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Michel Gondry, 50, ist berühmt geworden durch verspielte Filme mit viel Bildwitz - etwa "Vergiss mein Nicht" und "The Science of Sleep". Nun hat der französische Regisseur - hier im Vordergrund, bei den Dreharbeiten - Boris Vians berühmten Roman "Der Schaum der Tage" verfilmt.
© Studiocanal

Interview mit Michel Gondry: "Boris Vian tötet die Liebe"

Boris Vians "Der Schaum der Tage" ist in Frankreich ein Kult-Roman - seit über 60 Jahren. Nun hat Michel Gondry das Werk verfilmt. Ein Gespräch mit dem Regisseur über große Erwartungen, einige Enttäuschungen - und seine Entscheidung für die Hauptdarstellerin Audrey Tautou.

Monsieur Gondry, als Ihre Kollegin Agnès Varda von Ihrem Vorhaben erfuhr, Boris Vians „Der Schaum der Tage“ zu verfilmen, sagte sie: „Ich hoffe, sein Film wird gut. Denn wir alle lieben den Roman.“ Das könnte man als subtile Drohung verstehen.

Nein, wenn sie das sagt, heißt es, sie will mich ermutigen. Agnès Varda ist ein sehr großzügiger Mensch, der anderen nur Gutes wünscht. Aber es stimmt schon, insgesamt hat mir das Projekt einigen Druck gemacht.  

Inwiefern?

Boris Vian ist Kult, und sein Roman „Der Schaum der Tage“ ganz besonders. Generationen von Jugendlichen haben den verschlungen. Und da das Buch sehr vom Spiel mit Wörtern lebt, haben sich gleich ein paar sensible kritische Geister gefragt: Ja, wofür hält er sich, dieser Gondry? So kann man die Geschichte doch nicht illustrieren! Hinzu kommt: Ich bin ja nicht gerade ein Literaturmensch.

Die Sprache ist im Roman tatsächlich sehr wichtig. Es ist ein vertrackter Job, sie in Bilder umzusetzen.  

Gerade diese Schwierigkeit hat mich herausgefordert. Boris Vian baut Wörtercollagen, also habe ich dazu passende hybride Objekte entworfen. Den Pianocktail etwa, oder die Klingel, eine Mischung aus Insekt und Apparat. Oder nehmen Sie die Gewehre, die aus  Pflanzen herauswachsen. Die Wohnung des Paars Colin und Chloe, die sich verkleinert wie ein lebendiger Organismus, denn Chloes Krankheit färbt auf alles ab. All diese Symbole musste ich materialisieren.

Der Roman ist in Frankreich nie aus der Mode gekommen, seit 1947, als er erschien. Wie erklären Sie sich das?

Wenn man jung ist, empfindet man wie die Figuren von Boris Vian. Man will sich nicht mehr von Erwachsenen manipulieren lassen, von ihren Märchen, ihrer Moral, ihren Happyends. Boris Vian bietet da etwas total Anderes. Er tötet die Liebe. Das ist finster, das ist schwarz, aber Jugendliche haben vor so was keine Angst. Sie suchen das reine Gefühl. Und der Roman, der sehr zugänglich geschrieben ist und niemanden ausschließt, hilft ihnen dabei.

Ihr filmisches Personal aber ist durchweg nahe Vierzig. Ziemlich überraschend.

Wissen Sie, die französischen Profi-Schauspieler um die Zwanzig, vor allem die jungen Männer, pflegen so eine narzisstische Attitüde, die mich überhaupt nicht inspiriert. Das hat was von Theaterkurs, von Uni-Gehabe, und das nervt. Mit 30 sind sie gereift und nicht mehr solche Ohrfeigengesichter.

Haben Sie wenigstens ein Casting versucht?

Nein, für die Rolle der Chloe hatte ich gleich an Audrey Tautou gedacht. Und dann suchte und fand ich nur noch die Schauspieler, die zu ihr passen.

