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Massive Attack mit Robert "3D" Del Naja (li.) und Grant "Daddy G" Marshall (2. v. r.) in der Zitadelle Spandau.
© DAVIDS/Gerald Matzka

Massive Attack in Berlin: Bristol gegen den Brexit

Trip-Hop pro EU: Massive Attack und zahlreiche Gäste gaben in der Zitadelle Spandau ein politisches Konzert.

Blau und Gelb – die Farben der Europäischen Union erleuchten die Bühne. Es ist ein Zeichen des Protests gegen den Brexit, über den Robert Del Naja alias 3D sagt: „Keiner von uns hat dafür gestimmt. Wir sind Söhne von Immigranten und verstehen nicht, was mit unserem Land passiert." Es gelte aber positiv zu bleiben, den Rassisten und Populisten entgegenzutreten.

Massive Attack tun das mit ihrem Song „Eurochild“ von 1994, den sie kürzlich wieder in ihr Live-Programm aufgenommen haben. „Wir hätten nie gedacht, dass wir ihn mal als Requiem spielen“, sagt 3D bevor die fünfköpfige Band losschaukelt in den sanften Groove des Stücks.

Die Trip-Hop-Pioniere aus Bristol laden ihr Konzert in der Zitadelle Spandau auch sonst stark politisch auf. Das geschieht vor allem durch den riesigen Screen an der Bühnenrückwand, über dem noch eine zweite bandförmige Projektionsfläche montiert ist. Hier leuchten auf Deutsch Schlagworte und Schlagzeilen etwa zum Rücktritt von Ukip-Chef Nigel Farage auf, während hinten – so beim Opener „United Snakes“ – rasend schnell Flaggen, Partei- und Gewerkschaftslogos übereinandergeblendet werden.

Die Young Fathers geben einen energiegeladenen Gastauftritt

In den Achtzigern als Trio gegründet, zwischenzeitlich zum Solo-Projekt von 3D geschrumpft, ist inzwischen Originalmitglied Grant „Daddy G“ Marshall wieder mit von der Partie. Allerdings verschwindet er während der knapp 90-minütigen Show immer wieder von der Bühne. Das fällt nicht so auf, denn es gibt viele Gäste: Der Londoner Sänger Azekel übernimmt für den Titelsong der im Januar veröffentlichten „Ritual Spirit“-EP den Leadgesang. Sein Falsett hat etwas Mühe sich gegen das schnelle Getackere der beiden Drummer und die lang stehenden Bassbrummtöne zu behaupten.

Ganz anders dann in der Mitte des Konzertes der Auftritt der Young Fathers: Mit „Voodoo In My Heart“, das ebenfalls vom aktuellen Minialbum stammt, setzen sie einen Höhepunkt des Abends. Mit dreifacher Stimmpower treiben sie den in alarmistischer Dauerspannung rotierenden Song immer weiter in Panik und Paranoia. Wozu auch die Leinwand entscheidend beiträgt, die hier als Flughafen-Anzeigetafel fungiert. Zunächst zeigt sie nur Flüge zu Zielen wie Sevilla, Frankfurt, Ibiza und Amsterdam. Als 3D den Synthesizer bedrohlich aufheulen lässt und die E-Gitarre endgültig auf einem Akkord hängen bleibt, leuchten plötzlich in Rot Begriffe wie „Delayed“ und „Cancelled“ auf. Was umgehend die Assoziationskette Anschlag, Absturz, Tod und Terror freisetzt.

Tricky und Deborah Miller singen auch mit

Die 2014 mit dem Mercury Prize ausgezeichneten Young Fathers kommen aus Schottland, zwei von ihnen sind Immigranten-Kinder. Sie beschwören ebenfalls den Zusammenhalt: „We are in this together. No borders“, rufen sie. Dass die Gruppe für zwei ihrer eigenen Songs und ein weiteres Massive-Attack-Stück auf der Bühne bleibt, ist eine schöne Demonstration der UK-Einigkeit und setzt überdies eine Menge Energie in der Zitadelle frei.

Dasselbe kann man leider nicht vom alten Massive-Attack-Kumpel Tricky behaupten, der sich für das ohnehin nicht sonderlich spannende EP-Stück „Take It There“ zur Band gesellt. Versteckt unter einer großen Kappe sprechsingt er seine schlecht zu verstehenden Zeilen und zerrt dabei an seinem Muskelshirt. Dennoch schade, dass der seit einiger Zeit in Neukölln lebende Trip-Hop-Meister sofort wieder verschwindet. Im Rausgehen umarmt er Deborah Miller, die für das großartige Finale mit „Safe From Harm“ hereinkommt. Das Stück vom epochalen „Blue Lines“-Debüt hat die 25 Jahre seit seiner Entstehung ebenso gut überstanden wie die einzige Zugabe „Unfinished Sympathy“. Der Screen zeigt nur noch einen Satz, das Motto des Abends: „Das stehen wir gemeinsam durch.“

Nadine Lange

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