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© Marcus Lieberenz / bildbuehne.de

Theater: Das Geld geht fremd

Der Schaubühne gelingt es im Stück „Trust“, mit Gucci-Kostümen, iBooks und der richtigen Musik einerseits hip zu sein und andererseits dennoch den Zeigefinger tief in die Wunden des Kapitalismus zu bohren.

Was ist denn das? Ein kleines Kunststück! Falk Richter und der Choreografin Anouk van Dijk gelingt mit „Trust“ genau jene Quadratur des Inszenierungskreises, um die sich die Schaubühne unter Thomas Ostermeier so fleißig bemüht. Einerseits hip zu sein und andererseits – sagt man das noch? – kritisch. Einerseits die Generation Lounge mit den Insignien ihres Wir-Gefühls pampern, indem man die richtigen Kostüme über die Bühne spazieren führt (beispielsweise von Gucci), die richtigen Requisiten vorzeigt (iBooks) und das Publikum mit der richtigen Musik beschallt (knister, knister machen die Boxen), dabei aber andererseits den Zeigefinger tief in die Wunden des kapitalistischen Heute bohrt. Wobei das eine kaum mit dem anderen zusammen geht – oder eben nur mithilfe konzeptioneller Gewalt.

Die Empörtheit des zweitens Anliegens zerbröselt naturgemäß die Wohlfühlidentifikation des ersten, weshalb den Versuchen meistens eine leicht verkrampfte Übermotiviertheit anhaftet, die Ohnmacht des Streberhaften. Um mal im Lounge-Jargon zu bleiben: Das geht ja gar nicht, dachte man regelmäßig, wenn zum Beispiel der Autor und Regisseur Falk Richter in einem seiner immer adrett eingerichteten Projekt-Abende erregte Sätze über die Isolation des zeitgenössischen Menschen, den Einfluss der Medien oder die Verschränkung von Krieg und Politik aufsagen ließ.

Aber es geht eben doch! Richter hat mit der niederländischen Choreografin Anouk van Dijk schon vor zehn Jahren in „Nothing Hurts“ zusammengearbeitet. Nun haben die beiden mit „Trust“ einen Abend über die Verschränkung und den Zusammenbruch von Finanz- und Beziehungssystemen zusammen improvisiert, der unterhaltend ist, blitzartige Einblicke in die Undurchsichtigkeit komplexer Prozesse gewährt („Das Geld lebt lieber ohne uns“) und zudem noch virtuos groteske Paarsituationen durchspielt, in denen sich jedes Gefühl (bis auf die Angst), jede Gewissheit und jede Wahrnehmungsorientierung auflöst. Mann (Kay Bartholomäus Schulze) behauptet: Wir waren bis vor drei Wochen vierzehn Jahre verheiratet. Frau (großartig hysterisch: Judith Rosmair) antwortet: Nein, wir waren vor 14 Jahren mal drei Wochen zusammen. Und die üblichen Coolness-Accessoires sind auch dabei: Sofas, Powerbooks; viele Mikrofone und der obligatorische DJ im Hintergrund.

Dass die Auflösung aller Sicherheiten und Werte (im Geldsinn des Wortes) nicht nur behauptet, sondern auch spürbar wird, liegt vor allem an den Tänzern Nina Wollny, Peter Cseri, Jack Gallagher und der mittanzenden Choreografin. Ihre kraftvollen Bewegungen, Zuckungen und Verrenkungen betten die Spiel- und chorischen Textsprechszenen ein – die nicht nur entfernt an die Texte René Pollsches erinnern. Die Tänzer sorgen für eine spielerische Leichtigkeit und finden für das Thema eine treffende Darstellungsbalance zwischen roboterhafter Getriebenheit, gefühlstauber Erstarrung und ungerichteter, expressiver Wut.

Wut – die ist natürlich ein Problem. Auf wen eigentlich? Und wie geht das, wenn alles System ist und ich selbst ein ausgehöhltes Teilchen in ihm? Der Wutspezialist heißt Stefan Stern. Eben hat er in einem fulminanten, schweißtreibenden Bandwurmmonolog nachgewiesen, dass der Vorstand einer inzwischen pleitegegangenen Kaufhauskette durch seine Machenschaften effektiv das umgesetzt hat, was vor 30 Jahren die RAF mit ihren Brandanschlägen im Sinn hatte: den Zusammenbruch des Unternehmens. Nun ist er eine Art Wut-Coach für die anderen. Sie sollen mal richtig bellen und alles rauslassen. Von Lea Draeger kommt aber nur ein kümmerlich zahmes Miau.

Wie stimmig Tanz und Schauspiel ineinandergreifen, zeigt dann der Übergang. Zwei der Tänzer beginnen einen negativen Exorzismus. Sie winden sich, als wollten sie den Panzer über ihrer Brust aufbrechen. Die Wut wird nicht ausgetrieben, sondern aus den Tiefen des Körpers wie etwas Kostbares mit insektenhaft anmutenden Spasmen hervorgequetscht.

Ein anderes Mal packen sie Judith Rosmair an Armen und Beinen und lassen sie in Schlangenlinien durch die Luft sausen, während diese wie ein gummipuppenhafter Sprechdummy Abschieds-, Rechtfertigungs- und Entschuldigungssatzstummel aus dem Reservoir der Beziehungsfloskeln vor sich hinplappert.

Natürlich: Dies ist ein Projekt. Es arbeitet, mal ernst, mal ironisch, mit Versatzstücken, Zitaten, Klischees und Überzeichnungen, um die Verflüssigung, die Auflösung des titelgebenden Vertrauens in alles und jeden abzubilden. Glaubwürdige Figuren, also einen Moment von Stille sollte man nicht erwarten. Darf man gar nicht, denn die Glaubwürdigkeit ist zusammen mit dem Vertrauen auch perdu. Da beißt sich die Inszenierungskatze stolz in den Immunisierungsschwanz. Aber solange sie so kurzweilig ist, geht auch Schlaumeierei.

- Wieder am 12., 14., 15. und 19.10. sowie am 20., 21., 22., 24. und 25. November.

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