Audrey Tautou wirkt insgesamt recht kräftig, keineswegs so krank, wie sie in der zweiten Hälfte des Films sein soll.

Das sehe ich anders. Für die Rolle wollte ich ausdrücklich jemanden, der kein Mitleid herausfordert. Eine Kämpferin.

Die Originalversion Ihres Films ist 125 Minuten lang, die in Deutschland gezeigte eine halbe Stunde kürzer. Wie kam es zu dieser einschneidenden Veränderung um immerhin ein Viertel? Manche sprechen schon von Amputation.

Keineswegs! Ich habe doch meinen Film nicht massakriert. Das sehe ich eher entspannt: Beim Schnitt kürzt man das Material sowieso immer. Und je mehr Zeit und Abstand ich habe, desto kompakter und konzentrierter wird das Ergebnis.

Wollen Sie damit etwa die Qualität der ursprünglichen Version dementieren?

Nein, es gibt sie, und sie verschwindet ja nicht, bloß weil ich diese oder jene Szene streiche. Übrigens: Bevor man mich bat, den Film für den internationalen Markt nochmal zu kürzen, hatte ich das selber schon vorgeschlagen. Ich fand meinen Film ein bisschen lang. 

In der Langfassung gibt es mehr Gewalt, mehr Schmerz auch, wie im Roman. Es gibt den Leichenhaufen im Schlittschuhstadion, die Grausamkeit des Begräbnisses, die Arbeiter, die von einer Maschine zerstückelt werden. All das haben Sie getilgt. Passt die Soft-Version Ihres Films noch zur anarchischen Fantasie Boris Vians?

Gut, ein paar gewalttätige Szenen fehlen. Wir wollten uns mehr auf das Paar konzentrieren, auf die Liebesgeschichte und ihr trauriges Ende. Ich weiß wirklich nicht, welche Fassung ich bevorzuge. Wenn Sie die Langversion lieber mögen, besorgen Sie sich einfach die Original-DVD.

Sind Sie mit der Resonanz auf Ihren Film in Frankreich zufrieden? Es gab 800 000 Zuschauer …  

860 000 …  

… für die Verfilmung eines Kult-Klassikers vielleicht ein bisschen enttäuschend?

In Sachen Umsatz bin ich ein Loser. Ich stehe zwar für eine gewisse Konstanz, in Frankreich haben meine Filme immer zwischen 500 000 und 800 000 Besucher, aber Hits stemme ich nicht. Ich habe Glück, dass man mir da immer wieder die Chance gibt, neue Filme zu drehen.

War „Der Schaum der Tage“ Ihre Idee, oder hat man den Stoff an Sie herangetragen?

Den Vorschlag hatte man mir schon früher mal gemacht, und diesmal klappte es mit dem Produzenten Luc Bossi. Die Werbung für den Film übrigens fand ich ein bisschen unglücklich, man trompetete zu sehr: Gondry hat das Unmögliche möglich gemacht und Vian verfilmt! Keiner außer ihm hätte das geschafft! Dabei war ich eher eingeschüchtert durch das Werk. Ich wusste, das wird nicht einfach. Ich hiel mich dann an meine Vision des Buchs. Ich habe sogar eine Liste meiner ersten Erinnerungen daran gemacht, bevor ich es von neuem las.

Und welche sind das?

Das Begräbnis auf dem Steg, das habe ich schon damals in Schwarzweiß gesehen. Die Schlittschuh-Szene, die fand ich schon beim ersten Lesen stark. Und einmal schaut Colin aus dem Fenster und sieht seine Erinnerungen, die sich wie Fische bewegen. Diese Idee habe ich zwar nicht linear umgesetzt, aber sie hat mich dazu inspiriert, das Paar nach der Hochzeit unter Wasser zu zeigen. Für einen Augenblick sind sie so ganz für sich, ganz woanders als alle anderen auf der Welt.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

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