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Träume und Alpträume: Ein Ausschnitt aus dem Buch.
© Zeichnung: Crumb/Reprodukt

Interview mit David Z. Mairowitz: „Crumb hat dieselben Ängste wie Kafka“

David Z. Mairowitz hat zusammen mit dem Comic-Pionier eine Werkbiografie des Schriftstellers geschaffen, die jetzt neu erscheint. Im Interview erzählt er, wie es dazu kam.

Herr Mairowitz, ganze Bibliotheken kann man mit Literatur über Franz Kafka und sein Werk füllen. Nun erscheint eine überarbeitete Auflage von „Kafka für Anfänger“, einer  Werkbiografie in Form eines Comics, die sie mit Robert Crumb vor Jahren umgesetzt haben. Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Robert Crumb entstanden?
Zunächst erlauben Sie die Bemerkung: Der Titel wird jetzt nur noch „Kafka“ lauten. „Kafka für Anfänger“ geht zurück auf eine Buchreihe, mit der junge Leuten und Studenten die Scheu vor großen Werken genommen werden sollte. Das war aber nie mein eigentliches Anliegen, einen solchen Comic mit Crumb zu machen. Ich bekam in den neunziger Jahren den Vorschlag des englischen Verlags Icon Books, einen solchen Comic zu machen. Ich war zu der Zeit mit Robert Crumb befreundet, wir lebten beide in Südfrankreich, und ich wusste, dass er von Kafka fasziniert war. Er hat sich selbst manchmal wie eine Figur aus einer Kafka-Erzählung gefühlt. Er war sofort Feuer und Flamme für das Projekt, weil es ihm die Möglichkeit bot, etwas anderes zu machen als das, was er in den Jahren zuvor gemacht hatte.

Wie passt Robert Crumbs schroffer, anarchistischer Zeichenstil zu dem sensiblen Sprachfilou Franz Kafka?
Ich kannte alles, was Crumb bis in die Neunziger hinein gemacht hatte, auch seine privaten Skizzen und Zeichnungen. Ich wusste, wenn er eine Skizze sieht, etwa von Georg Grosz, dann kann er den Stil sofort nachzeichnen. Robert Crumb ist ein Meister der Imitation.

Was die an Georg Grosz und Otto Dix erinnernden Zeichnungen in dem Band erklärt.
Vollkommen richtig. Es ist auch nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass Robert Crumbs Stil von den deutschen Expressionisten stark beeinflusst ist. Das, was sie meisten von ihm kennen, also „Fritz, the Cat, „Mr. Natural“ oder die voluminösen Frauen, das ist nur die Oberfläche seiner Zeichenkunst. Seine Fähigkeiten gehen aber weit über all das hinaus. Alles was es brauchte, um diese Fähigkeiten heraus zu kitzeln, war ein Projekt, für das er sich interessierte. Kafka war ein solches Projekt.

Trauma-Verarbeitung: Der junge Kafka und sein Vater in einer Szene des Buches.
Trauma-Verarbeitung: Der junge Kafka und sein Vater in einer Szene des Buches.
© Reorudkt

Sie arbeiten in „Kafka“ anhand seiner zentralen Erzählungen drei Kernthemen heraus: Kafkas schwieriges Verhältnis zu seinem Vater, sein ambivalentes Verhältnis zu allem Körperlichem und Sexuellem und sein Ringen mit seiner jüdischen Identität. Sind dies auch die wesentlichen Motive seines Schreibens?
Das Problem einer solchen Aussage besteht darin, dass man über Kafka nicht einfach sagen kann, dass er auf diese oder jene Art schreibt. Es ging Kafka bei seinem Schreiben darum, sich selbst zu vernichten – eine Konsequenz seiner Biografie. Der sensible Franz Kafka war von seiner Kindheit, seinem Vater, dem jüdischen Umfeld und der strengen Prager Umgebung derart geprägt, dass sein Schreiben für ihn immer eine Art Überlebenskampf in dieser Umgebung war. Irrsinnigerweise bestand Kafkas Art, zu überleben, darin, sich schreibend immer wieder selbst zu vernichten. Es ging dabei nicht um Selbstmord, sondern um eine psychologische Verarbeitung des Erlebten. Wenn also der Vater sagte „Ich werde Dich wie einen Käfer zertreten“, dann nahm Kafka in seinem Werk die Rolle des Käfers an und ließ sich von seinem Vater mit einem geworfenen Apfel vernichten. Er hat all die hässlichen Angriffe und Attacken in sich aufgenommen und in seiner Literatur kommen sie dann wieder aus ihm heraus.

Frauen spielen sowohl bei Franz Kafka als auch bei Robert Crumb eine große Rolle. Das Maß des Expliziten scheint mir bei den beiden nur unterschiedlich. Treffen mit Kafka und Crumb zwei sehr unterschiedliche Menschen aufeinander oder eher zwei Brüder im Geiste?
Robert Crumb hat genau dieselbe Angst vor Frauen wie Franz Kafka. Wenn sich Crumb selbst als kleinen und zitternden Wicht vor den kräftigen Frauen mit großen Ärschen zeichnet, dann macht er sich da genauso klein, wie sich Kafka in seinen Werken klein macht. Crumbs Frauen sind immer riesengroß und drohen ihn aufzufressen. Kafka hat dieselbe Angst vor Frauen. In seinem Tagebuch beschreibt er die Angst vor dem Geschlechtsverkehr, spricht von der Sexualität als der „Sehnsucht nach Schmutz“ und vom „Koitus als die Bestrafung für das Glück des Beisammenseins“. Ich glaube, wenn man so offen darüber schreibt, ist die Angst zugleich auch Ausdruck der Faszination.

Kafka-Kenner: David Zane Mairowitz.
Kafka-Kenner: David Zane Mairowitz.
© privat

Neben „Die Verwandlung“ ist „Der Process“ wohl Kafkas bedeutendste Erzählung. Gemeinsam mit Chantal Montellier haben sie die Erzählung als Comic genial adaptiert. Wie reduziert man eine über 200 Seiten lange Erzählung auf ein handhabbares Comicscript und macht dann daraus einen so fantasievollen Comic?
Ich mache seit Jahren Bühnen- und Hörspieladaptionen von großen Romanen wie „Moby Dick“. Da besteht immer die Frage, wie man dicke Wälzer in einem zweistündigen Stück umsetzen kann. Man muss zu Beginn sehr streng kürzen, aber dann muss man viel hörbar machen, was sonst wegfällt. Beim Comic muss man das dann in Zeichnungen umsetzen. Chantal Montellier ist in Frankreich für ihr fantastisches Repertoire sehr bekannt. In dem Moment, wo sie den Stoff angefasst hat, begann sie, zu assoziieren und Ideen zu entwickeln.

Warum müssen wir heute immer noch Kafka lesen?
Kafka ist für mich der Autor der Autoren. Nicht, weil ich meine, jeder Schriftsteller sollte so schreiben, sondern weil für Kafka Schreiben alles im Leben war. Auch wenn er nicht so viel geschrieben hat wie andere, aber hatte er einmal angefangen, konnte er nicht damit aufhören. Es ging ihm nicht darum, vom Anfang zu einem Ende zu kommen, sondern um das Schreiben als solches. Wenn man Kafka heute liest, kann es nicht darum gehen, eine Geschichte von Anfang bis zum Ende zu lesen. Es geht um das Erlebnis „Lesen als solches“.

Hinweis: Robert Crumb ist Ende Mai zu Gast auf dem Comicfestival München - mehr dazu in Kürze auf den Tagesspiegel-Comicseiten.

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