Raubkunst: Böser Wille, guter Glaube
Im Umgang mit Raubkunst und Restitution brauchen wir Sensibilität, nicht neue Gesetze - erst recht nach der Entscheidung zum Welfenschatz. Plädoyer eines Rechtsanwalts.
Es waren kernige Sätze, die Roland S. Lauder, der Präsident des World Jewish Congress, am 30. Januar 2014 in Berlin in seinem Vortrag am Moses-Mendelssohn-Zentrum von sich gab. „Kunstwerke, welche Juden entwendet wurden durch die Nazis (…), sind die letzten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Raubkunst findet sich überall. Sie hängt in Regierungsbüros, in Museen, in privaten Sammlungen. Einer der Hauptgründe, warum dieses Problem weiter ungelöst ist, liegt im Fehlen eines Rückgabegesetzes. Leider ist den Museen allzu oft jeder noch so fadenscheinige Grund recht und billig, um die Abwanderung eines Kunstwerkes zu verhindern. Es ist nicht Recht, wissentlich gestohlenes Eigentum zu behalten. Man kann doch nicht den Opfern des Holocaust oder ihren Nachfahren auferlegen, Tausende von Kunstsammlungen (…) zu durchforschen, um herauszufinden, was einem vor 70 Jahren entwendet wurde. Deutschland muss bestehende Verjährungsfristen so verändern, dass der Kunstraub des Zweiten Weltkrieges nicht länger verjährt ist. Bayern hat vor kurzem einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das ändern will. Wenn das Gesetz wird, kann Unrecht korrigiert werden. Nach 70 Jahren ist es höchste Zeit, dass die letzten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges ausfindig gemacht und entlassen werden.“
Ich glaube, es ist gut, diese Rede nun kritisch zu reflektieren. Der erste Zorn über die maßlose Übertreibung der Anklage hat sich gelegt, die Diskussion um eine Gesetzesänderung verfeinert. Lauder mischt sich immer dort ein, wo es um die jüdische Frage geht. Sagt Unbequemes. Fordert das Richtige. Trägt das Seine dazu bei, dass das unfassbare Unrecht, das die Deutschen den Juden angetan haben, im Bewusstsein bleibt und, wo es möglich ist, gemildert wird. Von „Wiedergutmachung“ mag ich nicht reden. Deshalb hat seine Stimme Gewicht.
Dennoch glaube ich, dass Lauder über das Ziel hinausschießt. Er erhebt Anklage, ohne hinreichend zu differenzieren, stellt Forderungen nach gesetzlicher Regelung, die vielleicht sogar schädlich sind. Damit ein Missverständnis nicht aufkommt: Der Verfasser dieser Zeilen ist uneingeschränkt dafür, dass Raubkunst, die sich im deutschen öffentlichen Besitze befindet, den Erben der jüdischen Familien zurückgegeben wird, wenn diese Werke im Zusammenhang mit der Judenverfolgung verloren haben.
Diese Rückgabepflicht besteht, gleichgültig, wie wertvoll das jeweilige Werk für den Bestand einer Sammlung ist. Wenn Kunstwerke jüdischen Familien „verfolgungsbedingt“ abhanden gekommen und in den Museen des Bundes, der Länder, der Kommunen gelandet sind, dann sind diese zu restituieren. Doch wenn Lauder Werke der Raubkunst als die „letzten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges“ bezeichnet, so ist das nicht nur eine starke, sondern auch eine schiefe Metapher. Schief nicht nur, weil die meisten Kunstwerke schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges jüdischen Familien geraubt wurden, die im besten Falle fliehen und ihr Leben retten konnten, die Kunst aber zurücklassen mussten. Schief auch, weil Lauders Behauptung, Kunstwerke verbrächten ihre „Gefangenschaft“ in „Regierungsbüros, in Museen und in privaten Sammlungen“ undifferenziert und deshalb unrichtig ist.
