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Herheim
© Doris Spiekermann-Klaas

Herheim-Interview: Lohengrin im Opernkrieg

Vor der Staatsopern-Premiere: Stefan Herheim spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über seine Wagner-Inszenierung und Brabant in Berlin.

Herr Herheim, nach Ihrer Inszenierung von Verdis „Macht des Schicksals“ 2005 wollten Sie nie wieder an der Staatsoper inszenieren. Nun machen Sie „Lohengrin“.



Tja, dass ich hier wieder arbeite, liegt daran, dass Barenboim damals sagte: Entweder „Lohengrin“ mit Herheim oder gar kein „Lohengrin“. Und dass er dem Haus die Zeit gegeben hat, um all das zu verbessern, was ich damals kritisiert hatte.

Und: Ist es jetzt besser geworden?

Personaltechnisch gab es Fortschritte. Die Staatsoper hat ein enormes Potenzial, aber die Planung macht es einem nach wie vor schwer, es gezielt in der künstlerischen Arbeit freizusetzen. Dass so viel Kraft in die Schadensbegrenzung des täglichen Betriebs fließt, macht mich oft wütend und traurig, denn gerade das schafft den Nährboden für eine Haltung, die in der ganzen Opernwelt um sich greift. Es geht um die großen Namen auf dem Plakat, nicht um das Mitwirken jedes Einzelnen, das Einswerden von Musik und Theater. Warum man welche Inhalte spielt und was man mit Oper überhaupt erreichen will, darf kaum gefragt werden.

Also gut: Warum „Lohengrin“?

Weil dieses Werk unsere Befindlichkeit im Umgang mit der eigenen, systembedingten Unzulänglichkeit reflektiert. Nehmen Sie die Finanzkrise: Ob das Heilsversprechen das große Aktiengeld oder ein Schwanenritter ist, ist letztlich gleichgültig. Menschen wollen die bequemste Lösung und geben sich in der Krise mit der trügerischen Ruhe einer scheinbaren Stabilisierung zufrieden. Die große Oper mit ihren Verführungstricks kann auch als Besänftigungsmaßnahme ausgeübt werden – Wagners „Lohengrin“ eignet sich perfekt dafür. Damit das Publikum dem Opernzauber nun aber nicht blind erliegt und im irisierenden Farbtopf ertrinkt, müssen die Fäden gezeigt werden, an denen das „zum Vergehen Schöne“ hängt.

Das bedeutet, dass Wagner und Co. wieder auf der Bühne mit im Spiel sind?

Im Bayreuther „Parsifal“ ließ ich Wagner unsichtbar in seinem Grab ruhen – im Souffleurkasten, aus dem er den Sängern sein Werk quasi zutextete. Wagners Bühnenweihfestspiel sollte als Totenfeier eines unterschiedlichst am Leben gehaltenen Geistes in Wahnfried und um Bayreuth herum suggeriert werden. Auch für „Lohengrin“ habe ich mit demselben Regieteam für die Haupthandlung nach einem realen Ort für den Konflikt politischer und gesellschaftlicher Spaltung gesucht. Die kritische Lage, in der sich das brabantische Volk sieht, ist für mich mit der Situation der Kulturarbeiter zu vergleichen, die sich schon lange im Berliner Opernkrieg befinden. Auch unter dem Dach der Opernstiftung herrscht absolute Zwietracht mit willkürlich herrschenden Kulturpolitikern an der Spitze.

Und eine Erlösung ist nicht in Sicht…

Das hat zuletzt die große Operndiskussion im Radialsystem gezeigt: Nichts wird sich ändern, weil jeder hier eine geradezu panische Angst davor hat, dass sich etwas ändern könnte! Dabei muss es doch erlaubt sein zu fragen, ob die gegenwärtige Organisationsform der Oper in Berlin tatsächlich die beste ist. Zumal jeder weiß, dass nach 2013 ein Haus geschlossen wird, wenn es so weitergeht. Stattdessen verbietet man sich Fragen, die längst hätten gestellt werden müssen. Zum Beispiel zur Fusion der beiden großen Häuser, wie sie Gérard Mortier vorgeschlagen hat. Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt, wundere mich aber über die fehlende interne Kompetenz und ausbleibende politische Bereitschaft, etwas dagegenzusetzen.

Auch im „Lohengrin“ heißt es ja: „Nie sollst Du mich befragen.“ Vielleicht, weil der Schwanenritter keine Antwort weiß?

Lohengrin weiß sehr wohl, dass er mit der Antwort auf die verbotene Frage die Unzulänglichkeit aller Beteiligten – auch seine eigene – in der Konfrontation mit der Realität preisgibt. Man könnte statt seiner auch einen Zauberbesen hinstellen, der den ganzen Schmutz unter den Teppich kehrt. Damit man dieser Methode Glauben schenkt, muss die Idee von Reinheit kräftig gescheuert und verklärt werden. Dieses potenziell faschistoide Prinzip Wagners strahlt nirgends so extrem wie im „Lohengrin“.

Sie finden in Wagners Werk „in seiner produktiven Mischung aus Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex das Deutschtum par excellence“. Gilt das auch noch für die Deutschen des 21. Jahrhunderts?

