Nachgefragt: „Comics sind immer ein Spiegel des Zeitgeistes“
Lustobjekte oder emanzipierte Kämpferinnen? Panini-Sprecher Steffen Volkmer über das Frauenbild im Superhelden-Comic.
Steffen Volkmer ist Redakteur und Sprecher des Panini-Verlages, bei dem die meisten Superhelden-Comics auf Deutsch erscheinen. Wir fragten ihn anlässlich des Neustarts mehrerer DC-Serien mit Comic-Heldinnen zum Wandel des Frauenbildes in diesem nach wie vor männlich dominierten Genre.
Tagesspiegel: Welches sind die wichtigsten aktuellen Trends bei der Darstellung weiblicher Heldenfiguren im Mainstream-Comic?
Steffen Volkmer: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es da wirklich einen klaren Trend gibt. Vor allem Superheldinnen werden derzeit aber als (nicht nur physisch) starke Frauen dargestellt, die sehr individuell und selbstbestimmt sind. Sie leben ihre Leben und lassen sich da wenig hineinreden und schon gar nicht von Männern.
Wieweit trifft die Beobachtung zu, dass es aktuell einerseits eine Tendenz gibt, diese Figuren noch mehr als Lustobjekt und Projektionsfläche für männliche Sex- und Gewaltfantasien zu präsentieren (z.B. Catwoman), während sie andererseits auch selbstbewusster und emanzipierter auftreten (z.B. Batwoman)?
Ehrlich sehe ich nicht, dass die Figuren da mehr männliche Sexfantasien bedienen als früher. Comics sind immer ein Spiegel des Zeitgeistes. Und ein Zeichen unserer Zeit ist, dass offener über alle möglichen Themen geredet wird und es weniger Tabus gibt. Die Comics bedienen sich dieser Freiheit, um auch die Heldinnen in facettenreicher darzustellen. Die Heldinnen dürfen also Vorlieben und sexuelle Präferenzen haben und zu dem stehen, was sie sind. Wenn man dagegen zum Beispiel die Figuren der späten 1980er und 1990er Jahre anschaut, waren die sicher wesentlich mehr Projektionsfläche, weil sie als Charaktere eindimensionaler und weniger selbstbestimmt waren. Dabei darf man nicht vergessen, dass man heute in der Comic-Industrie auch viel mehr Frauen hat, die an dem Figurendesign mitarbeiten und wir besonders in den letzten Jahren auch mehr Leserinnen in dem Heldenbereich zu verzeichnen haben, die sich auch durch die Charaktere vertreten sehen wollen. Eine gewisse Optik ist allerdings durch die gesellschaftliche Normierung vorgegeben: Dem sportlichen, modischen, gut aussehenden und intelligenten Frauentyp, den man auch in TV und Kino präsentiert bekommt, nimmt man die Heldin auch im Comic ab - auch das ist eine Zeitgeistsache und keine überzogene Sexualisierung.
Wieweit hängt es von einzelnen Autor/innen und Zeichner/innen ab, wie sexistisch bzw. emanzipiert Superheldinnen im Verlauf ihrer Geschichte dargestellt werden?
Jedes Kreativteam hat natürlich gewisse Vorgaben, aber heute werden sie ansonsten an der langen Leine geführt, um die Storys so interessant wie möglich zu gestalten. Dabei legen die Autoren fest, wie sich ein Charakter darstellt, die Zeichner geben dem dann Gesicht und Körper nach ihrem Gusto. Die Kreativen tragen also einen Hauptteil an der letztlichen Darstellung von zum Beispiel Superheldinnen, aber sie bewegen sich trotzdem, zumindest bei den großen Verlagen, in definierten Grenzen.
Welche prominenteren Autor/innen und Zeichner/innen wären hier zu nennen, deren Figuren emanzipierter und selbstbewusster auftreten, bei welchen überwiegt der Hang zu halbnackten Projektionsfläche männlicher Sexfantasien?
Eigentlich denke ich, dass das zum letzten Mal in den 1990er Jahren mit Jim Balents Catwoman so pauschal zu sagen war. Er war bekannt für seine opulenten Frauenformen und machte eine Catwoman-Reihe, die ihren Erfolg vor allem diesem Zeichenstil verdankt. Bei den aktuellen Zeichnern sehe ich eigentlich nicht, dass man da Schubladenregister ziehen kann.
Welche Heldinnen sind (kommerziell) populärer, welche weniger?
Am beliebtesten und damit am erfolgreichsten sind tatsächlich die Heldinnen, deren Privatleben am interessantesten ist. Da kommt stärker als bei den männlichen Cape-Trägern der „Soap“-Charakter zum Tragen.
Welche Erkenntnisse gibt es darüber, wer Heldinnen-Comics liest - und wie groß der Anteil von Leserinnen ist?
Die Erkenntnisse sind eher vage. Klar ist, dass in den letzten Jahren mehr Leserinnen als früher sich den Helden zugewendet haben. Sie verteilen sich aber soweit das bekannt ist gleichmäßig auf Helden und Heldinnen. Das Hauptklientel der Heldenleserschaft ist, dem Comicgenre (mit Ausnahme der Manga) typisch, männlich. Und allgemein sind die Helden-Reihen beliebter als die Reihen mit Heldinnen.
(Die Fragen stellte Lars von Törne per E-Mail)
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