In keinem deutschen Regierungsbüro hängt ein geraubter Picasso
In keinem Regierungsbüro, das ich kenne, hängen Arbeiten von Picasso oder Matisse, Beckmann oder Kirchner, und kein Mitglied einer deutschen Regierung wird in seinem Büro eine Arbeit hängen lassen, von der er weiß oder ahnen müsste, dass es sich um Raubkunst handelt. Lauders Szenario, wonach es Museumsdirektoren gibt, die in ihren Kellern Arbeiten von Rembrandt über Renoir bis Pechstein unter Verschluss halten in der Befürchtung, dass ihr Zurschaustellen zu Restitutionsverpflichtungen führt, ist absurd. Unzweifelhafte Raubkunst im öffentlichen Besitz wird in Deutschland restituiert. Dazu ist die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Holocaustabkommens aus dem Jahre 1998 verpflichtet. Dazu hat sie die entsprechenden Handreichungen formuliert. Daran halten sich die Museumsverantwortlichen.
Das Problem liegt auf einem anderen Feld, nämlich der sich bei jeder Restitutionsforderung zulässigerweise stellenden Frage: Handelt es sich bei dem Werk, dessen Restitution die Erben jüdischer Familien fordern, wirklich um ein verfolgungsbedingt abhanden gekommenes Werk?
Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Fünf jüdische Kunsthändler in Amerika erwerben den Welfenschatz, der sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf deutschem Boden befindet, um ihn gewinnbringend weiterveräußern zu können. Diese Absicht scheitert an dem Bankencrash in den USA 1929. Goebbels interessiert sich für den Schatz, will ihn für „sein Reich“ erwerben und einigt sich in zähen Verhandlungen auf einen Kaufpreis, der 10 Prozent unter der Summe liegt, die die Kunsthändler ursprünglich haben wollten.
Heute verlangen Erben der Kunsthändler unter Berufung auf die Washingtoner Erklärung aus dem Jahre 1998 die Herausgabe des Welfenschatzes. Mit ihrem geradezu obszönen, ernsthaften Restitutionsverlangen beschädigenden Begehren sind die Antragsteller jetzt an der Limbach-Kommission gescheitert, die die Rückgabe des Schatzes nicht empfiehlt. Kann man bei Fällen wie dem Welfenschatz noch von Raubkunst reden?
Niemand stellt infrage, dass Raubkunst in öffentlichen Sammlungen zurückgegeben werden muss. Die Frage aber, ob die Rückgabeforderung wirklich Raubkunst betrifft, muss zulässig sein. Die Befreiung der „kriegsgefangenen Kunstwerke“ scheitert auf einem ganz anderen Feld. Es ist nämlich höchst wahrscheinlich, dass sich in öffentlichem Besitz Werke befinden, die wir getrost als „Raubkunst“ bezeichnen müssen, deren Restitution aber bis heute scheitert, weil niemand weiß, dass es sich um Raubkunst handelt. Hier stoßen wir auf die Provenienzforschung. Die politischen Verantwortlichen haben erkannt, dass sie verstärkt werden muss. Die neue Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, hat bereits angekündigt, die Gelder zu erhöhen und eine zentrale Forschungsstelle einzurichten. Dazu kann man ihr gratulieren.
Lauder sieht wie viele andere das Haupthindernis für eine wirksame Bewältigung der Restitutionsforderungen darin, dass es keine gesetzliche Regelung gibt, Rückforderungen deshalb an Verjährungsklauseln scheitern. Bei Lichte besehen, ist diese Forderung grundverkehrt. Bei Arbeiten, die sich im öffentlichen Besitz befinden, ist eine gesetzliche Regelung überflüssig, bei solchen im Privatbesitz zur Lösung der Konflikte ungeeignet. Den Museen im staatlichen Besitz ist der Einwand der Verjährung aufgrund der Washingtoner Holocausterklärung aus der Hand geschlagen. Es gibt keinen einzigen Rückforderungsanspruch gegen staatliche Museen, der an der Verjährungsfrage gescheitert wäre. Ihn wird es auch in Zukunft nicht geben.
