geschichten suchen das Kleine – „und reflektieren dann doch das Große“. Dort, wo auf den Kreativen ökonomischer Druck lastet, müssen Ideen auch im kleinen Raum realisiert werden.
So hat zwar Fakhurdinova den Glauben an eine kasachische Kinokultur aufgegeben, macht aber ihren Landsleuten die eigenen Filme auf Youtube oder Vimeo zugänglich. Fakhurdinova schafft moderne Märchen, in denen aus sich öffnenden Mänteln ganze Birkenwälder wachsen oder gleißende Schneewelten das Tier im Manne wecken.
Dabei schöpft Fakhurdinova aus den Jobs, die sie vor der Regieausbildung hatte: Die Kasachin ist studierte Kinderchirurgin und kellnerte nebenbei in einer Bar. Sie sagt, es seien diese beiden Berufe gewesen, die ihr in wenigen Monaten mehr menschliche Schicksale aufgezeigt haben, als sie je verarbeiten könne. Es dennoch zu versuchen, war ihr Grund, zur Kamera zu greifen.