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Würde ein zweites Referendum begrüßen. Der britische Künstler Tim Etchells.
© Artmax/CC BY-SA 3.0

Britischer Künstler Tim Etchells: Brexit: „Viele Menschen wollen eine zweite Abstimmung“

HAU-Künstler Tim Etchells lebt in London. Im Gespräch erzählt er vom vergifteten Klima in seiner Heimat, zunehmender Fremdenfeindlichkeit - und seiner Hoffnung auf ein neues Referendum.

Forced Entertainment heißt die Performancetruppe, die er leitet: Tim Etchells, der auch als bildender Künstler und Autor arbeitet, lebt in London und Sheffield. In Berlin ist Etchells vor allem mit dem HAU künstlerisch verbunden.

Mister Etchells, können Sie sich auf dieses ganze politische Theater um den Brexit noch einen Reim machen?

Ich will die EU nicht verlassen, und ich kenne auch niemand, der das will. Es ist deprimierend, nun passiert es auch noch mit einem solchen Durcheinander.

Wie ist Ihr Alltag davon beeinflusst?

Seit dem Referendum ist das Klima hier politisch vergiftet. Es gab und gibt einen Anstieg rassistischer Angriffe, das ist klar dokumentiert. Fremdenfeindlichkeit hatten wir auch früher schon, aber was sich jetzt zeigt, geht sehr tief. Das ist schlimmer als irgendwelche Unannehmlichkeiten, die ein Brexit mit sich bringt.

Dieses Klima wird sich nicht verziehen?

Ich fürchte, diese gesellschaftliche Spaltung bleibt für die nächsten 50 Jahre.

Es ist ein irres Schauspiel, das sich da im Londoner Unterhaus bietet. Wie sehen Sie das, als Performancekünstler? Anarchy in the UK, wie die Sex Pistols einst sangen?

Ich schaue mir die Parlamentsdebatten nur in Ausschnitten an. Es ist da alles sehr stark codiert. Labourführer Jeremy Corbyn zeigt den alten linken Zynismus, er spielt auf Zeit, aber das scheint schiefzugehen. Theresa May bezieht alles auf sich selbst. Bei diesem Brexit-Streit handelt es sich in Wahrheit um einen Kampf zwischen der Mitte und dem rechten Flügel der Tory-Party. Die rechtsgerichteten Medien verstärken das, was da plötzlich an Nationalismus hochgekommen ist.

Ihr Briten seid mit diesen Entwicklungen nicht allein in Europa und in der Welt.

Nein, natürlich nicht. Es hängt auch mit Trump zusammen und den Russen. Ohne Zweifel wurde russisches Geld in den sozialen Medien eingesetzt, um Wahlen zu beeinflussen, die Russen begrüßen den Abgang Großbritanniens aus der EU, die Teilung und Schwächung des Westens.

Sie arbeiten viel auf dem Kontinent, in Kooperationen. Wie wird der Brexit sich auf Ihre Aktivitäten auswirken?

Wir haben von der Freizügigkeit und Bewegungsfreiheit in Europa sehr profitiert. Wenn man jetzt Visa braucht und ich weiß nicht was für Papiere sonst, dann wird uns das viel Geld und Zeit kosten. Die gesamte Logistik wird schwierig, aber das hängt davon ab, wie wir den Abgang machen. Das ist sehr beunruhigend. Wenn das Pfund sinkt, dann sind wir auch als Künstler in Europa Billigware.

Sie klingen komplett deprimiert. Gibt es denn nicht irgendeinen Hoffnungsstreifen, trotz allem?

Viele Menschen hier hoffen auf ein zweites Referendum. Aber weder May noch Corbyn wollen das. Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir Remainers dann gewinnen würden. Ich würde eine neue Abstimmung über Europa begrüßen. Aber es wäre ein Tanz auf Messers Schneide.

Und was erhoffen sich die Brexit-Fans?

Es gibt in England viele Gebiete, in denen die Menschen vergessen wurden, und das geht schon lange so. In diesen Gegenden wurde stark für den Brexit gestimmt, weil die Menschen damit die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer sozialen Lage verbinden. Das haben Populisten ihnen eingeredet. Aber ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Der Brexit wird die Lage verschlechtern. Sie haben für etwas gestimmt, von dem nicht einmal Theresa May weiß, was es bedeutet.

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

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