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Kunst der sowjetischen Avantgarde: Bürgerstöchter an der Staffelei

Eine Ausstellung in Ludwigshafen zeigt Werke von Alexandra Exter und anderen.

Über den weiblichen Anteil an der bildenden Kunst wird seit Jahren gestritten, nicht frei von ideologischen Obertönen. Im Fall der russischen Avantgarde, die sich mit der Revolution von 1917 zur sowjetischen Moderne wandelte, liegen die Tatsachen klar zutage: Der Anteil von Künstlerinnen ist unbestritten – und bemerkenswert hoch.

Von der staatlichen Tretjakow-Galerie in Moskau kommt die Mehrzahl der Werke, die das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen jetzt in der Ausstellung „Schwestern der Revolution. Künstlerinnen der russischen Avantgarde“ versammelt. An höchst geeignetem Ort: Das Haus besitzt nächst dem Kölner Museum Ludwig die größte Sammlung russischer Moderne in Deutschland.

Vor 13 Jahren stellte die Deutsche Guggenheim Berlin sechs „Amazonen der Avantgarde“ vor. In Russland wurden die zahlreichen Revolutionärinnen aller Couleur als Amazonen bezeichnet. In Sachen Kunst aber führt der Begriff in die Irre, denn wenn etwas die Künstlerinnen als Gruppe kennzeichnet, so sind es ihre großen Unterschiede im Lebensweg und vor allem ihre enorme kreative Vielfalt. Gegenüber der Berliner Ausstellung geht Ludwigshafen insofern einen Schritt weiter, als man nun bislang unbeachtete Protagonistinnen einbezieht – etwa Alexandra Exter, Natalja Gontscharowa, Ljubow Popowa, Olga Rosanowa, Warwara Stepanowa und Nadeschda Udalzowa. Und im Katalog der „Ersten Russischen Kunstausstellung“ – 1922 in der Berliner Galerie van Diemen – finden sich sogar elf Künstlerinnen, von denen sechs auch in Ludwigshafen nicht berücksichtigt wurden. Es gibt also noch Forschungsbedarf.

So sehr die Oktoberrevolution von 1917 als Katalysator kultureller Entwicklungen begriffen werden muss, fällt das zeitliche Auseinanderklaffen zu den künstlerischen Neuerungen bei den malenden Bürgertöchtern besonders ins Auge. Die russischen Akademien ließen lange vor den westeuropäischen Institutionen weibliche Bewerber gleichberechtigt zu. So waren Exter (1882–1949), Gontscharowa (1881–1962) und Popowa (1889–1924) durch Studium und Reisen bereits mit allen „Ismen“ der westlichen Welt vertraut, als sie sich um eine spezifisch russische Kunst bemühten. Als die 1886 geborene Olga Rosanowa 1918 an Diphterie verstarb, gab ihr ein von Kasimir Malewitsch mit der Fahne eines „Weißen Quadrats auf Schwarz“ angeführter Trauerzug das letzte Geleit. In Ludwigshafen wird auch Malewitschs Begleiterin seiner letzten Lebensjahre, Anna Leporskaja (1900–1982), vorgestellt, deren Gemälde der frühen 1930er Jahre – kurz vor der Verfemung der Avantgarde im Stalinismus – eine figurative Malerei jenseits des parteioffiziellen Schwulsts suchen. Tragisch das Schicksal der 1897 geborenen Marija Ender, die als Künstlerin und Wissenschaftlerin tätig war und 1942 starb, vermutlich verhungert im fürchterlichen Blockadewinter Leningrads.

Die Hinwendung zur Gestaltung, insbesondere zum Stoffdesign, wird in Ludwigshafen anhand gewebter Stoffentwürfe von Ljubow Popowa und Warwara Stepanowa (1894–1958) gezeigt, die sich 1923/24 einen echten Wettstreit lieferten. Doch die Vermutung, da seien die Frauen wieder auf „weibliche“ Bezirke beschränkt, trifft nur teilweise zu: „Produktionskunst“ war angesagt, und gerade Stepanowa, mit Alexander Rodtschenko künstlerisch jahrzehntelang verbunden, lehnte die „freie“ Kunst als unnütz ab. Sie lehrte wie ihr Mann an den „Höheren Künstlerisch-Technischen Werkstätten“, dem sowjetischen Pendant zum Bauhaus.

Etliche der Leihgaben aus der Tretjakow-Galerie wurden dem Museum zugewiesen, als ihr ursprüngliches Zuhause, das Museum für Malerische Kultur, Ende 1928 aufgelöst wurde. Die Leitung dieses Moskauer Museums lag zu Beginn in den Händen von Alexander Drewin, 1938 im Zuge des Großen Terrors erschossen. Nachfolgende Museumsleiter waren Kandinsky und Rodtschenko. Gar so gleichberechtigt war die Sowjetzeit denn doch nicht. Bernhard Schulz

Bis 17. Februar, Ludwigshafen, WilhelmHack-Museum. Katalog 29 €.

Bernhard Schulz

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