Michel Piccoli zum 90.: Cool und keineswegs altersmilde
Anti-Bourgeois, sanfter Atheist, homme à femmes: Der große französische Schauspieler Michel Piccoli feiert seinen 90. Geburtstag. Eine Hommage.
Manche werden im Alter fromm. Könnte ja sein, dass eine Art Gott doch existiert oder dass es einem in dem Ding, das sie Hölle nennen, zu heiß wird – bei aller Liebe zur irdisch noch eben kommensurabel komfortablen Klimakatastrophe. Nicht so Michel Piccoli, der bleibt im Angesicht der sogenannten letzten Dinge vor allem eines: cool.
Vor fünf Jahren, da war er schon satte 85 und hatte gerade – ausgerechnet – den Papst gespielt in Nanni Morettis „Habemus Papam“, kamen „Die Zeit“ und „Der Spiegel“ dem französischen Schauspielstar aus gegebenem Anlass religiös. „Ich habe keine Sehnsucht nach Gott, mir ist das völlig fremd“, beschied er den einen Interviewer, und den anderen: „Ich brauche Gott nicht, um das Leben verstehen oder um es lieben zu können. Ich sehe aber ein, dass manche Menschen ein höheres Wesen brauchen.“
Religiös sein, um den Papst zu spielen? Von wegen!
Doch Vorsicht, altersmild ist Piccoli deshalb noch lange nicht. Leute, die mit gottergebener Demut auch noch die bösesten Schicksalsschläge hinnehmen, findet er „gefährlich“. Und wagt ein Gesprächspartner den vorsichtigen Einwurf, um einen Papst zu mimen, müsse man wohl zumindest vorübergehend ein Verhältnis zur Transzendenz aufbauen, kontert er knapp: „Ich nehme doch auch keinen Geigenunterricht, um einen Geiger zu spielen!“
Tja, nichts zu machen. Wie gut nur, dass diese schönste seiner noch immer zahlreichen, wenn auch anderweitig kleineren Kinorollen der letzten zehn Jahre ihm einen schüchternen Aussteigerpapst abverlangt. Und den spielt er denn auch mit sanfter Hingabe: Kaum gewählt, ist Schluss mit würdig – und schon tastet sich der alte Vatikaner wunderbar behutsam raus ins echte Leben.
Eine seiner bewegendsten Rollen verkörperte Piccoli in einem Oliveira-Film
Nahezu 250 Kinorollen hat der Musikersohn Michel Piccoli bisher gespielt, nicht hinzugezählt sein Leben am Theater, das ihn auch in seinen mittleren Achtzigern noch als Lear und Thomas Bernhards Minetti auf der Bühne sieht – stets in Paris, seiner Geburtsstadt und Heimat in jedem Sinne. Hier gab er auch, in einem seiner bewegendsten Filme, Manoel de Oliveiras „Je rentre à la maison“, einen elegant vereinsamenden und zart verwahrlosenden alten Theatermann. Damals, kann man nachlesen, musste er noch auf Greis geschminkt werden, vierzehn Jahre ist das her.
Ein bisschen älter mag er inzwischen aussehen, der vielfach preisgekrönte Provokateur, der homme à femmes, der Anti-Bourgeois, der entspannte Atheist, der mit allen großen und vielen halbgroßen Regisseuren des französischen Kinos zusammengearbeitet hat. Aber jetzt bloß nicht alles und alle salbungsvoll aufzählen, schließlich soll zum Neunzigsten so gefeiert werden, wie es sich bei einem wie Piccoli gehört: fröhlich. Wie sagte er im „Zeit“-Interview? „Ich möchte so lange wie möglich leben, weil mich das Leben mit all seinen Komplikationen immer noch ungeheuer amüsiert.“
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