Meistersinger in Bayreuth: Kunst kommt von Trotz
Buhs und Ahas in Bayreuth: Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung im dritten Jahr.
Zum ersten Mal in dieser neuen BayreuthÄra bebt die Wagnerseele. Der Schlussakkord zu Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung ist kaum verhallt, da schreit es wie aus einer Kehle „Buh“. Höchst gesittete Herrschaften formen beide Hände zum Schalltrichter, um die Laute des Ingrimms noch zu verstärken. Ein Ritual seit der Premiere 2007. Und ein Trost: Letztlich können dem Bayreuther Publikum sämtliche Neuerungen, Tarifverträge und Public Viewings gestohlen bleiben. Wenn’s drauf ankommt, gilt’s nur der Kunst respektive der Frage, was eine Interpretation kann, darf und soll.
Interpretation gleich Kunst? Diese Gleichung dürfte so unsinnig sein wie die zwischen Kunst und Geschmack. Katharina Wagner bringt die Leute auf die Palme, indem sie sich am Deutschtümlichen des Werks abarbeitet, dem Spießer-und-Denker-Pathos – und dies in eine galoppierend postmoderne Ästhetik kleidet (Bühne Tilo Steffens). Die Bildsprache ist grob und disparat, hier ein Klotz, da ein Keil, als spielte die Ikonografie des Abendlandes verrückt.
So sehr man sich über solchen Kunstsinn streiten kann, so viele Aha-Effekte stellen sich doch ein. In ihrem dritten Jahr läuft die Inszenierung besser geschmiert, Überflüssiges wurde gestrichen. Man nehme nur die Festwiese des dritten Akts, die eher einer schwarzen Messe und Walpurgisnacht gleicht, als dass sie traditioneller Zünftelei gerecht würde: der Chor auf einer Tribüne frontal zum Saal, die Meister in der ersten Reihe. Mal wird das Regietheater zugunsten eines goldenen Bambis verfeuert, mal Musikantenstadl gemimt, mal formt Beckmesser aus Lehm den neuen Menschen, einen Adam, der mit Äpfeln um sich wirft. Und zu Sachsens finalem „Verachtet mir die Meister nicht!“ fahren zwei riesige Bronze-Statuen aus dem Bühnenboden: Goethe und Schiller, die Meister aller Meister.
Das Konzept, dass Stolzing am Ende durch den Erfolg korrumpiert sei und Beckmesser (von Richard W. als JudenKarikatur angelegt) mit seiner Katzenmusik das einzig wahre Künstlertum symbolisiere, mag nicht recht einleuchten. Klar ist aber: Wurde Wolfgang Wagner für seine hausbackene Regiekost zeitlebens geschmäht und geliebt, so legt es Tochter Katharina aufs Gegenteil an. Eine Festspielleiterin als Regisseurin, die es mit der Kritik und mit den Lemuren in der Wagnerwelt aufnimmt – daran wird sich Bayreuth erst noch gewöhnen müssen.
Musikalisch präsentiert sich auch dieser zweite Festspielabend bedenklich gemischt. Gewiss, die Textverständlichkeit bei den Sängern gestaltet sich um Welten besser als bei der „Tristan“-Eröffnung, was nicht zuletzt am Konversationston in der Musik liegt, an den „Meistersingern“ als komödiantischer Oper. Zwei der drei Umbesetzungen enttäuschen im Premierenvergleich jedoch: Alan Titus als Sachs mit verschnupfter Tongebung und szenischen Halbherzigkeiten, und Michaela Kaune als Eva, weil sie zwar liebreizend spielt und artikuliert, den großen emotionalen Aufbruch stimmlich aber nicht leisten kann. Dafür ist Adrian Eröd ein fulminanter Beckmesser, und auch Klaus Florian Vogt hat einen strahlenden Stolzing-Tag: Selten hat man das Preislied so blitzblank poliert gehört.
Sebastian Weigle hingegen scheint im Graben partout nicht heimisch zu werden: Auch im dritten Anlauf lässt seine Lesart jeden Charme, jede Souveränität, alles lustspielartige Prickeln, Glitzern und Weben vermissen. Hier ein Zufallsfund, dort ein Nebenstimmchen, schon versinkt das Ganze wieder in Beliebigkeiten. Und was macht Katharina Wagner angesichts des tobenden Saals? Sie tritt vor den Vorhang. Allein. Mit tiefem Ausschnitt, im ziemlich kurzen Schwarzen. Sie stellt sich. Vor ihren Kunstwillen, vor die Festspiele. Verbeugt sich, wirft die blonde Mähne in die Luft und wird im Abgehen ein klein wenig rot.
Christine Lemke-Matwey
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