Berlin-Neukölln: Britz komm raus
Neue Töne aus dem Berliner Krisenbezirk: Im Süden Neuköllns entsteht ein Kulturzentrum mit Museum und Opernhaus.
Keine Spur von marodierenden Jugendbanden. Keine verrammelten Läden und verwahrlosten Häuser. Im Neuköllner Ortsteil Britz erinnert alles an die brandenburgische Provinz. Ein weißes Herrenhaus mit weitläufigem Park, ein Gutshof mit großen Wirtschaftsgebäuden und vis-à-vis lugt die Kirche durch alte Bäume. In einer Voliere quaken die Enten. Seit 1989 residiert in dieser Idylle die Kulturstiftung Schloss Britz. Regelmäßig lädt sie zu Konzerten, Lesungen und Ausstellungen, aktuell sind Grafiken von Friedensreich Hundertwasser zu sehen. Trotzdem ist Schloss Britz als Kulturstätte kaum bekannt. Das soll sich nun ändern.
„Hier wird es singen und klingen. Für jedes Wochenende planen wir Veranstaltungen und das ganze Gelände wird voll junger Menschen und Familien sein“, sagt Volkmar Bussewitz. Der Leiter der Neuköllner Paul-Hindemith-Musikschule ist glücklich. Schon im kommenden Jahr erhält er im ehemaligen Verwalterhaus 13 neue Räume für Bandproben und Kindermusiktheater. Aber damit nicht genug: Wenn es nach Neuköllns Bürgermeister, dem SPD-Mann Heinz Buschkowsky, geht, soll die Gutsanlage bis 2011 zum kulturellen Hotspot werden. Neben der Musikschule im Verwalterhaus wird das Neuköllner Stadtgeschichtsmuseum in den ehemaligen Pferdestall ziehen. Der alte Kuhstall wiederum wird zum „Kulturstall“, zum kompletten Opernhäuschen mit Orchestergraben, großer Bühne und Sitzplätzen für gut 300 Besucher. Eine neue Freilichtbühne soll entstehen, auch das gesamte Außengelände wird gestaltet. Ein Gehege für alte Haustierrassen und eine Maulbeerbaum-Allee sind angelegt worden. Die landwirtschaftliche Tradition des Gutes soll nicht vergessen werden.
Im 18. Jahrhundert hatte Graf von Hertzberg Britz zum ökonomischen Musterbetrieb entwickelt mit fortschrittlicher Vierfelderwirtschaft, moderner Tierhaltung und eigener Seidenproduktion. Gleichzeitig wurde der Landsitz des freigeistigen Etat- und Kabinettsministers Friedrich des Großen zum Treffpunkt für Künstler und Staatsreformer. An diese Tradition möchte Bussewitz anknüpfen.
Die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung gab im Dezember 2007 grünes Licht für das Großprojekt, das der Bürgermeister energisch vorantreibt. Strittig war zunächst der Umzug des Neuköllner Stadtgeschichtsmuseums. Das Regionalmuseum, das sich schwerpunktmäßig mit städtischer Alltagsgeschichte, Konzepten zur Lösung sozialer Probleme und dem Austausch von Kulturen auseinandersetzt, wollte nicht aus der Ganghoferstraße in Neukölln Nord in das ländliche Britz umsiedeln. Inzwischen stimmte das Museum der Verlegung zu. Denn auf dem Gutshof können alle Sammlungsobjekte, gegenwärtig noch auf drei Standorte verstreut, zusammengeführt werden.
Öffentliche Kritik an dem Vorhaben wagt nur noch die stellvertretende Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Stefanie Vogelsang, und das auch nur in ihrer Funktion als CDU-Kreisvorsitzende, wie sie betont. Als solche befürwortet sie zwar den Museumsumzug des Museums und die Musikschulerweiterung, hält aber mit Blick auf die Finanzlage des Bezirks den Umbau des Britzer Kuhstalles für unangebracht. „Als Veranstaltungsort haben wir den Saalbau Neukölln und dessen Betriebskosten sind schon hoch genug. Die knappen Mittel sollten wir lieber in die Schulen stecken.“
In den Schulen möchte sich die Musikschule in Zukunft sowieso stärker mit neuen Angeboten präsentieren. Bussewitz kann 210 Lehrende einsetzen. Auf Anordnung von Buschkowsky existieren keine Wartelisten mehr. „Jeder, der möchte, soll ein Instrument lernen oder an unseren Workshops teilnehmen können. Die anfallenden Mehrkosten über den Deckungsbeitrag hinaus schießt der Bezirk dazu. Das gibt es in keinem anderen Stadtteil“, erzählt Volkmar Bussewitz, der vor sechs Jahren nach Neukölln kam und zuvor die Musikschule in Kreuzberg geleitet hatte.
Vor allem die musikalische Frühbildung für Kinder ab drei Jahren hält Bussewitz, der selber als Tenor gesungen hat, für wichtig. „Aber sie muss kostenlos sein, denn sonst lassen kaum Eltern ihre Kinder daran teilnehmen.“ Durch die Früherziehung soll das Interesse an der Musik anderer Kulturkreise geweckt werden. Doch vor allem türkisch- und arabischstämmige Schüler interessieren sich bislang eher wenig für klassische Musik. Das lässt sich ändern. Als die Lage an der Neuköllner Rütli-Schule eskalierte, organisierte Bussewitz einen Band-Workshop. Daraus entstand „Mozart rappt!“, eine 60-minütige Bearbeitung der „Zauberflöte“. Ähnliche Projekte folgten und das, glaubt Bussewitz nicht ohne Stolz, sei der Grund dafür, dass Bürgermeister Buschkowsky nun den Gutshof Britz ausbaue: „Gemeinsam musizieren bringt die Integration voran wie sonst kaum etwas.“
Ein Neuköllner Kulturhöhepunkt ist das alljährliche Opernfestival im Britzer Schloss. Diesmal steht Antonio Vivaldis Frühwerk „Ottone in villa“ auf dem Programm, ein amouröses Verwirrspiel aus dem antiken Rom, das in Britz volksnah in einer deutschsprachigen Version als „Des Kaisers neue Flamme“ gegeben wird. Wenn alles nach Plan verläuft, werden die Besucher dabei letztmalig im provisorischen Pferdestall Platz nehmen müssen. Ab 2009 haben die Neuköllner dann ihr zweites Opernhaus, neben dem traditionsreichen Off-Theater in der Karl-Marx-Straße. Alle Achtung.
Schloss Britz, Alt-Britz 73, Vivaldis Oper „Des Kaisers neue Flamme (Ottone in villa)“ hat heute abend Premiere, weitere Vorstellungen am 12., 13., 26. und 27. Juli, 19 Uhr. Infos: www.schlossbritz.de
Karin Erichsen
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