Wenn es überhaupt noch gilt, dann keineswegs ausschließlich für das Deutschtum. Zur Bestätigung ihrer Souveränität haben Deutsche extreme Feindbilder benötigt und fatalsten Heilsversprechen Glauben geschenkt. Solche Mechanismen wirken aber überall zu unterschiedlichen Zeiten auf der Welt. „Ob Ost, ob West? Das gelte Allen gleich!“ – um mit Wagner zu sprechen, dessen Werk ja heute jenseits politischer Gesinnung und Geschichte an Menschen auf der ganzen Welt appelliert.

Im „Lohengrin“ ist das Feindbild ziemlich klar: Ortrud, die selbstbewusste Frau.

Eine entmachtete Außenseiterin, die die Machtstrukturen durchschaut und rachsüchtig benutzt, um die Macht wieder an sich zu reißen. Ortrud muss verteufelt werden, damit die Verherrlichung der reingeistigen Macht, sprich: Wagners künstlerische Potenz, im Kollektiv greift. Denn hinter Lohengrin versteckt sich die selbstverschuldete Unmündigkeit der Menschen, die sich seiner herrlichen Erscheinung ebenso wenig entziehen können, wie sie seine göttliche Art verstehen. Entsprechend sehnt sich Lohengrin danach, aus der Not seiner isolierten Numinosität befreit zu werden und unter Menschen zu sein, die ihn unbedingt lieben. Auch er unterliegt einem Gesetz, das Kadavergehorsam fordert. Deswegen muss er Elsa das Frageverbot auferlegen. „Lohengrin“ drückte Wagner zeit seines Lebens wie ein zu enger Schuh.

Wie der Sex, der bei Wagner immer als etwas Schlimmes gilt?

Dafür ist seine Musik so sinnlich suggestiv, dass sie die ganze im Text unterdrückte Sexualität verrät. Die sexuelle Regression, die sich hinter der Erhabenheit in „Lohengrin“ versteckt, und das zutiefst Infame, mit dem Wagner hier das Böse ausstattet, liest sich fast peinlich freudianisch. Ich möchte heute keinen „Lohengrin“ sehen, in dem ich weinend nicht auch lachen kann. Das meine ich aber keineswegs zynisch, denn die Handlung ist großartig konstruiert und fast grausam schön komponiert.

Ist denn angesichts der Vielschichtigkeit, die Sie in diesen Opern ausmachen, eine erzählerische Kontinuität überhaupt noch notwendig?

Selbstverständlich! Aber wenn man einmal erkannt hat, dass Oper insofern keine Linearität bietet, als die Musik viel mehr als der Text sagt, dann sieht man, dass die erzählerische Kontinuität sehr vielschichtig verlaufen muss. Ich halte mich für einen sehr genauen Regisseur, was die Musik angeht, und zeige tendenziell mehr, als viele Leute zu hören bereit sind. Wenn in der Oper immer wieder die Forderung nach Reduktion gestellt wird, geht das oft gegen den komplexen, theatralen Geist der Partitur.

Ihren Inszenierungen könnte man den Vorwurf der Publikumsverführung machen. Sie arbeiten ja gern mit allen Bühnentricks und zaubern immer wieder Überraschungstricks aus dem Hut.

Ich bin vom Virus der Oper infiziert und erliege immer wieder der irrationalen Empfindsamkeit, die die Musik bei mir auslöst. Außerdem ist da noch meine persönliche Eitelkeit: Natürlich macht es große Freude, das Publikum zu verblüffen, zu fesseln und sozusagen der allgewaltige Strippenzieher zu sein. Vielleicht mache ich das alles nur, um bewundert zu werden, wie Lohengrin...?

Fragen Sie sich das wirklich?

Lohengrin verlässt enttäuscht Brabant, in dem wieder alte Macht- und Kampfstrukturen herrschen. Ich hingegen hoffe wie Wagner, wie jeder Künstler, durch die Kunst-Erfahrung eine Facette im Bewusstsein des Publikums neu geschliffen zu haben, damit sich der nächste Lichtstrahl der Hoffnung anders bricht. Erleuchtung und (Ver-)Blendung liegen im „Lohengrin“ auf der Bühne und im Machtspiel der Oper als Institution verflixt dicht beieinander. Diese Lichtwirkung sinnlich infrage zu stellen bleibt die Aufgabe der Kunst.

Das Gespräch führte Jörg Königsdorf.

ZUR PERSON

Stefan Herheim führt Regie bei Wagners „Lohengrin“, mit dem die Staatsoper am Sonnabend ihre Festspiele (4.-12. April) eröffnet. In den Hauptrollen singen Kwangchul Youn, Klaus Florian Vogt, Dorothea Röschmann und Michaela Schuster, am Pult steht Daniel Barenboim.  Es ist nach „La forza del destino“ 2005 Herheims zweite Regie an der Lindenoper.

Der Regisseur, 1970 in Oslo geboren, wurde zunächst Cellist, begann in seiner norwegischen Heimatstadt mit ersten Inszenierungen und unternahm mit seiner Opern-Marionetten-Kompanie Gastspielreisen, bevor er 1994 bei Götz Friedrich in Hamburg Regie studierte. Seitdem ist der Wahlberliner an zahlreichen Bühnen in ganz Europa tätig.

Zu seinen wichtigsten Arbeiten zählen Bellinis „I Puritani“ in Essen, Uraufführungen für die Münchner Biennale sowie eine kontrovers diskutierte Entführung aus dem Serail für die Salzburger Festspiele. 2008 debütierte er bei den Bayreuther Festspielen mit einer NeuInterpretation des Parsifal. Dafür siedelte er das Bühnenweihfestspiel u. a. im Bayreuth der Nazizeit an.

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