Kultur: Club der jungen Dichter
„Südstimmen“: Zum Abschluss des Berliner Poesiefestivals treten Lyriker aus Lateinamerika auf
Südlich vom Äquator schimmert die Mondsichel spiegelverkehrt. Was tut sich dort in der Lyrik? Zu seiner letzten Lesung lud das Berliner Poesiefestival drei junge Dichter aus Brasilien und Argentinien in die Kulturbrauerei: „Südstimmen“ – allerdings mit Migrationshintergrund, denn die schreibenden Mittdreißiger leben derzeit in Helsinki, Barcelona und Berlin. Gleichzeitig sind sie Szenegänger der florierenden jungen Poesiefestivals in Lateinamerika, wo sie ihre Texte vorlesen und – neues Wort! – performieren.
So trägt der Brasilianer Ricardo Domeneck seine Gedichte nicht nur in atemlosem Stakkato vor, sondern bebildert sie auch. Videokunst im Dienst der Lyrik gibt es gleich mehrfach an diesem Abend. Leider zeigt sich der Poesiefilm hier entweder als allzu enthusiastisches Spiel an den Effektreglern des Schnittprogramms oder aber als kryptisches, ziemlich blutleer inszeniertes Könnenwollen. Der jüngst auf dem Poesiefestival von Medellín ausgezeichnete Argentinier Cristian De Nápoli verzichtet auf mediale Unterstützung, liest seine klaren, prosaischen Texte ausdrucksstark vor und scherzt intelligent mit dem Publikum. De Nápoli, der gerne gegen die multimediale Aura der ultramodernen Lyrik ins Feld zieht, ist in seinem Element. Denn an anderer Stelle berichtet er davon, dass die Weblogs der Dichter in Buenos Aires längst die Poesiezeitschriften verdrängt hätten, bezeichnet diese Blogs jedoch als Hort narzisstischer Trägheit – und zwar ausgerechnet in einem eigenen Blog, den De Nápoli sich auf poesia.com eingerichtet hat.
Aníbal Cristobo, ebenfalls aus Buenos Aires, versucht es mit einem anderen Medium: Seinen vom Katastrophenkino inspirierten, mit fantastischem Getier aus der Wüste oder der Tiefsee beseelten Gedichten steuert er sphärische Sounddesigns bei. Und die Lesung wird zur Collage aus leisen Sprachclustern und Chillout. Die getragenen Deklamationen eines Pablo Neruda oder Ernesto Cardenal sind längst passé. Das Pathos der alten Generation hat sich verflüchtigt: Willkommen beim Clubbing der jungen Dichter.
Und das besondere Merkmal der Stimmen aus dem Süden? Ricardo Domenecks Gedicht „Immerzu Exil“ gibt zumindest einen vagen Hinweis darauf. Zeigt es sich doch überrascht davon, „dass Sprachwechsel/ begleitet wird von der fortwährenden/ Produktion des/ selben Speichels“. Roman Rhode
Roman Rhode
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