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Gegenwelten. Mieczyslaw Weinbergs Werk spielt gleichzeitig in einem Konzentrationslager und auf einem Atlantikdampfer.
© Reuters

Oper: Bregenzer Festspiele: Auf hoher See

Die Aufforderung, niemals die Untaten der Nazis zu verzeihen, ist in Mieczyslaw Weinbergs Werk unüberhörbar. Auschwitz als Oper: "Die Passagierin" bei den Bregenzer Festspielen.

Vielleicht wäre es Dmitri Schostakowitschs große Oper geworden. Zofia Psomysz’ Auschwitz-Novelle „Die Passagierin“ erschien ihm in den sechziger Jahren als ein ideales Opernsujet – die Geschichte einer deutschen KZ-Kommandantin, die auf einer Schifffahrt nach Brasilien in einer Mitreisenden eine Lagerinsassin zu erkennen meint. Doch Schostakowitsch kalkulierte vermutlich auch die Schwierigkeiten mit ein, die dieser Stoff in der Sowjetunion gehabt hätte: Die Erinnerung an den Holocaust könnte die sowjetischen Verluste während des Zweiten Weltkriegs relativieren. Die Oper komponierte 1968 sein Schüler Mieczyslaw Weinberg. Erst 2006, zehn Jahre nach Weinbergs Tod, kam es in Moskau zur ersten konzertanten Aufführung. „Absurden Humanismus“ hatte man Weinberg in der Sowjetunion vorgehalten. Nun feierte die Oper bei den Bregenzer Festspielen Premiere.

Der in Warschau groß gewordene Weinberg war nie ein Dissident. Er verhielt sich zur Sowjetunion, die ihm vor den Nazis Zuflucht geboten hatte, stets loyal. Und er artikulierte sich auch nicht als musikalischer Revolutionär. Doch gerade diese Zurückhaltung und Ernsthaftigkeit gibt Weinbergs Musik ein scharfes Profil. Zu entdecken ist mit ihm also die Geschichte der an den Rand gedrängten Musiker der Sowjetunion. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, komponierte Weinberg Zirkusmusik und Musik für Trickfilme.

„Wenn das Echo ihrer Stimmen verhallt, gehen wir zugrunde“, lautet das Motto in „Die Passagierin“. Die 85-jährige Autorin der Novelle, Zofia Posmysz, ist Holocaust-Überlebende. Sie wurde zu den Proben nach Bregenz eingeladen, und das Produktionsteam besuchte mit ihr Auschwitz. Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine Geburtstagsfeier im Konzentrationslager: der 20. Geburtstag von Martha, der Titelheldin. Die Rahmenhandlung wirkt dabei als Korrektiv jeder Rührseligkeit: die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in den Sechzigern auf einem mondänen Schiffsdeck. Cola wird angeboten und eine Tanzcombo stimmt Schostakowitschs Walzer an. Bühnenbildner Johann Engels stellt die KZ-Baracken als Güterwaggons auf Bahnschienen und montiert darauf das Schiffsdeck. Über dem Dach der Güterwaggons sitzt der Chor, Leute von heute: Sie blättern in Büchern, kommentieren leise. David Pountney inszeniert in weichen Brauntönen (Kostüme: Marie Jeanne Lecca) eine Elegie, kein Drama. Gespielt wird in in mehreren Sprachen, aber meist auf Deutsch, der Sprache des Lagers. Betörend die Frauenstimmen, denen Weinberg immer wieder lyrische Episoden schafft. Die Gegenwelt auf dem Schiffsdeck ist von einem pointierten Konversationsstil bestimmt, die die KZ-Kommandantin Lisa (Michael Breedt) und ihr Mann Walter (Roberto Saccà) pflegen.

Die Aufforderung, niemals die Untaten der Nazis zu verzeihen, ist in Weinbergs Oper unüberhörbar. Keine Sentimentalität, kein Pathos. Die Musik lässt den Stimmen und Soloinstrumenten viel Raum, doch groteske Zuspitzungen geben immer wieder das Tempo vor. Im Vorfeld hatte Dirigent Teodor Currentzis erklärt, die altbackene Musik von Schostakowitschs Schülern passe nicht zu seinen Interessen, aber sein Widerstand ist offensichtlich produktiv geworden, äußerst präzise und konzentriert wird mit den Wiener Symphonikern die effektvolle Partitur seziert.

Seit 2003, seit David Pountney die Bregenzer Festspiele leitet, ist es dort Tradition, thematische Schwerpunkte zu setzen. So ausführlich wie bei Mieczyslaw Weinberg ist man dabei noch nicht vorgegangen. Neben der „Passagierin“ wird im Bregenzer Programmschwerpunkt Operette/musikalisches Unterhaltungstheater im Kornmarkttheater Weinbergs satirische Oper „Das Portrait“ – nach einer Novelle von Nikolaj Gogol – vorgestellt, und neben zahlreichen Konzerten und Kammermusikabenden findet auch ein Weinberg-Symposium statt.

Die Produktion der „Passagierin“ ist bereits nach London, Warschau und Madrid verkauft worden.

Die Festspiele laufen noch bis 22. 8., alle Infos unter: www.bregenzerfestspiele.com

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