Peanuts: Charlie Brown – ein Kind wird 60
Ein Besuch in St. Paul, Minnesota – hier wuchs der „Peanuts“-Schöpfer Charles M. Schulz auf.
Das alte, rot-blau gestreifte Friseurschild hängt noch an der Wand. „Look Better, Feel Better“ steht drauf. Gleich daneben standen die Drehstühle für die Kunden, die sich hier in der North Snelling Avenue am Rand von St. Paul von Barbier Schulz die Haare stutzen ließen. Ein Foto an der Wand zeigt einen jungen, schlanken Mann auf einem der Stühle, stolz hält er einen Scheck in die Kamera: Die ersten Dollars, die Charles M. Schulz, der Sohn des Friseurs, 1950 im Alter von 27 mit seinem Comicstrip verdiente, dessen zeitlos philosophischer Witz bis heute weltweit verehrt wird.
60 Jahre ist es in diesem Herbst her, dass die ersten Folgen der „Peanuts“ in US-Zeitungen erschienen und zu einem der weltweit erfolgreichsten Comicstrips der Geschichte wurden. 2600 Zeitungen veröffentlichten in den besten Zeiten täglich eine neue Folge, rund 150 Millionen Leser erreichte Schulz so. Jetzt wird der bevorstehende Jahrestag in Deutschland mit einem Jubiläumsband gewürdigt.
„Schulz’ Kindheitserinnerungen sind der Stoff, aus dem die ‚Peanuts’ sind“
Es begann in diesem kastenförmigen, zweigeschossigen Backsteinhaus an einer unscheinbaren Kreuzung im mittleren Westen der USA. An der „Kreuzung seines Lebens“, wie es Schulz’ posthumer Biograf David Michaels in seinem voluminösen Werk „Schulz and Peanuts“ später formulierte, sammelte der Zeichner in den ersten Jahrzehnten seines Lebens die grundlegenden Ideen für seinen späteren Erfolg.
Hier amüsierte der von allen nur „Sparky“ gerufene, als schüchtern und zurückhaltend geltende Junge sich über den Hund der Familie, Spike, der Kunststücke wie das Klingeln an der Haustür beherrschte und später die Figur des antropomorphen Beagle Snoopy inspirieren sollte. Und hier sammelte der hoch intelligente Schulz beim Spiel mit Nachbarskindern und in der Schule ein paar Straßen weiter den Stoff für die vielschichtigen Alltagserlebnisse des ewig unverstandenen Charlie Brown und seiner Altersgenossen, die er bis zu seinem Tod vor zehn Jahren täglich zeichnete.
„Schulz’ Kindheitserinnerungen sind der Stoff, aus dem die ‚Peanuts’ sind“, schreibt der Comicexperte Andreas C. Knigge in seinem jetzt bei Carlsen erschienenen, opulent illustrierten Jubiläumsband „Das große Peanuts-Buch“. Glücklich waren wohl die wenigsten dieser Erinnerungen. Schulz’ Kindheit war vielmehr „geprägt vom Gefühl der Einsamkeit und des Unverstandenseins, der Minderwertigkeit und Zurückweisung“, schreibt Knigge. „Es sind die eigenen Hemmungen und Malaisen, von denen er in seinem Strip erzählt.“
Wenn Charlie Brown von seinen vermeintlichen Freunden ausgelacht wird, wenn Lucy ihn immer wieder beim Football auflaufen lässt, wenn er und die anderen Kinder sich über den fragwürdigen Sinn des Lebens unterhalten – hier liegen die Wurzeln jener traurigen Weisheit, die den Strip erfüllte. „Die Poesie der Peanuts“, so schreibt Umberto Eco in einem Aufsatz über Schulz’ Werk, „entsteht daraus, dass wir in dem Verhalten der Kindergestalten die Nöte und Sorgen der Erwachsenen wiederfinden“.
Beim Besuch in Schulz’ Geburtshaus, in dem seine Eltern bis in die 60er Jahre lebten, erinnert an den später so berühmten Bewohner heute nur noch ein Eckchen. Die alte Kneipe, die zu Schulz’ Zeiten nur einen Teil des Erdgeschosses ausfüllte, hat sich ausgebreitet. Der Friseursalon von Schulz senior wurde in späteren Jahren einfach in „O’Gara’s Bar & Grill“ integriert. Und die Wohnung der Familie Schulz im ersten Stock hat so oft die Mieter gewechselt, dass sich von den Menschen, die heute hier wohnen, niemand an die alten Zeiten erinnert.
Immerhin: Ein paar Fotos und ein wertvolles Originalbild an der Wand der Bar ehren das Andenken der früheren Bewohner: Ein zittrig gezeichneter Snoopy auf einem Friseurstuhl sitzend, dazu eine Widmung für den früheren Barbesitzer: „In memory of the old days, Schulz“. Daneben ein Bild des alten Zeichners, der Ende der 50er Jahre mit steigendem Wohlstand nach Kalifornien gezogen war und Mitte der 90er Jahre als grauhaariger Mann noch einmal bei den früheren Nachbarn vorbeischaute. Darunter eine Urkunde des Bürgermeisters von St. Paul: Seit dem Jahr 2000 ist der 13. Februar in St. Paul offiziell „Charles M. Schulz Day“. An dem Tag erschien der letzte Strip der Reihe.
Schon als kleiner Junge schnitt Ralf König Schulz’ Strips aus der Zeitung aus
An den berühmtesten Sohn der kleinen Stadt erinnert im Zentrum von St. Paul auch ein Ensemble von Bronzefiguren: Charlie Brown mit Snoopy auf dem Schoß, die kratzbürstige Lucy andächtig ihrer großen Liebe Schroeder beim Klavierspiel lauschend, Linus und Sally beim Philosophieren über das Leben und die merkwürdigen Werte der Erwachsenen – Ikonen der Kulturgeschichte.
„So reich, so brillant, so wahr, so schräg, so liebenswert, komisch, vielfältig, so auf den Punkt, Punkt, Komma, Strich war noch kein Comicstrip zuvor und wird womöglich nie wieder einer sein“, schwärmt auch Ralf König, „Peanuts“-Fan seit Kindertagen und heute selbst einer der international wichtigsten Comic-Autoren und Zeichner. Schon als kleiner Junge schnitt König Schulz’ Strips aus der Zeitung aus und sammelte sie. „Sein Werk war prägend für mich und meinen zeichnerischen Werdegang“, stellt der Zeichner von Bestsellern wie „Der bewegte Mann“ fest.
Was König an den „Peanuts“ besonders bewundert? Schulz’ feines Gespür für Absurdes, sein Setzen von Pointen, sein Timing sowie „die leise Verzweiflung der Alltäglichkeit“. Dazu der feine Strich, mit dem Schulz jede noch so kleine Gefühlsregung seiner Figuren exakt vermitteln konnte – ein Einfluss, den König bis heute in seinen eigenen Bildern wiedererkennt.
Andreas C. Knigge (Hg.): Das große Peanuts-Buch, 370 Seiten, Carlsen, 29,90 Euro. Weitere Peanuts-Artikel im Tagesspiegel unter diesem Link. Ein Essay von Ralf König zur Bedeutung von Schulz steht unter diesem Link.
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