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Ihr Horizont, ihr Aufbruch würde ein gemeinsamer sein: Paul Cézanne (vorne) und Emile Zola (hinten).
© Prokino

Filmporträt einer großen Freundschaft: Cézanne und Zola

Die Revolution der Kunst würde auf ihre Namen hören: Der Film „Meine Zeit mit Cézanne“ erzählt von der Freundschaft des Malers mit Émile Zola.

Gewöhnlich genügt es, die erste Seite eines Buches zu lesen, und man weiß, ob man als sein Leser infrage kommt. Gewöhnlich genügt es, die erste halbe Stunde eines Films zu sehen ... Ich hatte mich auf „Meine Zeit mit Cézanne“ gefreut: Der Maler und sein Freund, der Schriftsteller, Cézanne und Zola. Zwei Künstler, die aus ihrem Jahrhundert weit hinüber zu uns blicken. Der eine erfand zudem mit seinem „J’accuse“ den Typus des modernen Intellektuellen als Gewissensträger, der andere erfand nicht zuletzt Picasso und die moderne Malerei, in dessen Worten ungefähr so: Er war der Meister, der uns alle schuf!

Und das Unwahrscheinliche dabei ist, derselbe kleine abgelegene Fleck Erde brachte sie beide hervor, und zwar gleichzeitig, als Freunde seit Kindheitstagen. Sollte eine solche Feinfühligkeit der Natur nicht einen Film wert sein?

Ihr Horizont, ihr Aufbruch würde ein gemeinsamer sein. Die Revolution der Kunst würde auf ihre Namen hören. Aber wenn wir eine gemeinsame, alles grundierende Kinderseligkeit begreifen sollen, verstimmt uns eines garantiert: ein Kinderseligkeitssoundtrack über ausgestellten Kinderseligkeiten. Und zuvor schon betrachteten wir missmutig all die Stillleben aus Paletten, ausgedrückten Tuben und angebissenen Salamis. Ambiente! Ein Zola-Cézanne-Film, auf den Grundton der Sentimentalität gestimmt, mit viel Ambiente und unzähligen Damenschirmen. Zuerst muss man dem 19. Jahrhundert im Kino seine Schirmchen wegnehmen!

Und die Musik? Man ist versucht, „Meine Zeit mit Cézanne“ ohne Ton zu sehen. Aber das ist schwierig, denn es wird sehr viel geredet in diesem Film. Zola redete zwar nur in seinen Büchern viel und Cézanne war ein großer Schweiger. Hat ein Film nicht die Pflicht, dem Temperament seiner Helden treu zu bleiben? Der wahre Künstler schweigt.

Und nun? Haben wir uns genug geärgert und sehen „Meine Zeit mit Cézanne“ noch einmal ganz von vorn. Die wahre Souveränität des Kritikers besteht vielleicht darin, zuzugeben, dass ein Film, den er eher nicht gut findet, schon ziemlich gut sein kann. Auch viel zu volle, viel zu bunte Oberflächen neigen mitunter zur Tiefe. Wie „Meine Zeit mit Cézanne“.

Und irgendwie sind beide, Guillaume Gallienne als Cézanne und Guilllaume Canet als Zola schon ziemlich gut in ihren Rollen. Der zurückhaltende Zola, der sich keiner Frau direkt nähern kann, und der in Paris verzweifelt auf den Freund Paul wartet. Als der provinzverwegene Cézanne kommt, wird Zola durch ihn in den Kreis der vom „Salon“ zurückgewiesenen Maler um Manet, Degas, Renoir eingeführt. Und Zola wird zum Anwalt der Abgelehnten, schreibt 1866 im „Evénement“ einen „Salon“-Bericht in Fortsetzungen, der schließlich wegen Entrüstung der Leser abgebrochen werden muss. Zola, der Erfolgsschriftsteller aus dem Geist der Kunstkritik ist geboren.

Eine Freundschaft, die den Egoismus übersteht

Cézanne, der Erfolgsmaler, aber ist eine Fata Morgana, über die er wohl selbst lachen müsste. Schließlich widmet Zola seine Schrift über die Modernen seinem Freund, aber er kommt nicht darin vor, dafür Manet, immer wieder Manet. Cézanne erträgt diesen Namen nicht mehr. Schlechtes Benehmen und Flegelei, zeigt Guillaume Gallienne, zählen zum Selbstschutz des Künstlers, und Cézanne führt einen Zweifrontenkrieg. Für den Fabrikantenvater ist er ebenso ein Versager wie für den Freund. Aus der Doppeleroberung der Welt ist ein Ein-Mann-Aufbruch geworden. Und doch ist diese Freundschaft stark genug, das zu überstehen, da ist eine Großzügigkeit von Anfang an – was ist Freundschaft anderes? – und diese Spannung trägt auch Danièle Thompsons Film. „Du bist meine Jugend, Paul. Ich begegne dir in jeder meiner Freuden, in jedem meiner Leiden“, sagt der introvertierte Zola. Cézanne geht es nicht anders.

Unangenehm wird es, wenn Autoren oder Regisseure ein Künstlerleben als bloße Vorlage für eigene Inspiration nehmen. Man könnte Thompson diesen Vorwurf machen. Von Beginn an zieht sich eine Begegnung Zolas und Cézannes im Jahr 1888 durch den Film. Dieses Treffen ist sein Flucht- als Konstruktionspunkt, doch es hat nie stattgefunden. Aber zu wissen, dass es fiktiv ist, heißt irgendwann dennoch zugeben, dass es dieses Porträt einer großen Freundschaft ins Gültige weitet – bewusst als Kontrast zur Wirklichkeit: 1886 hat Emile Zola innerhalb seines zehnbändigen Jahrhundertporträts „Die Rougon-Macquart. Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem Zweiten Kaiserreich“ das Buch „Das Werk“ vollendet. Es ist das Porträt eines gescheiterten Künstlers, der sich das Leben nimmt, es ist das Porträt des Freundes. Cézanne bedankt sich kühl für die fatale Post. Der Rest ist Schweigen, restlebenslang. Die erste Ahnung des Erfolgs liegt da noch vor ihm, ebenso wie das „J'accuse“ vor Zola.

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