Die Verjährungsvorschrift, wonach ein Rückgabeverlangen 30 Jahre nach dem Besitzverlust verjährt, hat deshalb Aktualität und Realität ausschließlich im privaten Bereich. Wer eine Arbeit von Liebermann, Corinth oder Kokoschka besitzt, die vor mehr als 70 Jahren jüdischen Familien geraubt worden ist, kann sich nach geltendem Recht nach 30 Jahren Besitz gegen den Rückforderungsanspruch mit dem Einwand der Verjährung zur Wehr setzen. Diese vernünftige Regelung soll für Raubkunst durch die bayerische Gesetzesinitiative den Eigentümern hinfort aus der Hand geschlagen werden. Diese Initiative geht aber ins Leere.
Die entscheidende Formulierung in dem bestehenden Gesetzesentwurf hat folgenden Wortlaut: „Gegenüber einem Herausgabeanspruch (...) ist die Berufung auf die Verjährung ausgeschlossen, wenn die Sache dem Eigentümer (…) abhanden gekommen war und der Besitzer (…) bei Erwerb des Besitzes nicht in gutem Glauben war.“ Mit anderen Worten: Der Einwand der Verjährung ist dann unzulässig, wenn das Werk „abhanden“ gekommen ist, das heißt, der ursprüngliche Besitzer gegen seinen Willen den Besitz aufgegeben hat. Das reicht aber nicht. Hinzukommen muss, dass der Besitzer beim Erwerb „nicht in gutem Glauben war“, er also wissen musste, dass der ursprüngliche Eigentümer den Besitz gegen seinen Willen verloren hat. Derjenige, der den Herausgabeanspruch geltend macht, muss beides beweisen.
Der bayerische Vorschlag wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Ist ein Bild abhanden gekommen, wenn es die jüdischen Familien zur Auktion auf eine der sogenannten – schreckliches Wort – „Judenauktionen“ gegeben haben? Kommt es darauf an, ob ihnen der Erlös ausgezahlt oder vom Staat einbehalten wurde – als, noch ein Wort aus dem Wörterbuch des Unmenschen, „Reichsfluchtsteuer“? Haben diejenigen Bieter, die derartige Arbeiten ersteigert haben, sie in „bösem Glauben“ erworben? Die Vorschrift, wonach die Berufung auf die Verjährung unzulässig ist, greift selbst dann nicht, wenn das Werk dem Eigentümer abhanden gekommen ist und der Besitzer beim Besitzerwerb bösgläubig war, wenn dessen Erben und grundsätzlich auch Dritte, die von dem ursprünglichen Käufer das Bild später erworben haben, nicht wissen und nicht wissen konnten, dass es einst jüdischen Familien geraubt wurde.
Und dies ist die Wirklichkeit: Mit höchster Wahrscheinlichkeit wird keiner derer, die seinerzeit eine solche Arbeit erworben haben, heute noch deren Besitzer sein. Die meisten Arbeiten werden entweder durch Weiterverkauf ihren Besitzer gewechselt haben, sodass die Bösgläubigkeit der späteren Erwerber noch schwieriger nachzuweisen ist als beim Ersterwerber, oder sie sind auf Erben übergegangen, wobei die „Bösgläubigkeit“ des Erwerbers grundsätzlich nicht auf den Erben übergeht. Ich wage die These: Kein einziges Restitutionsverlangen wird bei Inkrafttreten der bayerischen Gesetzesinitiative anders entschieden werden als zuvor.
