Julia Fischer in Berlin: Brillanz und Balance
Trautes Beisammensein: Die Geigerin Julia Fischer und die Academy of St Martin in the Fields gastieren im Konzerthaus.
Er nennt sich selber einen Traditionalisten. Der Oboist und Dirigent Andrey Rubtsov liebt die Klangwelt der Spätromantik. Darum komponiert er so, als wären der Musikwelt Arnold Schönberg, Pierre Boulez und Co. nie passiert. Vor allem ist er ein äußerst versierter Handwerker, der genau weiß, wie man Effekt macht, ohne dabei auf die musikalischen Stereotype konventioneller Film-Soundtracks zurückgreifen zu müssen.
Seiner Künstlerfreundin Julia Fischer hat Rubtsov 2013 ein Konzert gewidmet, das den Vergleich mit klassischem Virtuosenfutter keineswegs scheuen muss. Nach einer verhaltenen Einleitung wird so ziemlich alles aufgeboten, was sich auf der Geige zaubern lässt. Rhythmisch oft scharf geschliffen, aber immer fest auf tonalem Fundament, melodiös, mit ein wenig Dissonanz als Würze.
Bei ihrem Berlin-Gastspiel mit der Academy of St Martin in the Fields im Konzerthaus wirbelt Julia Fischer mit einem zackigen Zugriff, der keine falsche Bescheidenheit kennt, durch den Eröffnungssatz, flirtet mit dem Publikum, bezirzt durch makellos schöne Sirenentöne. Im langen, melancholischen Selbstgespräch des andante dolente lässt sie dann Bilder im Kopf der Zuhörer von der endlosen russischen Steppe entstehen, über der die bleiche Wintersonne aufgeht.
Ganz im Bild bleibt auch das Finale: Als amazonenhafte Anführerin mit natürlicher Autorität sprengt Julia Fischer hier den zwanzig Musikern aus London voran, bearbeitet druckvoll ihr Instrument bei einem wilden Ritt durch die Tundra.
Für Tschaikowskys Streicherserenade fügt sich die Solistin dann ins Ensemble ein, animiert ihre Mitspieler vom Konzertmeisterplatz aus zu einem derart üppigen, sahnigen Sound, dass es klingt, als säßen mindestens doppelt so viele Instrumentalisten auf der Bühne. Duftig wird es nur kurz beim berühmten Walzer, dann geht es wieder suggestiv und schwelgerisch weiter, getragen von einer mitreißenden Spielfreude, die im ausgelassenen, quirligen „Tema Russo“ dann geradezu mit Händen zu greifen ist.
Wie ein Eindringling bricht nach der Pause Yulianna Avdeeva in diese traute Zweisamkeit ein. Weil die Russin den Flügel maximal aufgeklappt hat, wird die Balance zwischen Geige, Klavier und Orchester massiv gestört in dem Doppelkonzert, das der 14-jährige Wunderknabe Felix Mendelssohn Bartholdy 1823 für die „Sonntagsmusiken“ im väterlichen Palais an der Leipziger Straße komponiert hat.
Stilistisch sind sich die beiden Virtuosinnen durchaus einig, wie sie diese zwischen barocker Strenge, Wiener-Klassik-Eleganz und romantischem Gefühlsüberschwang oszillierende Musik zum Funkeln bringen wollen. Allein, durch den überpräsenten Klavierpart schiebt sich Yulianna Avdeeva ständig auch dort in den Vordergrund, wo ihr Part nur Begleitfunktion für Fischers anmutiges Spiel hat. Wie schade.