Das halbe Exil: Chinesischer Star-Künstler weicht nach Berlin aus
In den ehemaligen AEG-Fabrikhallen Oberschöneweide will sich der chinesische Star-Künstler Ai Weiwei ein Studio einrichten - ein Ausweichquartier, denn er flieht vor wachsender Unterdrückung aus Shanghai.
Sowas "klärt auf", wenn auch anders als vorgesehen. Ausgerechnet in den Countdown drei Tage vor Eröffnung der großen Gemeinschaftsausstellung Berliner, Dresdner und Münchner Staatlicher Museen über die „Kunst der Aufklärung“ in Peking platzt die Nachricht vom geplanten Umzug des wichtigsten chinesischen Künstlers nach Berlin. Ai Weiwei, der seit seiner Documenta-Teilnahme 2007 als Star-Künstler gilt, will in den ehemaligen AEG-Fabrikhallen Oberschöneweide ein Studio betreiben und von dort aus neben dem Pekinger Atelier seine westlichen Ausstellungsprojekte vorbereiten. Ironie der Geschichte: Da schicken sich die deutschen Sammlungen an, 600 Exponate zur Eröffnung des Pekinger Nationalmuseums in die Volksrepublik zu exportieren – und prompt sucht der bekannteste Künstler Chinas sich wegen wachsender Unterdrückung hierzulande ein Ausweichquartier.
Im Gespräch mit dem Tagesspiegel erklärt der 52-Jährige, er setze zwar große Erwartungen in die Ausstellung, den aufklärerischen Einfluss für die chinesische Gesellschaft halte er gleichwohl eher für gering – schließlich könnten die Medien nicht frei berichten. „Wir müssen erst noch eine Zivilgesellschaft werden,“ sagt Ai Weiwei, der stets die Unfreiheit seines Landes angeprangert hat. Er selbst bekam Repressionen brutal zu spüren und wurde in seiner Arbeit behindert. „In Peking droht mir Ärger,“ weiß er und baut sich deshalb Berlin als Fluchtpunkt auf.
Als global player der Kunst hat er sich immer schon zwischen Ost und West bewegt. Bis 1993 lebte der Sohn des verfemten chinesischen Dichters Ai Qing in New York, kehrte aber wegen der Erkrankung seines Vaters nach Peking zurück und geriet schon wenig später durch Veröffentlichung regimekritischer Texte in Konflikt mit dem System. In seinen Installationen setzt er sich stets mit den Kulturzerstörungen seines Landes auseinander. Bei der Documenta etwa baute er einen Turm aus Türen alter Holzhäuser, die Neubauten weichen mussten. Gegenwärtig ist in der Turbinenhalle der Tate Modern in London sein gestreuter Teppich aus Abermillionen porzellanener Sonnenblumenkerne zu sehen.
Solche Großprojekte will der Künstler künftig von Berlin aus dirigieren. Seit Zerstörung seines Studios in Shanghai dieses Jahres ist Ai Weiwei, wie er im Gespräch bekennt, um seine Sicherheit besorgt. Ende vergangenen Jahres war das Atelier abgerissen worden, angeblich weil ihm die Baugenehmigung fehlte. Gleichwohl hatten ihn zwei Jahre zuvor hohe Stadtfunktionäre gebeten, sich im neuen Künstlerviertel niederzulassen. Den Abschied aus Shanghai wollte der Konzeptkünstler mit einem „Flusskrebs-Fest“ feiern – in Anspielung auf das von den chinesischen Behörden gebrauchte Wort „harmonisieren“, das ähnlich klingt wie die chinesische Bezeichnung für das Schalentier. Ai Weiwei wurde jedoch unter Hausarrest gestellt.
Wenig später wurde ihm die Ausreise verwehrt – offenbar aus Angst, er könnte an der Verleihung des Friedensnobelpreises für den inhaftierten Bürgerrechtler Liu Xiaobao teilnehmen und öffentlichkeitswirksam die Missstände seines Landes anklagen. Was die Behörden nicht ahnen konnten: Ai Weiwei wollte sich in Berlin nach einem Atelier umschauen. Unter anderem stand auch die Druckereihalle des früheren Tagesspiegel-Areals an der Potsdamer Straße zur Wahl, von der er Fotos nach Peking geschickt bekam. Fündig wurde er im ehemaligen Kabelwerk Oberspree in Oberschöneweide, wo schon vor sechs Jahren ein Kunstzentrum mit Ateliers, Galerien, Ausstellungsräumen eingerichtet werden sollte. Damals fehlte es jedoch an Investoren.
Durch Ai Weiwei, der vier Hallen mit einer Gesamtgröße von 4800 Quadratmetern für mehrere Millionen Euro erwerben will, kommt erneut Bewegung in das Projekt. Der Galerist und Rechtsanwalt Sven Herrmann, dem das Gelände nach wie vor gehört, will die Gelder zur Verwirklichung seiner einstigen Idee vom Kunstzentrum reinvestieren. Damit scheint erneut die Logik westlichen Denkens auf die Kopf gestellt – schließlich wird auf diese Weise ein asiatischer Künstler zum Motor hiesigen Kunstgeschehens, und nicht umgekehrt.
In Berlin ist Ai Weiwei ohnehin kein Unbekannter mehr. Vor einem Jahr saß er mit Klaus Staeck in der Akademie der Künste auf dem Podium. Regelmäßig sind seine Arbeiten in der Galerie von Alexander Ochs zu sehen, der ihm auch bei der Ateliersuche half. Erst im Februar wurde Ai Weiweis „Teehaus“ dem Dahlemer Museum für Asiatische Kunst übergeben, das zuvor bei Ochs ausgestellt war. Das Berliner Sammlerpaar Si und Dieter Rosenkranz hatte sich ebenso für sein aus 3600 Kilo gepresstem Pu’er-Tee bestehendes Häuschen wie für die pulverisierten antiken Krüge in Glasflaschen begeistert. Direktor Klaas Ruitenbeek durfte aussuchen und entschied sich für die gestapelten Teeblöcke. Am 28. April kommt der Künstler zum Gallery-Weekend nach Berlin, um die Aufstellung seines Werkes zu begutachten.
Am darauf folgenden Tag ist in der Galerie Neugerriemschneider, mit der Ai Weiwei in Berlin künftig ebenfalls zusammenarbeitet, die Eröffnung seiner Ausstellung geplant, die sich mit dem chinesischen Landschaftsgarten beschäftigt. Neben Holz wird für die Installation erneut Porzellan eingesetzt, das wie bei den Londoner Sonnenblumenkernen in der chinesischen Stadt Jingdezhen, einem Manufakturstandort, hergestellt wird. Die Beziehung zu Neugerriemschneider bahnte sich schon 2010 an, als Ai Weiwei dort mit Arbeiten in der Gruppenausstellung „Lost and Found“ zu sehen war.
Womöglich stellte auch der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson, der ebenfalls in Berlin ein Atelier unterhält und von Neugerriemschneider vertreten wird, die Verbindung her. Als Grund für seine Entscheidung, nach Berlin zu gehen, nennt Ai Weiwei schließlich auch die Vitalität der Kunst-Community. Das ist asiatisch freundlich ausgedrückt: Denn es ist auch die Kunststadt Berlin, die durch Ai Weiweis Zuzug einigen Auftrieb erhält.