Super Seele: C/O Galerie feiert den Fotografen Peter Lindbergh
Peter Lindbergh macht in seinen Berlin-Fotografien, die 2009 zum Jubiläum des Mauerfalls in der deutschen „Vogue“ erschienen, die ganze Stadt zum Underground.
Fuckin’ Berlin: verschlissene Wände aus Beton, graue Luft und eine schlecht gelaunte Punkette in zerfetzten Strumpfhosen. Dazu ein bisschen Cabaret und Achtziger-Jahre-Schick. Peter Lindbergh macht in seinen Berlin-Fotografien, die 2009 zum Jubiläum des Mauerfalls in der deutschen „Vogue“ erschienen, die ganze Stadt zum Underground.
Die Kulisse ist echt, die Frau mit struppiger Frisur in Wahrheit Veruschka von Lehndorff. Das legendäre Model der siebziger Jahre huscht mehrfach durch die Settings des Superfotografen, dessen Ausstellung „On Street“ heute Abend bei C/O Berlin eröffnet. Berühmt wurde Lindbergh allerdings mit anderen Aufnahmen: ikonische Porträts von Naomi Campbell, Kate Moss, Linda Evangelista oder Tatjana Patitz. Sie personalisierten in den neunziger Jahren das anonyme Mannequin.
Zwei Pirellli-Kalender, um deren Gestaltung der Fotograf 1996 und 2002 gebeten wurde, zeigen die ästhetischen Körperbilder, die man von dem 1944 Geborenen weltweit kennt. Dass Lindbergh als Peter Brodbeck zur Welt kam und seine Kindheit in Duisburg verbrachte, wissen nur wenige. Dass er in den fünfziger Jahren eine Lehre zum Schaufenstergestalter in einem Kaufhaus am Neuköllner Herrmannplatz absolvierte, steht nicht einmal in seiner eigenen Biografie.
Dieser dünne Draht ist nie gerissen. Seit den Achtzigern reist Lindbergh immer wieder von Paris nach Berlin und nimmt hier fotografische Proben. Schnelle Schüsse aus dem Auto gehören ebenso dazu wie ein Panorama vom Alexanderplatz, in das sich von rechts das Gesicht des Künstlers Andreas Gursky schiebt. Lindbergh zehrt von der Expressivität der Stadt, und so reihten sich vergangenes Jahr in der „Vogue“ auch nicht nur Kleider und Mäntel aneinander. Die Modestrecke war durchsetzt mit dokumentarischen Ansichten.
Das Zwittrige dieser Serie ist noch jetzt bei C/O Berlin spürbar. Als Kurator des Hauses hat Felix Hoffmann sie ins Zentrum einer Ausstellung gerückt, die mit insgesamt 120 überwiegend Schwarz-Weiß-Aufnahmen im Großformat beides will: sowohl Lindberghs freie fotografische Arbeit zeigen, als auch die Lust des Publikums auf schöne Frauen stillen. Im oberen Stockwerk zeigt Foto-Experte Klaus Honnef, wie man den klassischen Lindbergh kennt. Kate Moss in Latzhose, die Modeaufnahmen für das Avantgarde-Label commes des garcons von 1984, Bilder für „Vanity Fair“ und „Harper’s Bazaar“ oder Christy Turlington so nah und frontal, dass man jede Sommersprosse in ihrem Gesicht sehen kann. Den „Schutzraum verlassen“ nennt der Fotograf seine Strategie, alles Professionelle erst einmal zu verbannen. Wie Richard Avedon wählt er für Modeaufnahmen die Straße und lässt sich auf unkontrollierbare Situationen ein. Vor allem aber zwingt er seinen Models das starre Lächeln und all jene eingefrorenen Gesten der Branche ab, die einem „treffenden Porträt“ im Weg stehen.
Übrig bleibt jene kühle Sinnlichkeit, die charakteristisch für seine Arbeit ist. Ein Selbstbewusstsein, dass selbst Frauen ohne Kleider nicht nackt wirken lässt. Und ein Moment von Intimität, der tiefe Blicke erlaubt – nicht ins Dekolleté, sondern in die Seele. So wie bei Jeanne Moreau, die Lindbergh 2003 als alternde Diva festhielt. Geschminkt, blondiert und dennoch von durchscheinender Anziehungskraft. Wie viel Respekt Lindbergh nicht nur Frauen mit Gardemaß entgegenbringt, demonstriert jene Szene, die 1990 für die italienische „Vogue“ entstand: Das Model Helena Christensen trifft auf die kleinwüchsige Stuntfrau Debbie Lee Carrington im Astronautenkostüm, und man weiß nicht genau, wer in Lindberghs Augen hier eigentlich die Hauptrolle spielt.
C/O Berlin im Postfuhramt, Oranienburger Str. 35/36, bis 9. 1. 2010, tgl. 11 - 20 Uhr.