Lösungen gibt es oft nur auf freiwilliger Basis
Die Washingtoner Holocausterklärung richtet sich ausschließlich an die öffentlichen Hände, nicht an den Privatbesitzer. Herausgabeklagen gegen private Besitzer werden in Deutschland an der Frage der Verjährung scheitern, auch dann, wenn die bayerische Gesetzesinitiative umgesetzt wird. Denn der Anspruchssteller wird nicht beweisen können, dass der heutige Besitzer den Besitz in bösem Glauben erlangt hat. War er bei Besitzerlangung im guten Glauben, kann er sich auch nach der bayerischen Regelung auf Verjährung berufen. Roland S. Lauder verkennt auch dies: Wer heute ein Kunstwerk in Privatbesitz hat, das jüdischen Familien geraubt wurde, wird die Einigung mit dem Anspruchsteller suchen, denn er hat „Falschgeld“, das er auf dem Markt nicht umtauschen kann. Niemand wird ihn daran hindern können, dieses Bild in seinen vier Wänden zu bewahren. Ein Verkauf dieses Bildes im seriösen Kunsthandel freilich ist heute ausgeschlossen.
Der Makel eines „befangenen Kunstwerkes“ lässt sich nur beseitigen, wenn Besitzer, die sich von solchen Arbeiten trennen wollen, mit dem Anspruchsteller auf freiwilliger Basis eine Lösung suchen, die „just and fair“ ist. Das heißt: Derjenige, der ein solches Bild in Besitz hat, wird sich mit dem Erben der Familie, denen das Bild geraubt worden ist, einigen müssen, etwa dahin, dass das Bild versteigert wird und der Erlös in einem bestimmten Prozentsatz zwischen dem jüdischen Anspruchsteller und dem Besitzer geteilt wird, wobei man berücksichtigen muss, welchen Kaufpreis der Besitzer bezahlt hat. Der Jurist spricht angesichts dieser „mittelbaren Drittwirkung der Washingtoner Holocausterklärung von der ,normativen Kraft des Faktischen’“.
Das eigentliche Betätigungsfeld im Restitutionsbereich liegt heute aber genau auf diesem Gebiet: Hier ist die Sensibilität beider Seiten gefordert. Jeder Fall liegt anders. Eine gesetzliche Regelung, die dieses Konfliktfeld regeln will, ist zum Scheitern verurteilt, weil sich die Herausgabeverpflichtung bei privatem Besitz nicht normativ regeln lässt.
Die Diskussion um die Verjährungsfrist und die bayerische Aktivität zur Gesetzesänderung verdankt sich einem einzigen spektakulären Fall: der Sammlung Gurlitt. Gerade dieser Fall lässt sich auch ohne Gesetzesänderung lösen, denn Herrn Gurlitt ist der Einwand der Verjährung bei Herausgabeklagen deshalb verwehrt, weil dieser bei ihm gegen Treu und Glauben verstößt. Gurlitts Vater hat, so scheint es, diese Arbeit aufgrund einer Vereinbarung mit dem Reichspropagandaministerium in Kommission genommen und war nie Eigentümer dieser Ware. Auch langjähriger Besitz im Wissen, nicht Eigentümer zu sein, schafft kein neues Eigentum. Da Cornelius Gurlitt, der Sohn jenes Kunsthändlers, genau wusste, woher das Kunstkonvolut stammt, hat auch er kein Eigentum erworben. Wollte er sich gegen ein Herausgabeverlangen jüdischer Familien wehren, darf er sich auf den Einwand der Verjährung nicht berufen.
Frontalangriffe auf die Museen, die angeblich vorsätzlich Raubkunst zurückhalten, sind nicht hilfreich und verkennen die Wirklichkeit. Wünschenswert wäre eine verstärkte Provenienzforschung in allen öffentlichen Museen. Eines Gesetzes bedarf es nicht. Das große Kapitel der Restitution von Werken im Privatbesitz ist zu sensibel, um mit dem Holzhammer bearbeitet zu werden.
Peter Raue lebt als Rechtsanwalt und Kunstförderer in Berlin.
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