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Swetlana Alexijewitsch
© dpa

Friedenspreis für Swetlana Alexijewitsch: Chronistin der Diktatur

Wo sie herkommt, gehört Missachtung des freien Wortes zur Staatsräson. Jetzt erhält die Weissrussin Swetlana Alexijewitsch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Wie leben Autoren in einem Land, dessen Präsident Alexander Lukaschenko die eigene Sprache, das Belarussische, als minderwertig betrachtet und Lesungen auf Weißrussisch durch Provokateure stören lässt? Wie leben sie in einem Land, bei dem der Auftritt einer Schweizer Dichterin schon mal durch ohrenbetäubendes Getrampel von Holzpantinen gestört werden kann? Kurzfristig hatten die Behörden die Probe einer Volkstanzgruppe angeordnet, im Saal über der Lesung.

Die Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch kann solche Fragen beantworten. Die in ihrer Heimat Weißrussland zur Staatsräson gehörende Missachtung des freien Worts erlebt sie seit 1994 am eigenen Leib. Seitdem ist keines ihrer in 28 Sprachen übersetzten, vielfach ausgezeichneten Werke in Belarus erschienen.

1948 im ukrainischen Iwano-Frankiwsk geboren, absolvierte sie ein Journalistikstudium in Minsk, arbeitete für eine Lokalzeitung und als Lehrerin. Die journalistische Herangehensweise, basierend auf Interviews, prägt auch ihr dokumentarisches Prosawerk, von dem „Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft“ (1997) hierzulande am bekanntesten ist. Ein „Roman in Stimmen“, der aus Gesprächen mit Überlebenden der Reaktorkatastrophe vom 26. April 1986 hervorging, jenem GAU, der das Ende der Sowjetunion nach sich zog. Ein Jahr vor Tschernobyl hatte sie mit „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ debütiert, für den sie Veteraninnen der Roten Armee befragte. Wegen „Zinkjungen“ über das Schicksal der in Afghanistan gefallenen russischen Rekruten, deren Leichen in Zinksärgen überführt wurden, stand sie wegen „Besudelung der Soldatenehre“ mehrfach vor Gericht.

Das Writers-in-Exile-Programm des PEN führte Swetlana Alexijewitsch 2008 für zwei Jahre nach Berlin. Zurück in Minsk, widmete sie sich den umfangreichen Recherchen für ihr großes neues Werk „Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus“, das Ende August in der Übersetzung von GannaMaria Braungardt bei Hanser erscheint – die Fortsetzung ihrer bravourösen Geschichte des „Roten Menschen“.

Am 13. Oktober wird Swetlana Alexijewitsch nun in Frankfurt/M. mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die mit 25 000 Euro dotierte Ehrung geht damit erneut an einen in der Heimat verfolgten Autor, nach dem Chinesen Liao Yiwu 2012 und dem Algerier Boualem Sansal 2011. Am 10. September ist Alexijewitsch, die 1998 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhielt, beim Internationalen Literaturfestival in Berlin zu erleben. Ihre langjährige deutsche Verlegerin Elisabeth Ruge freut sich für die Autorin, die mit ihrem „besonderen Talent, Menschen zuzuhören und ihre Stimmen auch literarisch zum Tragen zu bringen, mit großer Beharrlichkeit dem Menschlichen einen Resonanzraum eröffnet“.

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